LONDON/HONGKONG/FRANKFURT/AMSTERDAM (dpa-AFX) - Die Aktionäre der London Stock Exchange haben am Mittwoch nur kurz euphorisch auf ein Übernahmeangebot aus Hongkong regiert. Der Kurs der LSE-Aktie war am Vormittag in einer ersten Reaktion um gut 16 Prozent gestiegen und damit auf ein Rekordhoch von 7922 Pence, bevor er wieder deutlich nachgab. Am frühen Nachmittag stand ein Plus von gut 4 Prozent zu Buche. Das reichte aber immer noch für einen der vorderen Plätze im britischen Leitindex FTSE 100.

Die Hong Kong Exchanges and Clearing Limited als Dachgesellschaft der Hongkonger Aktienbörse bietet je LSE-Aktie 2045 Pence und 2,495 neue eigene Aktien. Insgesamt entspricht dies einer Prämie von knapp 23 Prozent auf den letzten Börsenkurs von LSE.

Eine Fusion würde nicht nur einen weltweit führenden Finanzmarktkonzern entstehen lassen, sondern auch beide Geschäfte stärken, erklärte der Hongkonger Börsenbetreiber HKEX. Die Transaktion verspreche zudem hohe Synergien. So strebt HKEX eine Integration seiner Handelsplattformen in das Londoner System an. Eine Transaktion wäre dabei im Interesse aller Anteilseigner, hieß es.

Auch die Anteilsscheine der Branchenkollegen hatten zwischenzeitlich recht positiv auf die Ankündigung reagiert. Für die Aktien von Euronext etwa war es zeitweise um gut 2 Prozent nach oben gegangen, bevor der Schwung wieder deutlich nachließ. Zuletzt stand noch ein Plus von 0,39 Prozent zu Buche.

In Frankfurt waren die Aktien der Deutschen Börse ähnlich kräftig nach oben gesprungen, bevor sie wieder zurückkamen und nur noch moderat im Plus lagen. Die Deutschen hatten einst ebenfalls vorgehabt, die LSE zu übernehmen, waren 2017 aber mit diesem Plan gescheitert.

Überhaupt scheint die Deutsche Börse mit ihren Zukaufplänen kein glückliches Händchen zu haben. So musste der Börsenbetreiber erst vor wenigen Wochen bei der Devisenhandelsplattform FXAll des Finanzdatenanbieters Refinitiv zurückstecken. Refinitiv schnappte sich ausgerechnet der Rivale LSE.

Hier tut sich schon ein Konfliktfeld für eine mögliche Übernahme auf: Die Honkonger Börse erklärte, ihr Angebot sei von der Absage der Refinitiv-Übernahme abhängig. Die LSE wiederum teilte mit, an ihren Refinitiv-Plänen festzuhalten und dabei gut voranzukommen.

Experten wie Analyst Chris Turner von der Privatbank Berenberg äußerten sich derweil skeptisch und sahen politische Risiken als die höchste Hürde für den Deal. Ronald Wan, Chef des Investmentberater Partners Capital International in Hongkong, sagte, eine Übernahme der LSE durch HKEX könnte auch als Übernahme durch China gesehen werden. Schließlich ist Hongkong eine Sonderverwaltungszone Chinas und soll 2047 ganz an China übergehen. Eine Transaktion sei politisch "super sensibel".

Analyst Michael Werner von der Schweizer Großbank UBS meinte vor diesem Hintergrund, er wäre überrascht, wenn sich das Management und das Aufsichtsgremium der LSE für die Übernahme aussprechen sollten. Werner erinnerte auch an die jüngsten politischen Unruhen in der ehemaligen britischen Kronkolonie, die sich als Risiko erweisen könnten. Er betonte zudem, dass es nur wenige gelungene Beispiele gebe für eine Fusion von Börsenbetreibern von verschiedenen Kontinenten. Oft kämen nationale Interessen in die Quere.

Seit dem 9. Juni kommt es in der Finanzmetropole immer wieder zu Protesten, die oft mit Zusammenstößen zwischen einem kleinen Teil der Demonstranten und der Polizei endeten. Die Protestbewegung befürchtet steigenden Einfluss der chinesischen Regierung auf Hongkong. Auch fordern die Demonstranten eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt bei den Protesten. Aus den Reihen der Protestbewegung gab es ebenfalls Gewalt./la/ajx/stw