Die im Juni anstehende Entscheidung über einen "Brexit" stelle zwar "ein Risiko für das Projekt" dar, räumten beide Konzerne am Freitag ein. Die gut 25 Milliarden Euro schwere Fusion sei aber unabhängig vom Ausgang des britischen Referendums sinnvoll. Dass die Mega-Börse ihren Sitz in London haben soll, sehen manche Finanzmanager und Politiker in Frankfurt allerdings skeptisch. Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) forderte, dies dürfe nicht zu einer Abwanderung von Arbeitsplätzen führen.

Deutsche Börse und LSE hatten am Dienstag angekündigt, einen "Zusammenschluss unter Gleichen" anzustreben. Geführt werden soll der neue Konzern von Deutsche-Börse-Chef Carsten Kengeter, wie Reuters bereits am Dienstag berichtet hatte. Chairman soll Donald Brydon werden, der diese Aufgabe aktuell bei der LSE bekleidet. LSE-Chef Xavier Rolet will zurücktreten, sobald die Verschmelzung vollzogen ist. "Er hat sich entschieden, sein Amt aufzugeben, um die erfolgreiche Gründung der neuen Gruppe zu unterstützen", sagte Brydon.

Beide Unternehmen haben einen Ausschuss gebildet, der die Auswirkungen eines "Brexit" und mögliche Reaktionen darauf prüfen soll. Eine "Liquiditätsbrücke" zwischen Frankfurt und London sei aber unabhängig vom Ausgang des Referendums positiv. Sie verspreche signifikante Synergien und erlaube eine bessere Betreuung von Kunden weltweit. Für die LSE wäre die Fusion aus Sicht von Insidern zudem eine Art Absicherung: Sollte die EU dem Konzern bei einem "Brexit" die Abwicklung von Euro-Zinsderivaten untersagen, könnte dieses Geschäft einfach innerhalb des Konzerns zur Deutsche-Börse-Tochter Eurex Clearing wandern.

Doch im Falle eines Brexit würde es für beide Unternehmen deutlich schwieriger, die Fusion überhaupt durchzubringen. "Sollte es zu einem 'Brexit' kommen, erwarten wir, dass die Politik eingreift und versucht, den Deal zu blockieren", erklärten die Experten des Analysehauses Exane BNP Paribas. Unter anderem muss die EU-Kommission grünes Licht geben. Aus Sicht von Investoren würde bei einem Brexit zudem der Wert der LSE sinken. Und dann wäre unklar, ob die Aktionäre der Deutschen Börse einer Fusion mit der LSE noch zum bereits vereinbarten Umtauschverhältnis zustimmen.

FUSIONIEREN STATT GEFRESSEN WERDEN

Grundsätzlich mache eine Fusion beider Konzerne Sinn, um mit Konkurrenten aus den USA und Asien besser mithalten zu können, sagt ein Top-15-Aktionär der Deutschen Börse. Zusammen wären beide Konzerne derzeit rund 26 Milliarden Euro wert. Damit läge sie weltweit zusammen mit der US-Börse ICE auf dem zweiten Platz. Die Chicago Mercantile Exchange hat unter den gelisteten Börsenbetreibern derzeit mit einem Marktwert von knapp 29 Milliarden Euro die Nase vorne.

Deutsche Börse und LSE würden sich durch einen Zusammenschluss auf gewisse Weise auch vor einer Übernahme durch die CME oder die Hongkong Exchanges schützen. Das sieht auch SPD-Finanzexperte Carsten Schneider positiv. "Eine große europäische Börse, die kein Übernahmekandidat ist, findet meine grundsätzliche politische Unterstützung", sagte er zu Reuters. Analysten halten es aber durchaus für dankbar, dass einer der Konkurrenten noch versucht, die Fusion durch eine Gegenofferte zu torpedieren.

Der letzte Versuch, beide Konzerne zu verschmelzen, scheiterte 2005 am Widerstand des Hedgefonds TCI, der damals maßgeblich an der Deutschen Börse beteiligt war. Zudem gab es in Großbritannien große Vorbehalte, die altehrwürdige Londoner Börse an einen deutschen Konzern zu verkaufen. Dieses Mal bemühen sich beide Seite, das Konfliktpotenzial zu minimieren und wichtige Posten und Funktionen möglichst gleichmäßig zu verteilen. Deutsche-Börse-Chef Kengeter wird Vorstandschef, dafür bekommt London den Zuschlag für die Holding.

Unterhalb der Holding bleiben beide Konzerne erhalten, das gleiche gilt für die Hauptquartiere und die Börsennotierungen in Frankfurt und London. Kengeter will die Deutsche Börse AG weiter führen und wird nicht weniger Zeit in Frankfurt verbringen als bisher, wie eine mit dem Deal vertraute Person sagte. Manager und Politiker haben aber dennoch Sorgen, dass auf lange Sicht zu viele Entscheidungskompetenzen nach London abwandern könnten.

"Der Finanzplatz Frankfurt ist ein attraktiver Standort", sagte SPD-Politiker Schneider. "Bei der Fusion muss sichergestellt werden, dass das auch künftig so bleibt." Das hessische Wirtschaftsministerium will prüfen, ob der Sitz der Holding London die Fortentwicklung des Börsenbetriebs in Frankfurt beeinträchtigt. Sollte dies der Fall sein, will die Aufsichtsbehörde der Frankfurter Wertpapierbörse den Zusammenschluss untersagen. Einem Regulierer zufolge ist es aber unwahrscheinlich, dass es dazu kommt.