- von Tom Käckenhoff und Christoph Steitz und Edward Taylor

Seit gut einem Jahr ist der Manager nun im Amt und hat bereits mehrere strategische Volten vollzogen. Mit dem Verkauf der Aufzugssparte greift Kerkhoff jetzt zum Tafelsilber, um dem Rest des Konzerns Luft zu verschaffen - und seinen eigenen Job zu retten. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:

WARUM HAT KERKHOFF ES AUF EINMAL SO EILIG?

Die Zeit drängt. Thyssen schreibt hohe Verluste, die Schulden steigen, der Aktienkurs ist nahe eines 16-Jahres-Tiefs und im September droht der Abstieg aus dem Dax.

Die Ratingagenturen Moody's und S&P haben Thyssens Kreditwürdigkeit heruntergestuft. Die Erholung der Geschäfte werde länger dauern als gedacht, erklärt Moody's. Die nächsten zwölf bis 18 Monate würden schwierig für den Konzern. Die Schulden sind auf 5,1 Milliarden Euro angeschwollen. Ein Notverkauf ist aber wohl nicht nötig. "Thyssenkrupps Liquidität ist angemessen", schreibt Moody's. Der Mischkonzern hatte Ende Juni eine freie Liquidität von 6,5 Milliarden Euro.

WELCHE OPTIONEN GIBT ES FÜR DIE AUFZUGSSPARTE?

Kerkhoff fährt neuerdings zweigleisig: Er prüft sowohl einen Teilbörsengang der Sparte als auch einen Verkauf an einen Investor, um dem Konzern Geld in die Kasse zu spülen. "Wir müssen sehen, was da auf dem Tisch liegt und dann einen Strich drunter ziehen und sagen, was ist für Thyssenkrupp, für Thyssenkrupps Aktionäre und das Unternehmen selbst die richtige Entwicklung", sagt der frühere Finanzchef. Analysten bewerten Elevator mit zwölf bis 17 Milliarden Euro.

Der große Vorteil eines Börsengangs wäre, dass Thyssen dabei die Fäden selbst in der Hand hielte und nicht - wie bei der angestrebten Stahlfusion mit Tata Steel Europe - nach langen Verhandlungen am Widerstand der Wettbewerbshüter scheitern könnte. Aber auch ein Börsengang wäre mit Risiken verbunden. "Die Aussichten für ein erfolgreiches Elevator-IPO haben sich unseres Erachtens aufgrund der aktuell schwierigen Marktlage tendenziell eingetrübt", erklärt DZ-Bank-Analyst Dirk Schlamp. "Wenn man nicht an die Börse muss, macht man das im Moment auch nicht", sagt ein anderer Branchenexperte.

Für einen Verkauf gäbe es wohl genug Interessenten. Der finnische Wettbewerber Kone hatte bereits früher Interesse angemeldet. Auch Schindler oder Otis dürften das Geschäft im Visier haben. Für ein Zusammengehen zweier großer Anbieter müssten allerdings sehr hohe Hürden überwunden werden, räumt Schindler-Chef Thomas Oetterli ein. Otis ist weltweit die Nummer Eins, gefolgt von Schindler, Kone und Thyssenkrupp. Einfacher könnte es womöglich für asiatische Hersteller wie Mitsubishi Electric, Hitachi, Toshiba oder Fujitec sein, deren Aufzugsgeschäfte sich nicht so stark mit denen von Thyssen überschneiden.

Gute Chancen haben sicher Finanzinvestoren, die keine großen Hürden überwinden müssten. Kerkhoff rührt auch hier die Werbetrommel. Als Interessenten gelten KKR, CVC, Advent, Apollo und EQT. "Wir sehen im Moment immens viel Geld in den Bereich fließen. Die suchen alle nach Anlagemöglichkeiten", sagt ein Branchenkenner. Insidern zufolge soll im Herbst ein strukturierter Verkaufsprozess gestartet werden. Erste Angebote könnten im November eingehen, bindende Offerten im Januar - danach könnte sich Kerkhoff für eine der beiden Optionen entscheiden. Thyssenkrupp wollte sich dazu nicht äußern. Es sei gut möglich, dass die kapitalstarken Finanzinvestoren gleich für das ganze Geschäft bieten, sagen Insider. Denn sie wollten in der Regel freie Hand haben und keinen Altaktionär als Bremsklotz. Sollte die Summe stimmen, werde Kerkhoff kaum Nein sagen können.

WAS WOLLEN DIE AKTIONÄRE?

"Thyssenkrupp ist in einer sehr herausfordernden Situation", erklärt die Krupp-Stiftung auf Reuters-Anfrage. Marktumfeld und Konjunktur hätten sich weiter verschlechtert. Eine Leistungssteigerung sei dringend erforderlich. Die im Mai angekündigte Neuausrichtung des Unternehmens habe genau das zum Ziel. "Die Stiftung möchte, dass das Unternehmen in den Geschäftsfeldern wettbewerbsfähig aufgestellt ist, mit zukunftssicheren Arbeitsplätzen und einer nachhaltigen Dividendenfähigkeit." Die Stiftung sei vom Potenzial des Unternehmens überzeugt und werde es unverändert unterstützen. "Deswegen steht sie hinter dem vom Vorstand eingeschlagenen Weg."

Thyssenkrupp müsse die "richtige Struktur finden, um seine Einheiten wettbewerbsfähiger, wachstumsstärker und erfolgreicher aufzustellen", hatte auch Cevian-Gründer Lars Förberg in der Vergangenheit immer wieder gefordert. Der schwedische Finanzinvestor und nach der Krupp-Stiftung zweitgrößte Aktionär ist im Aufsichtsrat vertreten, von dem Kerkhoff nach eigenen Angaben volle Rückendeckung hat.

"Es wäre gut, wenn man die Mehrheit an Elevator behalten würde, um von dem Geschäft weiter zu profitieren und Dividenden zu beziehen", betont der Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Thomas Hechtfischer. Er warnt vor Schnellschüssen. "Es kommt jetzt wirklich darauf an, dass man das Richtige macht. Der nächste Schuss muss sitzen."

WELCHE ANDEREN OPTIONEN HAT THYSSEN NOCH?

Kerkhoff hat weitere Geschäftsbereiche zur Disposition gestellt, die nicht genug abwerfen: System Engineering, Federn & Stabilisatoren und Grobblech. Die Einschätzungen aus dem Markt reichen von "absolut unverkäuflich" bis hin zu Erlösen von insgesamt zwei Milliarden Euro. Wenn Thyssen die insgesamt 9300 Beschäftigten ohne große Kosten von der Gehaltsliste streichen könnte, wäre auch dies für die Bilanz positiv. Mit dem Stahlhändler Klöckner & Co führt Kerkhoff Insidern zufolge Gespräche über eine gemeinsame Zukunft. Ob diese zu einer Übernahme von KlöCo führen, ist aber völlig offen.

Die Einnahmen aus dem Elevator-Verkauf sind bereits eingeplant: Diese benötigt der Konzern, der neben dem Stahl auch Anlagen, Autoteile oder U-Boote produziert, für die geplante Restrukturierung. Kerkhoff will binnen drei Jahren 6000 der weltweit 160.000 Stellen streichen. Für die Analysten von Bucephalus Research kann das nur der Anfang sein. Eigentlich müssten weitere 30.000 Jobs gestrichen werden, rechnen sie vor. Demnach würde das etwa drei Milliarden Euro kosten.

Die IG Metall hält von solchen Überlegungen nichts. "Wir haben im Mai den Rahmen für einen Grundlagenvertrag abgesteckt. Solange dieser nicht ausgeschöpft worden ist, macht es keinen Sinn, über einen weiteren zu diskutieren", sagt der Vize-Chef des Aufsichtsrats, Markus Grolms. Es sei klar, dass es nicht so weitergehen könne wie bisher. Daher sei man auch zu Veränderungen bereit - aber nicht um jeden Preis. "Ein personeller Kahlschlag ist keine Antwort auf die Probleme des Konzerns. Das wäre blinder Aktionismus. Wir müssen die Geschäfte besser aufstellen – und zwar gemeinsam mit den Beschäftigten, nicht gegen sie."