FRANKFURT/BERLIN (awp international) - Verbraucherschützer befürchten Rechtsunsicherheit, deutsche Unternehmen wirtschaftliches Chaos: Die Ablehnung des Brexit-Abkommens durch das britische Parlament sorgt für Verunsicherung. "Ein "No Deal" bedeutet nicht einfach nur Güterhandel mit Zöllen, sondern dürfte den Handel zwischen der EU und Grossbritannien vorübergehend komplett zum Erliegen bringen", sagte der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Dennis Snower, am Mittwoch. Manche Ökonomen halten aber auch ein zweites Referendum in Grossbritannien über die EU-Mitgliedschaft des Landes für möglich.

Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller, forderte, Grossbritannien müsse alles dafür tun, damit es einen geregelten Austritt gebe. "Ein Austritt ohne Abkommen würde nicht nur die Wirtschaft schädigen, sondern auch Verbraucher im Regen stehen lassen." Viele Verbraucher planten bereits ihren Osterurlaub. "Sie brauchen dringend Klarheit darüber, welche Regeln dann gelten werden und ob sie bei einem Urlaub in Grossbritannien noch auf ihre gewohnten Rechte vertrauen können."

Der Präsident des Maschinenbauverbandes VDMA, Carl Martin Welcker, bezeichnete es als "schlicht verantwortungslos, dass die britische Regierungskoalition zehn Wochen vor dem Austrittstermin noch um eine einheitliche Position streitet". Die Zeit bis zum 29. März dränge, Grossbritannien müsse jetzt rasch Lösungen aufzeigen, wie das Austrittsabkommen noch abgeschlossen werden könne.

Die deutsche Agrar- und Ernährungsbranche zeigte sich besorgt. "Ein offener Markt mit dem Vereinigten Königreich hat für uns immer noch höchste Priorität", sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied. Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) erklärte, betroffen sei auch die Fischerei, die bisher wichtige Fangmöglichkeiten in britischen Gewässern nutze. Die Bundesregierung werde sich in der EU um Antworten auf die jetzt entstehenden Probleme bemühen.

Bereits unmittelbar nach der Entscheidung des britischen Parlaments am Dienstagabend warnte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vor dramatischen Folgen. "Unternehmen diesseits und jenseits des Ärmelkanals hängen weiter in der Luft. Ein chaotischer Brexit rückt in gefährliche Nähe", sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Es drohe eine Rezession in der britischen Wirtschaft, die auch an Deutschland nicht unbemerkt vorüberziehen würde.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag betonte, die Unternehmen müssten sich jetzt verstärkt vorbereiten. "Ohne Abkommen droht der Brexit völlig ungeregelt abzulaufen", sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer in Berlin. Für die deutsche Wirtschaft stehe viel auf dem Spiel. Grossbritannien sei Deutschlands fünftwichtigster Handelspartner, das Handelsvolumen betrage 122 Milliarden Euro.

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) bezeichnete die Ablehnung des Brexit-Abkommens in London als "politisch fahrlässig". Spuren hat der bevorstehende Brexit bereits bei der Chemie- und Pharmabranche hinterlassen. Im vergangenen Jahr sank das Handelsvolumen mit dem Vereinigten Königreich um fast 10 Prozent auf 16 Milliarden Euro, wie erste Schätzungen des Branchenverbands VCI zeigen.

Manche Ökonomen halten nun ein zweites Referendum in Grossbritannien für möglich. "Neuwahlen oder ein erneutes Referendum sind damit wesentlich wahrscheinlicher geworden, aber auch das Risiko eines ungeordneten Ausstiegs ist deutlich gestiegen", sagte Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise. Nach Einschätzung von Commerzbank -Chefvolkswirt Jörg Krämer dürften sich Grossbritannien und die EU darauf einigen, den Austrittstermin um drei Monate auf Ende Juni zu verschieben, um Zeit zu gewinnen.

"Vermutlich reift in dieser Phase in Grossbritannien die Einsicht, die Briten ein zweites Mal über den Brexit abstimmen zu lassen. Das halte ich für wahrscheinlicher als einen ungeordneten Brexit, der zu grossen wirtschaftlichen Problemen führen würde", sagte Krämer.

Ifo-Präsident Clemens Fuest forderte Grossbritannien und die EU auf, die Verhandlungen zu einem Brexit-Abkommen wieder aufzunehmen. "Ein harter Brexit mit seinen riesigen Kosten muss vermieden werden", sagte Fuest. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, erwartet dagegen, "dass ein wirtschaftliches Chaos verhindert wird, zum Beispiel durch Einzelabkommen für eine Übergangsphase"./mar/DP/jha