Den Nutzer in den Mittelpunkt stellen, kreative Ideen entwickeln und testen, und am Ende den Kunden glücklich machen - das verspricht die Kreativmethode Design Thinking. Kein Wunder, dass sich gerade Konzerne, die nicht selten an chronischer Distanzeritis zu ihren Kunden neigen, eine Menge davon versprechen. Wir sind auf den Hype-Zug aufgesprungen und haben die Methode intensiv in einem CSP -Projekt im TV-Umfeld eingesetzt. Und viel dabei gelernt.

In meinem ersten Projekt im Center for Strategic Projects ging es um ein Wachstumsthema rund um unser TV-Angebot. Das Ziel war recht simpel: Wir, also die Telekom, wollten im TV-Markt weiter wachsen. Die Aufgabe meines Teilprojektteams war es, ein neues TV-Produkt für Jugendliche und junge Erwachsene zu entwickeln. Das Produkt sollte begeistern und den Nerv der Zielgruppe treffen. Keine einfache Aufgabe, die sich allein am Schreibtisch umsetzen ließ. Gerade weil diese Nutzergruppe für uns noch ein Lernfeld darstellte, besonders anspruchsvoll und überaus gut informiert war. Klassische Marktforschung würde uns hier nicht reichen. Wir würden auf Tuchfühlung mit unseren jungen Kunden gehen müssen, um ihre Bedürfnisse und Probleme wirklich zu verstehen. Als frisch gebackener Coach der Methode stand schnell für mich fest: Das ist der optimale Boden für Design Thinking.

Design Thinking - Was ist das nochmal genau?

Design Thinking entwickelte sich damals gerade zum Hype-Thema in der Telekom. Die Kreativmethode galt als DER neue Ansatz, mit dem sich Probleme lösen und neue Ideen entwickeln lassen. Was ist anders an Design Thinking? Zunächst einmal sitzt man nicht monatelang allein in seinem Kämmerlein und hofft auf Eingebung. Stattdessen arbeitet ein interdisziplinäres Team intensiv zusammen - und das direkt am Kunden. In Kurzform kann man sich das so vorstellen: Das Team taucht mit Forschergeist in die Welt des Nutzers ein, definiert aus den gewonnenen Eindrücken ein tiefgreifendes Nutzerbedürfnis und entwickelt außergewöhnliche Ideen, um dem Nutzer dabei zu helfen, dieses Bedürfnis zu stillen. Die vielversprechendsten Ideen werden in echte Prototypen umgesetzt, die dann mit Testkandidaten der jeweiligen Zielgruppe verprobt werden. Um schnell und kostengünstig an Prototypen zu testen, setzt man hier häufiger mit Knete, Alufolie oder Strohhalmen um als mit Hightech. Es geht nicht darum, ein Hochglanzergebnis zu präsentieren, sondern authentisches Nutzerfeedback zu bekommen. Durch die extrem hohe Geschwindigkeit von Produktidee zu Feedback lernt das Team schnell dazu und vermeidet hohe Investitionskosten in eine mögliche 'lahme Ente'. Klassisches 'Trial and Error'. Zusammenfassend also: Den Nutzer und seine Bedürfnisse in das Zentrum des Handelns rücken, Machbarkeit zunächst ausblenden, bewusst Fehler zulassen und viel iterieren. Nicht gerade die Stärken großer Organisationen.

Die Entscheider sind überzeugt, der Plan ist aufgestellt

So oder so ähnlich erklärte ich also den beteiligten Personen, was Design Thinking ist und warum diese Methode für uns wertvoll sein würde. Die wichtigen Stakeholder waren erstaunlich schnell überzeugt. Mein erstes CSP-Projekt und gleich Rückenwind für eine bis dato eher selten eingesetzte, ungewöhnliche Methode? Ich war stolz wie Oskar. Danach war der Plan auch schon aufgestellt: In fünf Design Sprints sollte unser Teilprojektteam zum Ziel kommen und ein neues TV-Angebot für die Zielgruppe 'Young' entworfen haben. Ein Sprint bedeutete in unserem Fall, dass wir uns für jeweils fünf Tage einschließen und den gesamten Design Thinking-Prozess durchlaufen würden. Danach sollte es jeweils zwei Wochen für die Analyse der Ergebnisse geben. Anschließend würden wir unsere Erkenntnisse im sogenannten Projekt-Kernteam präsentieren. Im Kernteam saßen die für uns wichtigen Entscheider aus dem Fachbereich TV, die es zu überzeugen galt.

Die ersten beiden Sprints: Euphorie

Dann ging es auch schnell ans Eingemachte - das Teilprojekt-Team 'Young' startete in die ersten beiden Sprints. Das Team fand sich früh in der Methode zurecht, erforschte Nutzerbedürfnisse und wurde in der Ideenentwicklung immer mutiger. Wir bauten und testeten zahlreiche Prototypen mit unseren jungen Nutzern. Da gab es auch mal kritisches Feedback á la 'Das geht ja mal gar nicht'. Wahres Gold für unseren Lernprozess. Ich weiß noch, dass wir am Wochenende nach den Sprints alle schlecht schliefen. Durch die intensive Beschäftigung mit unserem Thema rotierte der Kopf und verarbeitete unzählige Eindrücke.

Der erste Dämpfer: Kritik aus dem Kernteam

Beflügelt von unseren zahlreichen Erkenntnissen über die junge Zielgruppe galt es dann, unsere Ergebnisse dem Kernteam zu präsentieren. Dort teilte man unsere Euphorie allerdings nur bedingt: Zwar beglückwünschte man uns zu dem Gelernten und unserer direkten Arbeit mit den Kunden. Schnell kamen dann aber auch kritische Fragen: Ob wir unsere Ergebnisse denn quantitativ belegen könnten. Welcher der getesteten Prototypen denn jetzt 'fliegen' würde. Warum wir noch nicht dieses oder jenes getestet hätten - man sei sich sicher, das wäre 'der Knaller'. Diese Fragen mussten wir zum gegebenen Zeitpunkt entweder mit 'nein' oder 'wissen wir noch nicht' beantworten. Dass das zu einem gewissen Unmut und einer Verunsicherung im Kernteam führte, ist wenig überraschend. Diese Verunsicherung übertrug sich auch auf unser Sprint-Team. Wir fingen an daran zu zweifeln, ob wir überhaupt jemals 'das nächste große Ding' finden würden und ob wir uns mit der Methode nicht auf den Holzpfad begeben hätten. Ob wir nicht doch lieber nach 'Schema F' eine Marktforschung hätten beauftragen sollen. Auch ich war hier ehrlich gesagt wirklich beunruhigt - vom stolzen Oskar war nicht mehr viel übrig.

Nach weiteren Sprints: Die Erkenntnis

Nach dem dritten Sprint nahmen wir uns die Zeit, das Projektziel, die Methode und die Ergebnisse im Sprint-Team zu reflektieren. Und kamen zu dem Schluss: Es lag nicht an der Methode. Denn an das, was wir über unsere Zielgruppe mittels Design Thinking herausgefunden hatten, glaubten wir alle. Unumstößlich. Wir hatten es ja mit eigenen Augen gesehen und getestet. Aus unserer Sicht lag es eher am Ziel und den damit einhergehenden Erwartungen: Das nächste 'große Ding' aus dem Ärmel schütteln, das die Zielgruppe umhaut? Klar, das wollen alle. Wir hatten sogar erste Ideen, welche Produktansätze in so eine Richtung gehen könnten. Aber an der Umsetzbarkeit dieser Ideen zweifelten wir stark: Die technischen, rechtlichen und finanziellen Hürden wären einfach zu hoch gewesen. Nach dem letzten Sprint stand fest: Aus unserer Sicht gab es nicht das eine große Ding, das wir kurzfristig und mit den vorhandenen Ressourcen anbieten konnten, um die Zielgruppe zu begeistern. Vielmehr war es eher ein Blumenstrauß an kleineren Maßnahmen und Verbesserungen, die wir empfohlen haben. Nach einiger Überzeugungsarbeit und dem Testen von alternativen Produktansätzen, die noch aus der Schublade gezogen wurden, kam auch das Kernteam schließlich zu dieser Einsicht.

Stolpersteine vermeiden - fünf Tipps für einen erfolgreichen Einsatz von Design Thinking im Konzern

Auch wenn wir und das Kernteam letzten Endes zufrieden mit dem Ergebnis waren: Der Weg dahin war nicht immer einfach. Einige Dinge hätte ich gerne vorher gewusst und auch anders gemacht. Folgende fünf Punkte empfehle ich jedem, der die Methode in einem Konzernprojekt einsetzen möchte:

1. Erwartungsmanagement betreiben

Design Thinking ist kein Erfolgsgarant, der wie ein einarmiger Bandit 'the next big thing' ausspuckt. Der Kern der Methode ist es, den Nutzer und seine Wünsche in der Tiefe zu verstehen und ihm etwas zu bieten, das sein Problem löst. Macht das den relevanten Entscheidern früh klar und sorgt dafür, dass sie diese Ergebnisoffenheit mittragen. Damit vermeidet ihr, später in Erklärungsnot und eine ständige Rechtfertigung eurer Arbeit zu geraten.

2. Wichtige Stakeholder in den Design Thinking Prozess einbinden

Ich kann nicht genug betonen, wie wichtig dieser Punkt ist, um Akzeptanz für die Methode und eure Ergebnisse zu schaffen. Ladet wichtige Stakeholder dazu ein, an euren Sprints teilzunehmen. Insbesondere zum Testen der Prototypen mit den Nutzern. Egal ob vernichtende Worte oder waschechte Begeisterung: Das Nutzerfeedback live mitzuerleben, macht aus potenziellen Kritikern Mit- und Überzeugungstäter für eure Ergebnisse, wenn es darauf ankommt. Ungeschönte O-Töne von Mensch zu Mensch erzeugen eine ganz andere Wirkung als geschliffene Formulierungen einer Marktforschungsagentur.

3. Reality Check frühzeitig planen

Anfangs stehen sehr lange der Nutzer und seine Bedürfnisse im Fokus - das ist Sinn und Zweck der Methode. Aber irgendwann kommt der harte Reality Check: 'Wie kommen wir denn jetzt von unseren bunten Prototypen zu einem echten Produkt? Ist der Markt überhaupt groß genug? Ist das Produkt technisch umsetzbar? Zu welchen Kosten? Gibt es rechtliche Hindernisse?' Und vieles mehr. Macht euch früh Gedanken, wann und wie ihr euch diesen Fragen nähern wollt und teilt diese auch unbedingt mit den wichtigen Stakeholdern. Damit schafft ihr Verständnis für euer Vorgehen und erkauft das nötige Vertrauen, um in Ruhe Ergebnisse produzieren zu können. Hier eine schematische Darstellung (jpg, 176.0 KB), wie wir unseren Fokus über unsere fünf Sprints geplant haben.

4. Unterstützung eines erfahrenen Coaches einholen

Auch wenn ihr selbst eine Ausbildung und erste Erfahrung als Design Thinking Coach habt: Es lohnt sich, einen weiteren, erfahrenen Mitstreiter als operativen Support und wertvollen Sparringspartner dazu zu holen. Gute Sprints vorzubereiten, durchzuführen und nachzubereiten ist sehr zeitintensiv. Zeit, die am Ende fehlen kann, um neben den Sprints ein solides Stakeholder Management zu betreiben. Das ist für den Erfolg der Methode mindestens genauso wichtig wie eine gute Sprintplanung.

5. Das Team freistellen lassen - und mal raus kommen

Das Team muss sich während eines Sprints voll auf die Aufgabe und den Nutzer konzentrieren können. Fulltime. Meetings und Calls lenken ab. Und führen immer wieder dazu, dass man einzelne Teammitglieder, die sich zeitweise herausziehen, wieder auf das gleiche Verständnis-Level des gesamten Teams bringen muss. Bezieht als Ausgleich das Team in die Sprint Nach- und Vorbereitung nur punktuell ein, so dass es Luft für andere Aufgaben hat. Was in diesem Zusammenhang super geklappt hat: Die Sprints außerhalb der typischen Konzernräume stattfinden zu lassen. Das führt neben der nötigen Distanz zum Alltag auch zu einem freieren Kopf für neue Ideen. Dazu kommt die Möglichkeit, den physischen Arbeitsraum passend für Design Thinking zu gestalten - ein weiterer, wichtiger Punkt für einen erfolgreichen Einsatz der Methode.

Design Thinking im Konzern - Rückblickend zu empfehlen?

Auch wenn wir nicht den heiligen Grahl im Bereich TV für die Zielgruppe 'Young' gefunden haben, empfand ich den Einsatz von Design Thinking als unglaublich bereichernd für das Projekt. Der Ansatz hat das Team zusammengeschweißt und ließ uns so viel über unsere jungen Nutzer lernen, wie es mit nur wenigen anderen Methoden möglich gewesen wäre. Und gerade das brauchen wir mehr im Konzern: Fokus auf und Interaktion mit den echten Kunden. Ja, ich bin nicht der erste der das sagt. Und ja, das ist auch irgendwie keine Rocket Science. Und trotzdem neigen wir noch immer dazu, uns viel zu viel mit uns selbst zu beschäftigen. Den Kunden nur noch in Zahlen oder Auswertungen aus Marktforschungen wahrzunehmen. Design Thinking hat es uns erlaubt, genau das zu ändern.

Plant ihr selbst ein Projekt im Design Thinking Modus und habt Fragen? Meldet euch gerne per Kommentarfunktion oder über LinkedIn.

Deutsche Telekom AG veröffentlichte diesen Inhalt am 02 April 2019 und ist allein verantwortlich für die darin enthaltenen Informationen.
Unverändert und nicht überarbeitet weiter verbreitet am 02 April 2019 11:38:13 UTC.

Originaldokumenthttps://www.telekom.com/de/karriere/fokusthemen/inhouse-consulting/trafo-talk/design-thinking-erfolgreich-im-konzern-anwenden---ein-csp-projektbeispiel-567112

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