LEVERKUSEN/LUDWIGSHAFEN (awp international) - Kaum mehren sich die Hoffnungen auf ein Ende der Glyphosat-Krise, rückt bei Bayer der nächste US-Rechtsstreit stärker in den Fokus. Ein Geschworenengericht verurteilte den Agrarchemie- und Pharmakonzern sowie den Chemiekonzern BASF im Rechtsstreit um den Unkrautvernichter Dicamba zu millionenschwerem Schadenersatz.

Das Ausmass des Falls sei lange nicht mit der Causa Glyphosat vergleichbar, dürfte den Anlegern aber zumindest kurzfristig Kopfschmerzen bereiten, erklärte Analyst Alistair Campbell vom Invesmenthaus Liberum. Die Aktien beider Konzerne fielen am Montag in einem insgesamt freundlichen Gesamtmarkt: Bayer um mehr als zwei Prozent und BASF um mehr als 1 Prozent.

Laut einem Urteil von Samstag sollen die beiden Unternehmen dem Pfirsich-Bauern Bill Bader aus Missouri 265 Millionen US-Dollar (245 Mio Euro) zahlen. Dies teilt sich in 15 Millionen Schadenersatz sowie zusätzlich 250 Millionen Dollar Strafschadenersatz auf.

Bader beschuldigt Bayer und BASF, dass er durch den Einsatz von Dicamba auf benachbarten Feldern Ernteverluste erlitten habe, da Teile des Unkrautvernichters auf seine Plantagen geweht worden sein sollen. Den Schaden bezifferte er auf 21 Millionen Dollar. Wie der Schadenersatz unter den Unternehmen aufgeteilt wird, blieb zunächst offen.

Das jetzt in Missouri gefällte Urteil ist das erste in einer Reihe laufender Verfahren. Bayer kündigte am Montag Berufung an. Dicamba sei für die Ernteverluste nicht verantwortlich. "Im Gerichtsverfahren wurden von Herrn Bader keine qualifizierten Beweise dafür vorgelegt, dass Monsantos Produkte auf seiner Farm vorhanden und für seine Verluste verantwortlich waren." BASF kündigte ebenfalls Rechtsmittel an: "Wir sind überrascht und enttäuscht von der Entscheidung der Jury und planen in Berufung zu gehen", sagte ein Unternehmenssprecher.

Die Anwälte der Unternehmen hatten argumentiert, die Pfirsich-Felder hätten bereits vor 2015 gelitten und führten Wetterbedingungen wie Hagel und späten Frost für die Schäden an. Beide Unternehmen führten zudem an, dass die aktuelle Variante von Dicamba nicht verwehen könne, wenn sie korrekt angewendet werde.

Die US-Umweltschutzbehörde EPA hatte die Zulassung von Dicamba erst im November 2018 mit Einschränkungen bis Ende 2020 verlängert. Zuvor hatte es zahlreiche Beschwerden gegeben, weil das Mittel mutmasslich vom Wind auf anderer Felder verweht worden war. So setzen Landwirte das Mittel auf Feldern ein, auf denen sie etwa XTend-Sojabohnen-Sorten von Monsanto anbauen, die gegen Dicamba resistent sind. Wird der Wirkstoff aber durch Wind auf andere Felder verweht, können dort nicht-resistente Pflanzen Schaden nehmen. Laut den Auflagen der EPA von Ende 2018 darf mittlerweile nur noch speziell geschultes Personal Dicamba ausbringen.

Analyst Jonas Oxgaard von Bernstein Research geht nach dem Urteil im Fall Bader davon aus, dass Bayer schon bald das Xtend-Saatgut vom Markt nehmen könnte. Das mittlerweile in Bayer aufgegangene Monsanto hatte mit Xtend erst vor wenigen Jahren Soja- und Baumwollsaatgut auf den Markt gebracht, das gegen die Unkrautvernichter Glyphosat und Dicamba resistent ist. Nur 100 Fälle mit jeweils nur zehn Prozent der im Fall Bader im Raum stehenden Schadenersatzsumme würden sich auf mehr summieren, als XTend wert sei, glaubt Oxgaard.

Bayer hatte Monsanto 2018 übernommen und sich mit dem mehr als 60 Milliarden Dollar schweren Kauf zahlreiche Rechtsrisiken ins Haus geholt. So sind die Leverkusener in den USA mit zehntausenden Klagen wegen angeblicher Krebsrisiken von Monsantos Unkrautvernichter Glyphosat konfrontiert.

Die ersten drei Prozesse hatte Bayer verloren und hohe Schadenersatzurteile kassiert. Allerdings will der Konzern die Schuldsprüche in Berufungsverfahren aufheben lassen. Zeitgleich laufen hinter den Kulissen auf Hochtouren Vergleichsgespräche unter der Aufsicht des US-Staranwalts Ken Feinberg, der als Vermittler zwischen Bayer und Klägern verpflichtet wurde. Alle weiteren Verfahren wurden erst einmal vertagt, um den Streitparteien Zeit für Verhandlungen zu verschaffen. Die meisten Analysten rechnen mit einem milliardenschweren Vergleich./mis/knd/jha/