PLANEGG/MÜNCHEN (dpa-AFX) - Im Rennen um den Markt für Biopharmaka züchtet sich Morphosys ein eigenes Pferd im Stall: Tafasitamab. Der Antikörper zur Behandlung von Blutkrebspatienten soll den Konzern vom bloßen Forschungsdienstleister in die Riege der "echten" Pharmahersteller heben. Beobachter sehen zwar Potenzial in dem Medikament, fragen sich aber gleichzeitig, wie es um die Vorbereitungen der Bayern für die Vermarktung steht. Was bei dem Unternehmen los ist, was Analysten sagen und wie es um die Aktie steht.

WAS IST LOS BEI MORPHOSYS:

Den Status "Therapiedurchbruch" hat Tafasitamab bereits. Die US-Medikamentenbehörde FDA vergibt dieses Gütesiegel nur, wenn erste klinische Studien darauf hinweisen, dass ein Wirkstoff signifikant besser gegenüber derzeit verfügbaren Therapien für schwerwiegende oder lebensbedrohliche Erkrankungen wirken könnte. Und weil sich mit dem Status die Prüfzeit für eine Zulassung verkürzt, rechnet Morphosys mit einer Freigabe bis Mitte 2020. Der Antrag selbst soll bis Ende des Jahres eingereicht sein.

Der Konzern verspricht sich einiges von dem neuen Mittel. Es soll jenen Menschen helfen, deren Krankheit so weit fortgeschritten ist, dass eine Chemotherapie oder eine Stammzellentransplantation nicht mehr in Betracht kommen. In den USA traf das im vergangenen Jahr nach Angaben des Unternehmens auf rund 10 000 Patienten zu. Berenberg-Expertin Shanshan Xu sieht die Therapiekosten pro Jahr und Patient bei 270 000 US-Dollar. Einer Morphosys-Sprecherin zufolge ist diese Größenordnung in etwa üblich. Genauere Angaben will das Unternehmen derzeit noch nicht machen, auch wenn laut Sprecherin für das Morphosys-Mittel etwas geringere Kosten möglich sein könnten.

Getestet wird "Tafa" unter anderem in der sogenannten L-Mind-Studie als Kombinationstherapie mit dem Mittel Lenalidomid. Insgesamt werden in der Studie 80 Blutkrebs-Patienten behandelt. Die zuletzt vorgelegten Studienergebnisse wurden von Experten als vielversprechend eingestuft. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat inzwischen sogar signalisiert, dass sie sich allein mit L-Mind als Basis für den Zulassungsantrag zufrieden gibt. Nun hofft Morphosys auch in Europa, diesen Weg nehmen zu können.

Für den Marktstart in den USA hat Morphosys bereits mit dem Aufbau einer Vertriebsorganisation in Boston im US-Staat Massachusetts begonnen. Hier verlief jedoch nicht alles reibungslos - die US-Gesellschaft hat bereits einen Wechsel ihrer Leitung hinter sich. Und auch der Bekanntheitsgrad unter der Ärzteschaft scheint bislang begrenzt. "Die Wahrnehmungslücke zu schließen ist eine sehr große Aufgabe", bekennt auch die Unternehmenssprecherin. Der Gang an die US-Technologiebörse Nasdaq habe bereits geholfen, gute Beziehungen mit den Investoren vor Ort aufzubauen. "Das wollen wir jetzt auf klinischem Level mit Hochdruck nachholen."

Letztendlich arbeitet Morphosys aber nicht nur an Tafasitamab. Zusammen mit Partnern entwickeln die Münchner eine Reihe anderer Wirkstoffkandidaten. Aus solchen Kooperationen zieht das Unternehmen aktuell noch das Gros der Erlöse - sie stiegen zuletzt stetig, auch weil Meilensteinzahlungen und Umsatzbeteiligungen fließen. So gab es etwa Grund zur Freude, als der dänische Partner Janssen in Tests mit seinem Schuppfenflechte-Mittel Tremfya in einer weiteren Indikation positive Ergebnisse erzielte. Das Mittel basiert auf Morphosys' Antikörper-Technologie.

Unter anderem auf Grundlage solcher Zahlungen stieg der Umsatz des Unternehmens im ersten Quartal kräftig. Der Verlust weitete sich dennoch wegen der hohen Kosten für Forschung und Entwicklung sowie für Verwaltung und Vertrieb aus. Für das Gesamtjahr rechnet das Management weiterhin mit roten Zahlen.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Branchenexperten hatten sich zuletzt erfreut über die positiven Studienergebnisse von Tafasitamab gezeigt. Allerdings weisen die Analysten in ihren Studien auch gern auf den scharfen Wettbewerb im Geschäft mit Krebsmedikamenten hin. So hatte etwa der Schweizer Konkurrent Roche für sein Blutkrebsmittel Polivy im Juni eine unerwartet frühe US-Zulassung erhalten. Morphosys könnte dadurch womöglich ins Hintertreffen geraten, lauteten die Befürchtungen.

Für Shanshan Xu von der Privatbank Berenberg ist es aber durchaus denkbar, dass beide Mittel ihren Platz im Markt finden könnten - wenngleich es sich mit Blick auf die Möglichkeiten zur Kommerzialisierung hier um eine Situation a la David gegen Goliath handele. Laut einer Studie von Graig Suvannavejh, der Analyst bei der US-Bank Goldman Sachs ist, will sich Morphosys den Launch bis zu 100 Millionen Dollar bis 2020 kosten lassen.

Neben der Konkurrenz richten die Experten ihren Blick auch auf mögliche zeitliche Verzögerungen bei der Tafasitamab-Zulassung. Zudem bestehe generell für die Aktie ein Kursrisiko durch Studienergebnisse zu anderen Mitteln aus der Morphosys-Produktpipeline. Zuletzt hatte auch ein Wechsel an der Unternehmensspitze für leichte Skepsis am Markt gesorgt.

Von den sechs im dpa-AFX-Analyser seit Jahresbeginn erfassten Analysten raten drei das Papier zu kaufen. Zwei würden es dagegen halten und eine Expertin rät zum Verkauf. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei rund 105 Euro und damit gut ein Fünftel über dem aktuellen Wert.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Morphosys-Papiere notieren aktuell knapp ein Drittel unter ihrem Zwischenhoch, das sie im Juli 2018 bei knapp 125 Euro erreicht hatten. Unter anderem hatte Ende Januar ein verlorener Patentstreit die Papiere unter Druck und bis zum März-Tief bei 79,70 Euro gebracht - hiervon hat sich der Kurs bislang nicht erholt.

Selbst nach guten Nachrichten kämpften Morphosys-Papiere in jüngster Zeit immer wieder mit der 200-Tage-Linie. So hatten etwa die kürzlich präsentierten Studienergebnisse zu Tafasitamab nur für ein kurzes Strohfeuer an der Börse gesorgt.

Einen unmittelbaren Kursrutsch nach Ankündigung des neuen Chefs Jean-Paul Kress führte ein Experte auf die Unsicherheit am Markt ob der fehlenden Onkologie-Expertise des designierten Vorsitzenden zurück. Das Unternehmen argumentiert damit, dass Kress auf ein starkes und erfahrenes Team bauen könne. Zudem verfüge der künftige Unternehmenslenker über jene strategischen Fähigkeiten, "um Morphosys auf das nächste Level zu bringen"./kro/tav/fba