FRANKFURT (dpa-AFX) - Als ob die seit der Finanzkrise teilverstaatlichte Commerzbank wegen Corona und Kostendruck nicht schon genug Probleme gehabt hätte, hat der überraschende Doppelrücktritt des Aufsichtsratschefs Stefan Schmittmann und des Vorstandsvorsitzenden Martin Zielke Anfang Juli auch noch ein Führungschaos ausgelöst. Was bei der Commerzbank los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.

DAS IST LOS BEI DER COMMERZBANK:

Bei der zweitgrößten börsennotierten Bank Deutschlands beherrscht seit Wochen nur ein Thema die Agenda - die Suche nach neuen Leuten für die Spitze der Bank. Dabei wollte die Commerzbank bei der Vorlage der Zahlen zum zweiten Quartal Anfang August eigentlich auch eine neue Strategie vorstellen, inklusive eines deutlich verschärften Sparkurses mit weiteren Stellenstreichungen. Doch damit rechnet inzwischen niemand mehr - schließlich dürfte das der neue Chef machen und nicht mehr der aus dem Amt scheidende Martin Zielke, der spätestens Ende Dezember nach nicht einmal fünf Jahren den Weg für einen Neuanfang frei macht.

Der Manager war am Druck von einigen aggressiven Anlegern wie dem US-Finanzinvestor Cerberus, dem zweitgrößten Anteilseigner der Bank, gescheitert. Zudem fehlte ihm der Rückhalt des Bundes, der mit knapp 16 Prozent der Anteile nach wie vor der größte Aktionär der Bank ist. Zerrieben zwischen den beiden großen Anteilseignern und den Forderungen der Arbeitnehmervertreter, den Sparkurs nicht zu stark zu verschärfen, warf Zielke schließlich hin, will aber immerhin sein Amt geordnet übergeben und bleibt solange an Bord, bis ein Nachfolger gefunden ist.

Anders macht es Aufsichtsratschef Schmittmann. Er will so schnell wie möglich weg - und zwar noch bei der Sitzung des Aufsichtsgremiums an diesem Montag. Dies wäre auch sinnvoll, da der neue Vorstandschef im Idealfall von dem neuen Mann oder der neuen Frau an der Spitze des Aufsichtsgremiums gesucht werden sollte. Aber bei der Commerzbank drängt die Zeit, schließlich hat sie durch ihren zögerlichen Umbau schon viel davon verloren. Und die Corona-Krise hat die Lage noch mal verschärft.

Aber die Suche nach dem Aufsichtsratschef droht zur Posse zu werden. Das Frankfurter Geldhaus stößt dabei wieder einmal auf Widerstand von Großaktionär Cerberus. Vor dem Treffen des gesamten Aufsichtsrats, der am Montagnachmittag zusammenkommt, brachte sich der Finanzinvestor in Stellung gegen den Kandidaten Hans-Jörg Vetter. Der frühere Chef der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) wird als Favorit für Schmittmanns Nachfolge gehandelt.

"Wir haben ernsthafte Zweifel, dass Hans-Jörg Vetter die richtige Person für diese Aufgabe ist und über die richtige Erfahrung hierfür verfügt", heißt es in einem Brief von Cerberus an den Aufsichtsrat, der den Nachrichtenagenturen dpa und dpa-AFX vorliegt. Cerberus hat nach eigenen Angaben zwei andere Kandidaten für die Aufsichtsratsspitze ausgemacht. Diese hätten die nötigen Qualifikationen, um den Posten zu besetzen, und dürften "aller Vermutung nach auch das Vertrauen aller wichtigen Interessengruppen genießen", heißt es in dem Schreiben. "Wir würden uns freuen, sie dem Nominierungsausschuss und dem gesamten Aufsichtsrat schnellstmöglich vorstellen zu können."

Cerberus will zwei Sitze im Aufsichtsrat besetzen. Vetter (67) hat viel Restrukturierungserfahrung als früherer Chef der LBBW, die im Zuge der der Finanzkrise ab 2007 in Schieflage geraten war. Zudem sanierte er die ehemalige Bankgesellschaft Berlin, die sich mit Immobilienengagements verhoben hatte. Allerdings fehle es ihm an Führungserfahrung in börsennotierten Unternehmen, monieren Kritiker.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Viele Analysten haben in den vergangenen Wochen positiv auf den angekündigten Rückzug Zielkes reagiert. Sie machen sich jetzt Hoffnung auf deutlich ehrgeizigere Ziele. Experten etwa von der UBS, der Deutschen Bank und den US-Häusern JPMorgan und Citi haben seit der Ankündigung ihre Ziele für die Commerzbank-Aktie erhöht. Damit stieg das durchschnittliche Kursziel auf knapp fünf Euro und liegt damit deutlich über das aktuelle Niveau.

Das Analysehaus Kepler Cheuvreux stufte die Aktie von "Reduce" auf "Buy" zwei Stufen hoch und setzte das Kursziel von 2,85 auf 7 Euro nach oben. Er sei vom "Langzeitbären" zum "Bullen" geworden, schrieb Kepler-Cheuvreux-Analyst Tobias Lukesch. Von der neuen Konzernführung erwartet er sich "rigorose Sparmaßnahmen" und daraus resultierend eine deutliche Steigerung der Eigenkapitalrendite (RoTE).

Sein Ziel von sieben Euro ist derzeit das höchste der im dpa-AFX Analyser erfassten Experten. Auch wenn die Hoffnung auf ehrgeizigere Ziele hoch sind, halten sich die Analysten mit Kaufempfehlungen insgesamt noch zurück. Neben Kepler sind das derzeit nur die HSBC und Morgan Stanley. Das Gros der Experten - zehn der 18 erfassten - stuft die Aktie mit einer abwartenden "Halten"-Einstufung ein; vier raten zum Verkauf.

Bei den am Mittwoch anstehenden Quartalszahlen gehen die von der Bank selbst befragten Experten davon aus, dass die Corona-Krise tiefe Spuren hinterlassen hat. So dürften zwar die Erträge vor allem dank gestiegener Provisionseinnahmen infolge des lebhaften Handels der Kunden an den Kapitalmärkten um sechs Prozent auf 2,26 Milliarden Euro gestiegen sein. Diese Effekte werden aber durch eine deutlich höhere Risikovorsorge mehr als zunichte gemacht. Das operative Ergebnis dürfte sich daher auf zirka 150 Millionen Euro halbieren.

Bei der Risikovorsorge rechnen die Analysten mit einem Anstieg auf 475 Millionen Euro nach 178 Millionen ein Jahr zuvor. Im ersten Quartal hatte die Bank 326 Millionen für gefährdete Kredite zurückgelegt, so dass sich die Risikovorsorge nach den ersten sechs Monaten des Jahres bereits auf rund 800 Millionen Euro belaufen dürfte. Daher dürfte es spannend sein, ob die Commerzbank bei ihrer Prognose für die Risikovorsorge in diesem Jahr von 1,0 bis 1,4 Milliarden Euro bleiben wird.

Zuletzt hatten einige britische Banken ihre Prognosen für die Risikovorsorge deutlich erhöht und damit die Stimmung bei den Investoren stark belastet. Analysten gehen auch nicht davon aus, dass die von der Commerzbank in Aussicht gestellten bis zu 1,4 Milliarden Euro reichen. Ihre Durchschnittsschätzung für diesen Posten in diesem Jahr lag zuletzt bei rund 1,6 Milliarden Euro.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Immerhin kam der angekündigte Abgang von Zielke, dessen Sparbemühungen den meisten Investoren nicht ausgereicht hatten, an der Börse gut an. Seit der Ankündigung seines Rücktritts hat der Aktienkurs um knapp sechs Prozent angezogen und sich damit etwas besser entwickelt als der MDax und vor allem der europäische Banken-Auswahlindex Stoxx 600 Banks.

Das ändert aber nichts an dem mittel- und langfristig schwachen Trend der Aktie. Seit Ende 2019 sackte der Kurs um etwas mehr als Fünftel auf zuletzt rund 4,35 Euro ab. Zwischenzeitlich hatte es noch schlimmer ausgesehen. Im Zuge der von der Corona-Pandemie ausgelösten Panik an den Märkten war die Aktie Mitte März bis auf 2,804 Euro gerutscht und damit so billig zu haben wie nie zuvor.

Mit ihrem Kursverlust lag die Commerzbank-Aktie im ersten Halbjahr 2020 in der unteren Hälfte des MDax. Bereits 2019 hatte sie knapp fünf Prozent verloren und damit zu den wenigen Verlierern unter den deutschen Standardaktien gehört.

Mittel- und langfristig sieht die Bilanz noch schlechter aus. Auf Sicht von fünf Jahren summieren sich die Verluste auf rund 60 Prozent, über zehn Jahre gesehen sogar auf fast 90 Prozent. Wegen der immensen Kursverluste hatte die Bank im September 2018 den Platz im Dax räumen müssen - ausgerechnet für den damals noch hoch im Kurs stehenden Zahlungsdienstleister Wirecard, der inzwischen im Strudel eines Bilanzskandals Insolvenz anmelden musste.

Doch mit einem Börsenwert von gerade mal knapp 5,5 Milliarden Euro ist die Commerzbank kein Kandidat für die Rückkehr in den Dax, wenn Wirecard den deutschen Leitindex verlassen muss. Noch weiter entfernt ist das Kursniveau, das die Commerzbank-Aktie vor der Finanzkrise hatte. Das rechnerische - um viele Kapitalerhöhungen und Aktienzusammenlegungen bereinigte - Rekordhoch der Anteilsscheine datiert aus dem Jahr 2000 und liegt bei 288,64 Euro.

Kurz vor Ausbruch der Finanzkrise und dem Einstieg des Staates hatte der Kurs umgerechnet bei mehr als 200 Euro gelegen. Seitdem summiert sich das Minus auf knapp 98 Prozent. Nach den Verlusten in den vergangenen Wochen, Monaten und Jahren dürfte es für den Bund auf absehbare Zeit wohl kaum möglich sein, das in die Bank gesteckte Geld wieder hereinzuholen. Das Aktienpaket der Bundesrepublik Deutschland ist derzeit nur gut 800 Millionen Euro wert. Der Bund müsste aber rund fünf Milliarden erlösen, um bei der Bank ohne Verluste auszusteigen./zb/stw/fba