Kurz vor dem Start der führenden europäischen Automobilmesse schaut Eric Heymann von Deutsche Bank Research auf die Lage der Branche - und blickt in die Mobilität der Zukunft.

Nur noch gut 800 Aussteller, die IAA erfährt hat weniger Zuspruch als in den Vorjahren - an was liegt das vor allem, Herr Heymann?

Eric Heymann: Die globale Automobilkonjunktur hat sich in den vergangenen ein bis zwei Jahren deutlich abgekühlt. Zuletzt sank die Pkw-Nachfrage in den wichtigen Automärkten. Die schwächere Konjunktur drückt auch auf die Ertragslage der Unternehmen. In einer solchen Situation können auch die Budgets für Messen wie die IAA rückläufig sein. Hinzu kommt, dass die großen Automobilmessen als Branchentreffpunkt zuletzt an Bedeutung verloren haben. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass sich die branchenübergreifende Vernetzung sowie die Ansprache der Kunden durch digitale Technologien ändern. Gleichwohl bleibt die IAA für die Automobilindustrie von immenser Bedeutung.

Trügt der Eindruck, dass sich die Liebe der Deutschen zum Automobil gerade dauerhaft abkühlt oder ist die Beziehungskrise nur temporärer Natur?

Dieser Eindruck mag dadurch entstehen, dass die Automobilindustrie wegen des Dieselskandals oder der Klimaschutzdebatte zuletzt häufig negative mediale Schlagzeilen produziert hat und noch stärker in den Fokus politischer Regulierung gerückt ist. Fakt ist aber, dass der Pkw-Bestand in Deutschland von Jahr zu Jahr wächst. Und gerade die von Medien und Teilen der Politik häufig kritisierten SUVs werden immer beliebter. Anfang 2019 fuhren 5,8 Millionen Autos mehr auf Deutschlands Straßen als zehn Jahre zuvor. Der so genannte 'motorisierte Individualverkehr' macht etwa 80 Prozent der gesamten Verkehrsleistung in Deutschland aus. In anderen Industrieländern liegt dieser Wert ähnlich hoch. Richtig ist aber auch, dass ein steigender Teil gerade der städtischen Bevölkerung auf ein eigenes Auto verzichtet und sich im Bedarfsfall ein Auto mietet.

Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus? Wie werden wir uns in 5, in 10 und oder 20 Jahren fortbewegen?

Die Antwort auf diese Frage hängt nicht zuletzt von der klimapolitischen Regulierung des Autoverkehrs und alternativer Verkehrsträger ab. Aus meiner Sicht wird das Auto auch in 20 Jahren noch die wesentliche Stütze im Personenverkehr sein. Individuelle Mobilität ist ein Kernbestandteil freier Gesellschaften. Und für den jederzeit möglichen Zugriff auf das eigene Auto besteht eine enorm hohe Zahlungsbereitschaft. Solche über Jahrzehnte gewachsenen Konsummuster ändern sich nur langsam, es sei denn, staatliche Regulierung verteuert den Besitz eines Autos massiv. Das Auto wird in 20 Jahren aber weniger klimaschädlich sein als heute. Es wird stärker mit anderen Fahrzeugen und seiner Umwelt vernetzt sein. Der Straßenverkehr wird damit effizienter. Carsharing und Ridesharing gewinnen an Bedeutung, gerade in den Städten. Dort sollte aber auch der ÖPNV eine größere Rolle spielen, vorausgesetzt, die notwendigen Investitionen in die entsprechende Infrastruktur fallen hoch genug aus. Ein funktionierender und effizienter ÖPNV würde mehr Menschen dazu bewegen, auf ein eigenes Auto zu verzichten. Den gibt es aber nicht zum Nulltarif.

Eric Heymann ist Volkswirt und Mobilitätsexperte bei Deutsche Bank Research.

Deutsche Bank AG veröffentlichte diesen Inhalt am 10 September 2019 und ist allein verantwortlich für die darin enthaltenen Informationen.
Unverändert und nicht überarbeitet weiter verbreitet am 10 September 2019 14:32:02 UTC.

Originaldokumenthttps://www.db.com/newsroom_news/2019/wohin-steuert-die-automobilindustrie-eric-heymann-de-11576.htm

Public permalinkhttp://www.publicnow.com/view/ACFB432154B67A21DEEA13632CB4C8E135CABB68