Nach zwei schwierigen Jahren dürfte 2020 zwar die Talsohle erreicht werden, prognostizierte jüngst der Branchenverband VCI. Die Unternehmen fahren aber auf Sicht, denn niemand mag vorhersehen, wann sich der Handelskonflikt zwischen den USA und China löst. Daher sind bei vielen Chemiekonzernen Kostensenkungen angesagt. "Egal mit welcher Firma man momentan spricht, jeder überlegt, wo noch Kosten rausgenommen werden können", sagt Portfoliomanager Patrick Jahnke von der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka.

Der Branchenriese BASF hat bereits Ende 2018 ein Sparprogramm angekündigt, um sich wetterfest zu machen. Im Sommer wurde dann noch der Abbau von weltweit 6000 Stellen bekanntgegeben. Vorstandschef Martin Brudermüller rief 2019 zum Übergangsjahr aus. Im Zuge einer neuen Unternehmensstrategie wurden rund 20.000 Mitarbeiter organisatorisch neu zugeordnet. Wie fit BASF dadurch für 2020 ist, wollte Brudermüller bislang noch nicht sagen. Die geopolitischen Rahmenbedingungen blieben aber herausfordernd, erklärte er zur Bilanz des dritten Quartals. "Es liegt nicht in unserer Macht, diese ungünstigen Bedingungen zu ändern."

Brudermüllers Hoffnungen auf eine Entspannung bei den Handelskonflikten in diesem Jahr erfüllten sich nicht. Und es steht in den Sternen, wann es zu einer Einigung kommt. Erst vor wenigen Tagen sorgte US-Präsident Donald Trump mit der Aussage, er könne sich ein Handelsabkommen mit China auch nach der US-Präsidentenwahl im November 2020 vorstellen, für Nervosität an den Börsen. Derweil befindet sich mit der Autoindustrie eine der wichtigsten Kundengruppen der Chemiebranche im Umbruch. Sie kämpft mit strengeren Klimaschutzvorgaben, weshalb sie Milliarden in Elektroautos sowie alternative Antriebe steckt und Tausende Stellen streicht.

KEINE EUPHORIE

Belastend wirkt sich für die deutschen Chemieunternehmen aber auch aus, dass in der Basis-Chemie - also der Herstellung von chemischen Grundstoffen - weitere Kapazitäten von Wettbewerbern aus den USA und China auf den Markt gebracht werden. Dadurch könnte sich der Preisdruck in diesem Geschäft, das vor allem für BASF und Covestro von Bedeutung ist, weiter verschärfen. Unterstützend wirken sich dagegen etwa die Geschäfte mit dem nach wie vor boomenden Bau aus, ein weiterer großer Industriezweig, den die Chemiebranche mit Produkten wie Dämmstoffe beliefert. "Das muss halten, bis die Autoindustrie wieder stark wird", sagt Fondsmanager Arne Rautenberg von Union Investment. Er rechnet mit einer Bodenbildung in der Chemiebranche im kommenden Jahr. "Und auch die ist noch nicht gewiss, viel euphorischer kann man da aktuell leider nicht werden."

Der Branchenverband VCI geht 2020 von einem Mini-Anstieg der chemisch-pharmazeutischen Produktion in Deutschland um 0,5 Prozent aus, der allerdings nur vom Pharmageschäft getragen wird. In der Chemiebranche alleine dürfte die Produktion um 0,5 Prozent sinken - nach einem erwarteten Rückgang von 2,5 Prozent in diesem Jahr. Bei stagnierenden Preisen rechnet der VCI dank anziehender Geschäfte mit ausländischen Kunden mit einem Umsatzplus von 0,5 Prozent. Das sind maue Aussichten für Deutschlands drittgrößte Branche, die als wichtiger Konjunkturindikator gilt, da ihre Produkte praktisch in allen großen Industriezweigen benötigt werden. "Die geringe wirtschaftliche Dynamik wird sich noch weit ins kommende Jahr ziehen", warnt VCI-Präsident Hans Van Bylen.

SORGE UM DIE JOBS

Die schwierigen Rahmenbedingungen machen es den Unternehmen nach Einschätzung von Fondsmanager Rautenberg leichter, Kostensenkungen zu begründen. "Ich erwarte aber keinen Kahlschlag wie in der Autobranche." Die Chemiebranche leide nicht unter strukturellen Problemen wie diese wichtige Kundengruppe von ihr. "Hier geht es darum, wieder etwas effizienter zu werden nach den guten Jahren, wo sich etwas Speck ansetzte." Die Essener Evonik will ihr 2018 begonnenes Sparprogramm, das den Abbau von bis zu 1000 Stellen vorsieht, beschleunigen und die Kosten weiter drücken, wenn die Wirtschaft 2020 nicht anzieht, wie Vorstandschef Christian Kullmann vor kurzem angekündigte.

Der Kunststoffhersteller Covestro will bis Ende 2020 rund 900 der weltweit etwa 16.200 Stellen streichen, ab 2021 sollen Kosteneinsparungen von 350 Millionen Euro pro Jahr erreicht werden, hatte sich der Dax-Konzern schon vor über einem Jahr vorgenommen. Eine weitere Anpassung sei derzeit nicht geplant, sagte ein Sprecher. Als Ausnahme sticht unter den größeren börsennotierten Chemieunternehmen Lanxess heraus. Der Kölner Spezialchemiekonzern musste dieses Jahr, anders als etwa BASF, seine Geschäftsziele nicht senken und hat auch kein Sparprogramm aufgelegt. Lanxess hat allerdings bereits auch eine umfassende Neuausrichtung hinter sich.

Insgesamt sind die deutschen Chemieunternehmen nach Einschätzung von Deka-Fondsmanager Jahnke relativ gut aufgestellt. Dabei zahlt sich die zunehmende Konzentration auf das weniger zyklische Spezialchemiegeschäft aus. Viel Geld wurde in Forschung und Entwicklung gesteckt, beim Thema Nachhaltigkeit versuchten sich viele Konzerne als Lösungsanbieter zu positionieren. Das werde sich dann auch in höherem Wachstum zeigen. "Es muss aber noch einiges an Hausaufgaben zu Ende gemacht werden."