FRANKFURT/LEVERKUSEN (dpa-AFX) - Der Agrarchemie- und Pharmakonzern Bayer treibt den Konzernumbau voran. Unternehmensteile wurden verkauft, die Pharma-Pipeline wird gestärkt und die Integration der Saatgut-Tochter Monsanto kommt voran. Die größte Baustelle bleibt aber das Thema Glyphosat mit seinen Milliardenrisiken infolge Tausender Klagen in den USA. Die wichtigsten Punkte für das Unternehmen, was die Aktie macht und was Experten sagen:

DAS IST LOS BEI BAYER:

Vor einem Jahr verfinsterten sich die Wolken über der Bayer-Konzernzentrale in Leverkusen: Monsanto musste die erste Schlappe in einem US-Prozess um Krebsrisiken glyphosathaltiger Unkrautvernichter hinnehmen. Und es wurde noch dunkler. Alle drei bisherigen Prozesse wurden in erster Instanz verloren, die Schadenersatzforderungen liegen jeweils im mittleren bis hohen zweistelligen Millionenbereich. Mittlerweile sind es mehr als 18 000 Kläger, die Glyphosat für ihre Erkrankungen verantwortlich machen.

Der Wirbel um das Thema kostete Konzernchef Werner Baumann bei der Hauptversammlung Ende April das Vertrauen der Anleger. Mehr als die Hälfte des anwesenden Grundkapitals verweigerte ihm die Entlastung. Für Baumann hatte das zwar keine direkten Konsequenzen, auch weil große Aktionärsvertreter ihm vor allem einen Denkzettel verpassen, aber nicht an seinem Stuhl sägen wollten, ein für einen Dax-Konzern einmaliger Vorgang bleibt es dennoch.

Der Druck auf Baumann, die Glyphosat-Dauerkrise zu lösen, ist enorm. Auch der für sein aggressives Gebaren bekannte US-Milliardär und Investor Paul Singer mit seinem Hedgefonds Elliott mischt bei Bayer inzwischen mit einer Beteiligung von mehr als einer Milliarde Euro mit. Durch die Blume dachte er bereits eine Aufspaltung des Konzerns an, sollte sich der Aktienkurs nicht deutlich erholen. Bisher gibt sich Singer sich aber noch zahm. Bleiben Fortschritte aus, könnte sich das aber schnell ändern. Immerhin: Er lobte die Schritte von Bayer wie die Gründung eines Aufsichtsratsausschusses, der das Thema Glyphosat vorantreiben soll.

Auch einem möglichen Vergleich mit den Klägern scheint Baumann offener gegenüberzustehen. Offiziell fahren die Leverkusener zwar eine harte Linie, verweisen unter Berufung auf zahlreiche wissenschaftliche Studien auf die Sicherheit von Glyphosat bei richtiger Anwendung und wollen nach den Prozessniederlagen vor Berufungsgerichte ziehen. Für ihren Konzernchef kommt ein Vergleich mittlerweile aber durchaus in Frage, wenn er wirtschaftlich sinnvoll wäre. Er müsste also günstiger sein als die bisher aufgelaufenen und künftig erwarteten Kosten rund um die Rechtsstreitigkeiten. So dürften allein Anwälte und Imagekampagnen Hunderte Millionen Euro verschlingen, Tendenz stark steigend. Mit dem US-Staranwalt Ken Feinberg ist mittlerweile auch ein hochkarätiger Schlichter eingesetzt.

Ein Vergleich wäre denn auch ein Befreiungsschlag. Die aktuell unkalkulierbaren finanziellen Risiken würden sich dann in einem festen Rahmen bewegen. Mindestens genau so wichtig: das Management könnte sich wieder stärker aufs Tagesgeschäft konzentrieren.

Gerade hier gibt es jede Menge zu tun. So bezeichnete Manager Baumann die Jahresziele des Konzerns bei der Vorlage der Zahlen für das zweite Quartal als zunehmend ambitioniert. Die Agrarchemiesparte, in der Monsanto aufging, schwächelte in den letzten Monaten. Schlechtes Wetter in weiten Teilen der USA, das den Landwirten die Aussaatsaison verdarb, und der Handelsstreit zwischen den USA und China belasteten. Wie negativ sich die jüngst von China angekündigten Sonderzölle auf US-Sojabohnen auf den Saatgutanbieter auswirken, bleibt abzuwarten.

Immerhin lief es zuletzt im Geschäft mit rezeptfreien Arzneimitteln wieder besser und die rezeptpflichtigen Wachstumstreiber der Pharmasparte wie der Gerinnungshemmer Xarelto, das Augenmedikament Eylea und das Krebsmittel Stivarga sind gefragt. Ohnehin ist Bayer aktuell bemüht, die Pharmasparte zu stärken, da in einigen Jahren der Patentschutz für wichtige Umsatzbringer ausläuft.

Der Konzern sicherte sich etwa die Rechte am Krebswirkstoff Larotrectinib, der in den USA bereits zur Behandlung bestimmter Tumore zugelassen ist und in der EU mit großer Wahrscheinlichkeit genehmigt werden wird. Zudem darf in den USA mittlerweile auch das Prostatakrebs-Medikament Darolutamid verkauft werden, für das auch in der Europäischen Union und Japan Zulassungsverfahren laufen. Bayer traut dem Mittel einen Spitzenumsatz von mehr als einer Milliarde Euro zu, was es zu einem Blockbuster machen würde. Zudem übernahm Bayer das 2016 mit der Investmentgesellschaft Versant Ventures gegründete und auf Stammzelltherapien spezialisierte Gemeinschaftsunternehmen BlueRock Therapeutics Anfang August komplett.

Fortschritte gibt es auch beim Ende 2018 angekündigten Konzernumbau, mit dem die Innovationskraft und die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden sollen. Im Zuge dessen fallen bis Ende 2021 weltweit 12 000 von rund 118 000 Stellen weg.

Durch den Verkauf von Konzernteilen schrumpft die Mitarbeiterzahl nochmals. So trennte sich Bayer von der Hautpflegemarke Coppertone und der US-Fußpflegemarke Dr. Scholl‘s, die beide schon lange schwächelten. Zudem wurde die Mehrheitsbeteiligung am Chemieparkbetreiber Currenta veräußert und die Tierarznei-Sparte an den US-Wettbewerber Elanco verkauft. Zu den Veräußerungserlösen von mehr als 11,2 Milliarden Dollar (rund 10,1 Milliarden Euro) steuerte allein die Tiergesundheit 7,6 Milliarden Dollar bei. Das Geld kann Bayer gut für den Schuldenabbau und die Stärkung des Pharmageschäfts brauchen.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Fortschritte beim Konzernumbau trieben zuletzt eine Erholung des Aktienkurses vom Siebenjahrestief im Juni von 52,02 Euro an. Mit aktuell rund 67 Euro ging es seither um mehr als ein Viertel nach oben.

Der mittelfristig größte Kurstreiber - egal in welche Richtung - dürfte aber der Ausgang der Causa Glyphosat werden. Ein Vorgeschmack gab es am 9. August als die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf eine mit den Verhandlungen vertraute Person über einen Vergleichsvorschlag von Bayer zur Beilegung alle aktuell anhängigen US-Klagen in Höhe von bis zu 8 Milliarden US-Dollar berichtet hatte. Der Aktienkurs schoss daraufhin um bis zu rund 11 Prozent auf etwas mehr als 70 Euro nach oben. Am Ende blieb aber nur ein deutliches kleineres Plus von 2,64 Prozent - Schlichter Ken Feinberg hatte den Bericht dementiert.

Mit den derzeit knapp 67 Euro kosten die Aktien noch rund 28 Prozent weniger als nach der ersten Glyphosat-Prozessschlappe vor einem Jahr. Im Vergleich zum Rekordhoch von 146,45 Euro im Frühjahr 2015 verlor der Kurs mehr als Hälfte.

An der Börse bringt es der Dax-Konzern aktuell auf einen Wert von 62,6 Milliarden Euro. Damit ist Bayer nur etwas mehr wert, als im vergangenen Jahr für Monsanto gezahlt wurde: Das waren 63 Milliarden Dollar oder nach aktuellem Wechselkurs rund 56,6 Milliarden Euro.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Die meisten der 15 durch dpa-AFX erfassten Analysten trauen den Aktien eine weitere Erholung zu. Zehn der Kursziele liegen über dem aktuellen Kursniveau. Das durchschnittliche Ziel beträgt knapp 77 Euro. Dabei gibt es sechs Kaufempfehlungen, acht Experten raten zum Halten und mit Tobias Gottschalt von Independent Research rät nur einer zum Verkaufen. Gottschalt lobt zwar die Fortschritte beim Verkauf von Unternehmensteilen, bleibt wegen der Glyphosat-Klagen aber vorsichtig.

Analysten wie Gunther Zechmann von Bernstein Research hatten nach dem Bloomberg-Bericht über einen Vergleichsvorschlag durch Bayer denn auch die Aussicht auf eine Einigung in der Causa Glyphosat positiv bewertet. Alles unter 30 Milliarden Dollar wäre laut Zechmann positiv für den Aktienkurs. Sollten es tatsächlich nur 8 Milliarden werden, hätte der Kurs wohl deutlich Luft nach oben.

Der größte Optimist ist aktuell Analyst Markus Mayer von der Baader Bank, der ein Kursziel von 123 Euro errechnet. Er lobte die Verkaufspreise für Coppertone, Dr. Scholl‘s und Currenta. Zudem könnte die Gründung des Aufsichtsratsausschusses zum Thema Glyphosat signalisieren, dass eine Lösung schneller kommen könnte als gedacht. Sogar eine Einigung mit der Klägerseite auf 15 bis 20 Milliarden Euro wäre in den Augen von Mayer noch positiv für den Aktienkurs./mis/knd/he