PARIS/BERLIN/BRÜSSEL (dpa-AFX) - Die USA drängen die EU-Staaten dazu, das deutsch-russische Erdgas-Pipeline-Projekt Nord Stream 2 über eine Reform von EU-Richtlinien doch noch zu kippen. Die 1200 Kilometer lange Leitung ist bereits im Bau und soll Ende 2019 in Betrieb gehen.

An diesem Freitag soll nun aber in der EU über eine Änderung einer Gas-Richtlinie abgestimmt werden, die es ermöglichen könnte, das Fernleitungsprojekt über Auflagen wie die Trennung von Betreiber und Gaslieferant weniger profitabel oder sogar unwirtschaftlich zu machen.

Die US-Botschafter in Deutschland, Dänemark und bei der EU riefen Partnerländer Deutschlands auf, die Änderung der EU-Gasrichtlinie zu unterstützen. "Nord Stream 2 würde die Anfälligkeit Europas für russische Erpressungen im Energiebereich weiter erhöhen", schrieben Richard Grenell und seine Amtskollegen Carla Sands und Gordon Sondland in einem Gastbeitrag für die Deutsche Welle. Das berge Risiken für Europa und den Westen insgesamt.

"Nord Stream 2 wird mehr als nur russisches Gas liefern. Russlands Macht und Einfluss werden sich durch die Ostsee hindurch bis nach Europa ausbreiten", schrieben die Botschafter. Die Pipeline werde es Moskau ermöglichen, die Souveränität und Stabilität der Ukraine weiter zu untergraben. Zudem könnten mit den Milliardeneinnahmen aus Europa Desinformationsfabriken finanziert werden, die sich gegen demokratische Institutionen in Europa und den USA richteten.

Die geplante Änderung der EU-Richtlinie würde es der EU-Kommission ermöglichen, Nord Stream 2 neue Bedingungen aufzuerlegen. Dazu gehört die unternehmerische Trennung von Gaslieferung und Netzbetrieb. Bei Nord Stream 2 liegt beides in der Hand des russische Energiekonzerns Gazprom.

Ein Erfolg der Regulierungspläne galt bislang als unwahrscheinlich. Nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" könnte sich nun allerdings Frankreich auf die Seite der Befürworter schlagen und damit die Mehrheitsverhältnisse entscheidend verändern.

Die Zeitung zitiert französische Regierungskreise mit den Worten: "Wir wollen nicht die Abhängigkeit von Russland verstärken und dabei noch den Interessen von EU-Ländern wie Polen und der Slowakei schaden." Weder in Paris noch in Brüssel gab es für die neue Haltung Frankreichs zunächst eine Bestätigung.

Als eine mögliche Erklärung für die neue französische Positionierung gilt der zuletzt noch einmal gestiegene Druck der USA. In Washington wurden so neue Russland-Sanktionen in Erwägung gezogen, die auch den in Russland sehr aktiven französischen Ölkonzern Total treffen könnten. Eine Vermutung lautet, dass die USA Frankreich mit solchen Gedankenspielen zumindest indirekt erpresst haben könnten.

Mit Nord Stream 2 sollen jährlich bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland an Drittstaaten wie der Ukraine oder Polen vorbei durch die Ostsee nach Deutschland transportiert werden können. Ende 2018 waren bereits 370 Kilometer der 1200 Kilometer langen Rohrleitung verlegt. Die baltischen Staaten und Polen sehen die Trasse als Gefahr für ihre Sicherheit. Die Ukraine befürchtet den Verlust von Milliardeneinnahmen als Transitland für russisches Gas.

Paris würde mit der Ablehnung der Pipeline in Kauf nehmen, dass es zu einem schweren Streit der für die EU zentralen Partner Deutschland und Frankreich kommt. Seit seinem Amtsantritt hatte Staatspräsident Emmanuel Macron stets die enge Partnerschaft mit Bundeskanzlerin Angela Merkel betont. Erst am 22. Januar hatten beide mit dem Vertrag von Aachen einen neuen Freundschaftspakt unterzeichnet - und sich ihrer gegenseitigen Unterstützung versichert.

"Wir stehen zu der Entscheidung" zur Gasrichtlinie, zitierte die "Süddeutsche Zeitung" nun aus Pariser Regierungskreisen. Nur wenn sich Macron noch persönlich einschalte, könne es zu einer Änderung der Position kommen.

Die EU-Kommission hatte die Änderung der Gasrichtlinie schon im November 2017 vorgeschlagen. Seitdem liegt sie wegen der Blockade Deutschlands und einiger anderer EU-Länder auf Eis. Sollte es an diesem Freitagnachmittag bei einer Abstimmung im Kreis der zuständigen EU-Botschafter jedoch grünes Licht geben, könnte die neue Richtlinie bereits vor der Europawahl endgültig beschlossen werden. Im Europaparlament gibt es eine klare Mehrheit dafür.

Nord Stream hatte schon kurz nach dem Vorstoß der Kommission mit Schadenersatzforderungen gedroht, falls die Rechtslage nachträglich zu Ungunsten des Unternehmens verändert werden sollte. Inzwischen hat die Gazprom-Tochter in die Leitung bereits Milliardenbeträge investiert.

Der juristische Dienst des EU-Rats hatte im März 2018 zudem rechtliche Vorbehalte gegen die Pläne der Kommission geäußert. Die EU habe nicht die Kompetenz, das entsprechende Recht auf Pipelines auszudehnen, die die Ausschließliche Wirtschaftszone von EU-Mitgliedsländern auch in Meeren durchqueren./aha/hn/nau/DP/fba