- von Alexander Hübner

Während sich die meisten Vorstandschefs deutscher Unternehmen in politischen Fragen vornehm zurückhalten oder sich hinter Branchen- und Industrieverbänden verstecken, wirft sich der Siemens-Chef mit Verve in fast jede gesellschaftspolitische Debatte. "Ich glaube, Kaeser ist da ein Überzeugungstäter", sagt Thomas Koch, Professor für Unternehmenskommunikation an der Universität Mainz. "Er hält es für seine Pflicht, Stellung zu beziehen und auch die Grundwerte von Siemens nach außen zu vertreten." Doch für das Geschäft bringen die Ausflüge des Niederbayern auf das glatte politische Parkett erstaunlich wenig - obwohl oder gerade weil Siemens als Infrastruktur-Anbieter wie wenige andere Konzerne von Aufträgen von Staaten und Staatskonzernen abhängig ist.

Ob sich Kaeser mit US-Präsident Donald Trump trifft oder mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, ob er gegen die AfD wettert, im Irak persönlich um Milliardenaufträge wirbt oder ob er wochenlang mit sich ringt, ob er trotz der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi nach Saudi-Arabien fahren soll - das Ergebnis ist selten das erhoffte für den Industriekonzern. "Bei der Reise nach Saudi-Arabien hat Kaeser eine unglückliche Figur gemacht", sagt Kommunikationsexperte Koch. "Da hat er langsamer reagiert als die meisten seiner Kollegen. Ich hätte da nicht in seiner Haut stecken wollen." Siemens winkten Regierungsaufträge über bis zu 30 Milliarden Dollar, die Kaeser durch eine Absage nicht gefährden wollte. Letztlich blieb er zu Hause - um vier Wochen später doch zu reisen, nachdem sich die Aufregung gelegt hatte.

"Wir müssen auch gesellschaftlich für das einstehen, was uns wichtig ist: unsere Interessen und unsere Werte", sagt Kaeser. Doch die vollmundige Ankündigung im Tischgespräch mit Trump, die nächste Generation Gasturbinen in den USA zu bauen, brachte in Deutschland Gewerkschafter und Politiker bis hin zum SPD-Chef Martin Schulz auf die Palme, die gleichzeitig um Arbeitsplätze in Görlitz bangten. Dabei war die Entscheidung ein alter Hut. Der Händedruck mit Kaeser hinderte Putins Regierung wenig später nicht daran, Siemens auszutricksen und Kraftwerksturbinen auf die Krim umzuleiten, um die Sanktionen gegen die besetzte ukrainische Provinz zu umgehen. Und im Irak warf sich die US-Regierung für den Rivalen GE erfolgreich ins Zeug, um Siemens einen milliardenschweren Infrastrukturauftrag zumindest teilweise abspenstig zu machen.

BESSER ALS WEGDUCKEN

Aktionärsvertreterin Daniela Bergdolt von der DSW findet das politische Engagement des Siemens-Chefs trotzdem gut: "Manchmal findet Kaeser den richtigen Ton, manchmal auch nicht. So etwas ist immer ein Spagat. Aber das ist allemal besser, als wenn er sich wegduckt", sagte sie der Nachrichtenagentur Reuters. Immerhin hänge der Ruf von Siemens als Weltkonzern auch mit dem Image Deutschlands zusammen.

Doch auch bei der geplanten Fusion der eigenen Zug-Sparte mit Alstom zu einem "europäischen Champion" scheinen sich Kaesers politische Aktivitäten nicht auszuzahlen. Beide Partner waren sich nach Gesprächen mit Regierungsvertretern sicher, dass bei den EU-Kartellwächtern in Brüssel dank der Fürsprache aus Berlin und Paris nichts schiefgehen würde. Doch die dänische Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager gibt sich hart, der Einsatz der Wirtschaftsminister Bruno Le Maire und Peter Altmaier scheint zu spät zu kommen.

Kaeser ist bewusst, dass das politische Pflaster "rutschig - oder soll ich sagen: schleimig" ist, wie er sagt. Und er weiß, dass er als Vorstandschef eines börsennotierten Unternehmens auf einem schmalen Grat wandelt: "Man hat dafür kein direktes Mandat - weder von den Mitarbeitern noch von den Aktionären." Das wird auch Thema auf der Hauptversammlung am Mittwoch, auf der ihm zwei Aktionäre unangemessene Parteinahme vorwerfen - darunter ein AfD-Lokalpolitiker.

Immerhin hat Kaeser als Lenker eines Technologie- und Maschinenbau-Konzerns nicht die Sorgen eines Dieter Zetsche. "Unsere Kunden agieren aus dem Verstand heraus, nicht aus der Emotion", sagt Kaeser. Der Daimler-Chef müsste bei kritischen Äußerungen über die AfD dagegen befürchten, dass sich potenzielle Mercedes-Käufer abwenden würden. "Sich zu politischen Themen zu äußern, kann auch mit Nachteilen verbunden sein, wenn man klare Kante zeigt. Mit den Reaktionen - vielleicht sogar Hass und Gewalt - muss man umgehen können", sagt Professor Koch mit Blick auf Kaesers Twitter-Einträge. Mehr und mehr Unternehmen engagierten sich zwar gesellschaftlich - doch aus politischen Debatten hielten sich die meisten heraus.