MÜNCHEN (awp international) - Die schwächelnde Kraftwerkssparte hat die Ergebnisse des Elektrokonzerns Siemens im zweiten Quartal erneut belastet. Eine starke Entwicklung bei den digitalen Geschäften sowie der Bahnsparte konnte die Rückgänge nicht vollständig ausgleichen, das operative Ergebnis ging zurück. Unter dem Strich verdiente Siemens jedoch deutlich mehr - auch dank eines Buchwerteffektes. Die Gewinnprognose erhöhte der Konzern. Investoren zeigten sich zufrieden: Die Aktie konnte am Mittwochmorgen ihren zuletzt eingeschlagenen Erholungskurs trotz eines leicht negativen Marktumfeldes fortsetzen und führte die Gewinnerliste im Dax mit deutlichem Vorsprung an.

Siemens kann derzeit auf volle Auftragsbücher blicken. Der Auftragsbestand erreichte mit 129 Milliarden Euro einen Rekord, wie Finanzvorstand Ralf Thomas am Mittwoch in einer Telefonkonferenz erläuterte. Der Manager zeigte sich daher zuversichtlich für die Entwicklung des zweiten Halbjahres. Auch geht Thomas davon aus, dass sich die starke Entwicklung der digitalen Geschäfte im dritten Quartal weiter fortsetzen wird. Es sei jedoch "naiv" zu glauben, die hohen Wachstumsraten auf Dauer so beibehalten zu können, räumte er ein.

Das Digitalgeschäft konnte im zweiten Quartal glänzen: Die Sparte steigerte Umsätze und Ergebnisse im zweistelligen Prozentbereich und profitierte dabei von guten Software-Geschäften sowie dem zunehmenden Trend zur Fabrikautomatisierung. Die Umsätze erhöhten sich um ein Fünftel auf knapp 3,3 Milliarden Euro, die Ergebnisse um 40 Prozent auf 682 Millionen Euro. Mit einer Ergebnismarge von gut 21 Prozent ist der Bereich der Profitabelste im Siemens-Konzern.

Auch das Bahngeschäft entwickelte sich weiter robust. Die Sparte steht vor dem Zusammenschluss mit dem französischen Konkurrenten Alstom und konnte Umsatz und Ergebnis ebenfalls massgeblich verbessern. Der Bereich sei auf die Fusion "hervorragend vorbereitet", sagte Thomas. Mit Ausnahme der schwächelnden Geschäfte in der Prozessindustrie und der Kraftwerkssparte erreichten oder übertrafen alle Geschäfte die angestrebten Margenziele.

Im Kraftwerksgeschäft zeichnet sich weiterhin keine Entspannung ab. Umsatz, Auftragseingang und Ergebnis brachen im zweistelligen Prozentbereich ein. Die Ergebnismarge lag mit 3,9 Prozent deutlich unter dem Ziel von 11 bis 15 Prozent. Siemens will mit Einsparungen dagegen steuern und 6100 Stellen abbauen, davon die Hälfte in Deutschland. Erst am Vortag hatte sich der Konzern mit der Gewerkschaft IG Metall auf ein Rahmenabkommen geeinigt, das Werksschliessungen in Deutschland weitgehend vermeiden soll. Siemens erwarte in der Sparte zum Ende des Geschäftsjahres beträchtliche Kosten für den Personalabbau, sagte das zuständige Vorstandsmitglied Lisa Davis. In den USA, wo rund 30 Prozent des Abbaus geplant sind, sei Siemens bereits in der Umsetzung. Für Deutschland strebt Siemens wie bereits bekannt eine Einigung bis zum Ende des Geschäftsjahres an.

Insgesamt sank der Gewinn des Industriegeschäfts des Siemens-Konzerns in den Monaten Januar bis März wegen des anhaltend schlechten Kraftwerksgeschäfts um 8 Prozent auf knapp 2,3 Milliarden Euro, wie das Unternehmen mitteilte. Darin enthalten sind auch höhere Kosten für den Personalabbau. Der Umsatz stagnierte bei 20,1 Milliarden Euro. Der Auftragseingang sank leicht um 2 Prozent auf 22,3 Milliarden Euro. Dabei schlug Siemens ein starker Gegenwind durch Währungseffekte entgegen. Dennoch schnitt Siemens besser ab als von Analysten erwartet.

Beim Gewinn nach Steuern konnte Siemens im zweiten Quartal deutlich zulegen. Dabei profitierte der Konzern auch von einem Buchwerteffekt. So brachte Siemens seine Anteile an dem IT-Unternehmen Atos in den unternehmensweiten Pensionsfonds ein und erzielte dadurch einen Gewinn von 900 Millionen Euro. Das Ergebnis nach Steuern stieg daher von knapp 1,5 Milliarden auf 2 Milliarden Euro. Durch die Übertragung konnte Siemens den Ausfinanzierungsgrad seiner Pensionsverpflichtungen deutlich erhöhen. Er liegt jetzt bei 79 Prozent.

Für das Jahresergebnis zeigte sich Siemens optimistischer und erhöhte seine Prognose für das Ergebnis je Aktie. So erwartet der Konzern nun für das am 30. September endende Geschäftsjahr 2017/18 bereinigt 7,70 Euro bis 8,00 Euro, nach zuvor 7,20 bis 7,70 Euro. Die Ergebnismarge im industriellen Geschäft soll weiterhin bei 11 bis 12 Prozent liegen, nach 11,1 Prozent im Vorjahr. Die Ergebnisprognosen sind dabei um Kosten für den geplanten Personalabbau bereinigt. Der Umsatz soll bereinigt um Währungseffekte und Portfolioveränderungen leicht steigen.

Die Aktie legte am Morgen um mehr als 4 Prozent auf knapp 119 Euro zu und setzte damit ihren Erholungskurs fort, nachdem das Papier Ende März auf ein Jahrestief von 99,78 Euro gefallen war. Gelobt wurde am Markt der starke Auftragseingang und die gut laufenden Digital-Geschäfte. Die Zahlen seien besser als erwartet, wenngleich von Sondereffekten verzerrt, hiess es. Auch JPMorgan-Analyst Andreas Willi hob die gute operative Entwicklung und die starken Margen im Geschäft mit Energiemanagement und Mobilität sowie in den digitalen Aktivitäten hervor./nas/kro/fba