Die Geschworenen des Gerichts im kalifornischen Oakland urteilten, dass Bayer mehr als zwei Milliarden Dollar Schadenersatz an das krebskranke Ehepaar Alva und Alberta Pilliod zahlen müsse. Es macht die jahrzehntelange Verwendung des glyphosathaltigen Unkrautvernichters Roundup der Bayer-Tochter Monsanto für seine Erkrankung verantwortlich. Bayer will gegen die Entscheidung der Jury Rechtsmittel einlegen. Der Konzern gerät mit dem jüngsten Urteil immer mehr in Bedrängnis: "Bayer steht mit dem Rücken an der Wand", sagte Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer beim Aktionärsverband DSW, zu Reuters. "Das Schicksal liegt jetzt alleine in den Händen der Richter in den Berufungsverfahren."

An der Börse schlug das Urteil hohe Wellen: Bayer-Aktien fielen bis zu fünf Prozent auf den tiefsten Stand seit sieben Jahren und waren mit Abstand größter Verlierer im Dax. Nach Einschätzung von Analyst Markus Mayer von Baader Helvea hat das Risiko weiter zugenommen, dass Bayer in das Visier von aktivistischen Investoren gerät oder ein Übernahmeziel wird. Der Hedgefonds Elliott, der Insidern zufolge mit unter drei Prozent bei Bayer eingestiegen ist, hält sich bislang bedeckt.

"Die weitere Kursentwicklung von Bayer wird auf unabsehbare Zeit von den Nachrichten aus den Gerichtssälen abhängen. Es stellen sich viele Fragen nach der Due Diligence, Fragen ob diese wirklich vollumfänglich war, welche Risiken schon vorher erkannt und bewertet wurden und wie das Unternehmen vor allem zukünftig mit diesen Risiken umgehen wird", sagte Nicolas Huber, Head of Corporate Governance bei der DWS. Die großen deutschen Fondshäuser hatten die Bayer-Führung bereits auf der Hauptversammlung Ende April kritisiert, die mit der Monsanto-Übernahme verbundenen Rechtsrisiken unterschätzt zu haben. Der Vorstand um Bayer-Chef Werner Baumann wurde nicht entlastet, ein bis dahin einmaliger Vorgang bei einem Dax-Konzern.

BEI INVESTOREN SINKT DIE ZUVERSICHT

In den USA gibt es inzwischen etwa 13.400 Kläger wegen des von Monsanto entwickelten Herbizids Glyphosat. In zwei Fällen wurde der Konzern bereits zu Schadenersatzzahlungen von insgesamt knapp 160 Millionen Dollar verurteilt. Im Fall des Ehepaars Pilliod, die beide über 70 Jahre alt und an Lymphdrüsenkrebs erkrankt sind, befand die Jury, dass das Unternehmen es versäumt habe, vor dem Krebsrisiko des Herbizids zu warnen, und fahrlässig gehandelt habe. Sie verurteilte Bayer zu Strafschadenersatz von zwei Milliarden und Schadensersatz von 55 Millionen Dollar. Der hohe Strafschadenersatz dürfte aber gesenkt werden, da der Oberste Gerichtshofs der USA das Verhältnis von Strafschadenersatz zu Schadenersatz in vorherigen Entscheidungen auf 9:1 begrenzt hat.

Bayer hat zwar Berufung eingelegt oder angekündigt, viele Experten gehen aber letzten Endes von einem teuren Vergleich aus. "Es zeigt wieder, dass sich Bayer mit der Akquisition erhebliche rechtliche und finanzielle Risiken eingekauft hat, die sich zum heutigen Zeitpunkt nur schwer quantifizieren lassen", sagte Fondsmanager Markus Manns von Union Investment zu Reuters. "Mit jedem negativen Urteil sinkt die Zuversicht, dass das zukünftige Settlement bei etwa fünf Milliarden Dollar liegen wird, wie von vielen Analysten geschätzt." Die Ratingagentur Moody`s hatte zuletzt durchgerechnet, dass Bayer einen Vergleich von bis zu fünf Milliarden Dollar verkraften könnte, über 20 Milliarden aber schwer verdaulich wären. Der Rechtstreit wird sich jedenfalls noch Jahre hinziehen.

BAYER: URTEIL HAT KEINEN EINFLUSS AUF KÜNFTIGE VERFAHREN

Die Vorwürfe gegen Glyphosat hat Bayer stets zurückgewiesen und darauf verwiesen, dass Zulassungsbehörden weltweit das Herbizid bei sachgemäßer Anwendung als sicher bewerteten. Erst kürzlich hatte die US-Umweltbehörde EPA ihre Einschätzung bekräftigt, dass Glyphosat nicht krebserregend ist. Die Kläger, die ihre Krebserkrankung auf den Kontakt mit Glyphosat zurückführen, sehen das jedoch anders. Sie berufen sich auf die internationale Krebsforschungsagentur IARC, die den Wirkstoff als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft hat.

Bayer teilte mit, der Konzern sei von der Entscheidung der Jury in Oakland enttäuscht. Das Urteil stehe in direktem Widerspruch zur Einschätzung der EPA und habe keinen Einfluss auf künftige Verfahren. Das Ehepaar Pilliod habe zudem eine lange Historie von Vorerkrankungen, die erhebliche Risikofaktoren für eine Erkrankung am Non-Hodgkin-Lymphom, eine bösartige Erkrankung des lymphatischen Systems, darstellten. Alberta Pilliod forderte Bayer auf, das Spritzmittel Roundup mit einem Warnhinweis zu versehen. Sie und ihr Mann hätten das Produkt nicht verwendet, wenn sie auf ein Krebsrisiko aufmerksam gemacht worden wären. "Wir kämpfen seit mehr als neun Jahren gegen Krebs und können nichts tun, was wir tun wollten. Das nehmen wir Monsanto wirklich übel", sagte Pilliod.

Das nächste Glyphosat-Verfahren beginnt im August vor einem Gericht im US-Bundesstaat Missouri, wo Monsanto seine Wurzeln hat und die Landwirtschaft zu den wichtigsten Industriezweigen gehört. Zum ersten Mal wird sich dann eine Jury außerhalb Kaliforniens mit dem Thema beschäftigen.