Bis zum Ablauf der Frist sind acht Gegenanträge eingegangen, die sich gegen die Entlastung Kaesers oder des ganzen Vorstands aussprechen. Im Fokus der Kritik steht vor allem Kaesers Umgang mit einem Auftrag zur Lieferung von Signaltechnik für eine riesige Kohlemine in Australien. Mit der Entscheidung, den Auftrag anzunehmen, habe der Vorstand "sowohl dem globalen Klima als auch der Reputation der Siemens AG einen irreparablen Schaden zugefügt", heißt es etwa im Antrag eines Kleinaktionärs aus Taufkirchen bei München. Der Imageverlust richte für Siemens einen weit größeren Schaden an als es ein Ausstieg aus dem Projekt je vermocht habe.

Der Münchner Industriekonzern hat die Gegenanträge, die sich über 22 Druckseiten erstrecken, selbst - wie vorgeschrieben - im Internet veröffentlicht. Chancen auf Zustimmung dürften sie alle angesichts der Mehrheitsverhältnisse nicht haben. Kaeser habe "den Ruf der Siemens AG nachhaltig beschädigt", schreibt ein anderer Aktionär aus dem niedersächsischen Harsefeld. "Betriebswirtschaftliche und vertragliche Belange" seien dem Klimaschutz als "existenziellem Ziel" konsequent unterzuordnen. Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre warf dem Siemens-Vorstand vor, den Klimaschutz nicht ernst zu nehmen. Die Beteiligung an dem Projekt des indischen Energiekonzerns Adani, der die in Australien gewonnene Kohle in seinen indischen Kraftwerken verfeuern will, "konterkariert alle anderen Beiträge von Siemens zum Klimaschutz".

Für andere Siemens-Aktionäre ist Kaeser mit seinem Angebot an die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer zur Mitarbeit in einem Aufsichtsgremium der Energie-Sparte schon zu weit gegangen. Er würde damit "die Geschäftspolitik eines Milliardenkonzerns in die unberechenbare Hände einer ideologisch instrumentalisierten Gruppe (...) legen, deren Ziel es ist, den Hightech-Standort Deutschland zu unterminieren", begründet eine Aktionärin aus Puchheim bei München ihren Misstrauensantrag.

Der Verein von Belegschaftsaktionären der Siemens AG nimmt Kaeser nicht ab, dass er die Annahme des Auftrags bereut habe, wenn er frühzeitig davon gewusst hätte. "Die Erkenntnis einer gebotenen Vertragstreue sollte ebenfalls nicht wie eine schwere Geburt erscheinen", schreibt die Vereinigung, die in der Regel 0,3 Prozent der Siemens-Aktionäre vertritt. Immerhin habe sich Kaeser in der Vergangenheit vehement für die Übernahme des Öl- und Gas-Anlagenbauers Dresser-Rand eingesetzt. Wenn Neubauer sein Angebot angenommen hätte, "hätte Siemens dann tatsächlich auf die Belieferung der Fracking-/Öl-Industrie verzichtet?", fragen die Mitarbeiter-Aktionäre.

Das "Manager Magazin" berichtete unterdessen, Kaeser sei anders als behauptet doch schon vor dem Vertragsabschluss am 10. Dezember über das Projekt informiert worden. Der Auftrag sei Thema der Vorstandssitzung von Siemens fünf Tage vorher gewesen, wenn auch "eher am Rande". Ein Siemens-Sprecher sagte dazu, man wolle nicht im Nachhinein die Schuldfrage debattieren, sondern aus dem Vorfall lernen.