27.09.18 | Artikel aus dem Konzernmagazin STIL

Konzernmagazin Nr. 3/2018

Wie Eisen und Stahl die Entwicklung unserer Zivilisation vorantreiben

Das erste Eisen, das Menschen nach ihrem Willen formten und für ihre Zwecke nutzten, war nicht von dieser Welt. Es war vom Himmel gefallen: Die Eisenperlen eines mehr als 5.000 Jahre alten ägyptischen Grabschmucks stammten aus einem Meteoriten, wie eine wissenschaftliche Analyse zeigte. Das also war der Grund, weshalb die Pharaonen Eisen das 'schwarze Kupfer vom Himmel' nannten und auch die Sumerer vom 'Himmelmetall' sprachen. Und es war auch der Grund, weshalb die Inuit sogar im ewigen Eis über Schneidwerkzeuge aus Eisen verfügten - sie hatten jahrhundertelang einen 30 t schweren Meteoriten 'abgebaut'.
Sehr lange sahen die Menschen im Eisen ein Geschenk der Götter. Es verlieh ihnen Kraft, Status und Macht, war aber auch immer mit Geheimnissen und Mythen behaftet. Als vor rund 5.000 Jahren Eisen irdischen Ursprungs abgebaut und verarbeitet werden konnte, nahmen in allen Kulturen die Männer, die es mithilfe des Feuers aus dem Stein lösten und zu Werkzeugen, Schmuck und Waffen formten, eine besondere Stellung ein. Für die Griechen waren Schmiede mit den Göttern verbündet, in ihrer Mythologie werkelte in einer unterirdischen Schmiede Hephaistos, der Gott des Feuers und der Metallkünste. Er und sein Götterkumpan Prome theus trieben nach ihrem Glauben die Technisierung der Menschheit voran. Der Gebrauch von Metallen war und ist der Maßstab für den zivilisatorischen Fortschritt. Schon die Dichter der Antike wie Homer und Ovid schrieben von ',metallischen Zeitaltern', die nach den Perioden der Gold-, Silber- und Bronzeverarbeitung in der Verwendung des Eisens ihre Vollendung fanden.

Und auch heute gliedern Historiker den späteren Abschnitt des 'Nacheiszeitalters' (Holozän) in die Phasen der Kupfer-, Bronze- und Eisenzeit. Ein ganzes Menschenzeitalter ist also nach dem Material benannt, aus dem Stahl gemacht ist - und streng genommen leben wir noch heute in dieser Epoche. Eisen und Stahl beschleunigten den Fortschritt und wurden zum Synonym für den höheren Entwicklungsstand einer Zivilisation, für deren Entwicklung sie folglich von extremer Bedeutung waren. Und dies nicht nur in grauer Vorzeit, sondern im Zuge der Industrialisierung vermehrt seit dem 18. und 19. Jahrhundert.
Die Entwicklung verlief aber nicht überall gleichzeitig und auch nicht gleich schnell. Die Chinesen lernten schon vor 2.500 Jahren, Eisen zu schmelzen und zu gießen -, und somit den Eisenguss 2.000 Jahre früher als die Europäer. In Indien steht der 1.600 Jahre alte Qutub-Obelisk, der den Forschern bis heute Rätsel aufgibt: Er will einfach nicht rosten. Die mehr als sieben Meter hohe und sechseinhalb Tonnen schwere Eisensäule wurde aus fast reinem Eisen geschmiedet und ist von einer Schutzschicht ummantelt, die jede Korro sion verhindert. Wie der Rostschutz entstand und ob dies absichtlich oder zufällig geschah, ist unklar. Unzweifelhaft ist der hohe Anteil an Phosphor im Eisen der Säule, der mit dem Sauerstoff der Luft und der Luftfeuchtigkeit reagiert und so die Korrosion verhindert haben könnte. Allein die Größe und Fertigung der Säule belegen die Kunstfertigkeit der Inder in der Eisengewinnung und -verarbeitung - die Säule wurde offenkundig aus mehreren Luppen zusammengeschmiedet.

In Mesopotamien wird seit 5.000 Jahren Eisen verhüttet, in Europa erst seit ca. 2.700 Jahren. Seit damals ist das Verfahren des Rennofens bekannt: Mithilfe von Holz oder Holzkohle wurde in einem Lehm- oder Steinofen zerkleinertes Eisenerz er hitzt. Das alt- und mittelhochdeutsche Wort 'rennen' bedeutete so viel wie 'flüssig machen' und ist heute noch im Wort 'rinnen' präsent. Ein schmiedbarer Stahl unterschiedlichen Kohlenstoffgehalts entstand, wenn sich durch die Holzkohle im Rennofen das Eisen mit Kohlenstoff verband.
Bekannt und benutzt wurde Stahl schon lange, zum Beispiel durch die Hethiter in Kleinasien nach 1.500 v. Chr. Auch in vielen Kulturen in Westafrika verstand man es, kohlenstoffreichen Stahl zu produzieren. In den Mythen der Buhaya, einem Volk, das auf dem Gebiet des heutigen Tansanias lebte, finden sich ebenfalls Hinweise auf einen Eisengebrauch vor unserer Zeitrechnung.

Das Metall wurde unverzichtbar für die Modernisierung und den Ausbau einer Zivilisation - und für erfolgreiche Feldzüge. Eine römische Legion benötigte mehr als 30 t Roheisen, um jeden der 3.000 bis 6.000 Soldaten mit Helm, Rüstung und einem Gladius auszurüsten. Dieses Kurzschwert erwies sich als überlegene Waffe. Der griechische Historiker Polybios schildert die Kämpfe der Römer im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. in Gallien und berichtet, dass die gallischen Krieger nach jedem Hieb ihre Schwerter immer erst gerade biegen mussten, bevor sie wieder kampfbereit waren.
Nicht nur auf dem Schlachtfeld, auch für die Rodung der Wälder und den Ackerbau lieferte die Eisenverhüttung Werkzeuge, die härter waren als ihre Vorgänger aus Kupfer oder Bronze. Das Bau- und Transportwesen profitierte in gleichem Maße - durch Nägel, Speichenräder, Hufeisen, Meißel für den Steinbruch und vieles andere mehr. Weil das reduzierte Eisen aus den Rennöfen von Schlacke behaftet war und Einschlüsse aufwies, bearbeiteten es die frühen europäischen Schmiede am Amboss mit dem Hammer, um die Verunreinigungen auszutreiben. Viele wussten um das Geheimnis der Stahlherstellung und hüteten es: Sie hatten gelernt, dass ein Schwert härter und stabiler wurde, wenn sie es erneut erhitzten und kurz danach in Wasser oder Öl abkühlten, ohne zu ahnen, was wir heute wissen: dass Stahl durch Aufkohlen und Abschrecken an Festigkeit gewinnt. Das Schmieden ist deshalb eher eine Kunst als ein Handwerk. Das Volk glaubte an übernatürliche Kräfte - und an entsprechende Mythen. Eine schöne Geschichte hierzu erzählen mehrere nordische Sagen über Wieland den Schmied. Er schuf das Schwert Mimung, das er dreimal schmiedete. Dabei zerstörte er die Klinge zweimal wieder und mischte die Eisenspäne unter das Futter seiner Gänse. Aus dem Gänsekot schmolz er das Material für den zweiten und dritten Schmiedevorgang, bis Mimung so hart und scharf war, dass es einen Büschel Wolle zerschnitt, der in einem Bach gegen die Schwertklinge trieb. Der seltsame Vorgang klingt nach heutigem Wissensstand plausibel: Der Stickstoff aus dem Gänsekot hatte den Stahl gehärtet.

Wieland wusste nicht genau, was er tat, aber es war das Richtige. Über Jahrhunderte blieb die Stahlherstellung ein intuitiver und geplanter, aber keineswegs vollständig begriffener Vorgang. Daran änderten auch verbesserte Verfahren nichts, bei denen zum Beispiel der Schmiedehammer und die Blasebälge durch Wasserräder angetrieben wurden. Mitte des 14. Jahrhunderts lernte man, dem Roheisen Kohlenstoff, Phosphor und Schwefel zu entziehen ('frischen'), um es schmiedbar zu machen. Der hohe Schwefelgehalt war auf die Steinkohle zurückzuführen, mit denen die Öfen zunehmend anstelle der Holzkohle befeuert wurden. Hilfe kam von den Bierbrauern, die Koks erfanden, weil die Holzkohle beim Dörren des Malzes einen üblen Geschmack hinterließ. Der stark kohlenstoffaltige Brennstoff, der auch weniger raucht und rußt als Kohle, wird bis heute zum Befeuern der Hochöfen und als Reduktionsmittel verwendet.

Man erzeugte also Stahl, ohne den Prozess wirklich zu verstehen und zu beherrschen, was in einem seltsamen Kontrast zu der Vielseitigkeit und Verbreitung und der immer weiter wachsenden Bedeutung des Werkstoffes für den Fortschritt steht. Immerhin erkannte man im späten 18. Jahrhundert, dass die Härte und Qualität des Stahls vom Anteil des Kohlenstoffes abhängt. Das half aber niemandem weiter, solange man die Produktionsprozesse nicht entsprechend steuern konnte.
Mit der beginnenden Industrialisierung wurde die Frage immer dringlicher. Stählerne Dampfmaschinen steigerten die wirtschaftliche Produktion sprunghaft. Die Eisenbahn bescherte der Mobilität und dem Transportwesen einen Riesenfortschritt. Doch die ersten Schienen, die die Eisenbahnbauer verlegten, mussten nach wenigen Monaten erneuert werden, weil sich das Guss- oder Schmiedeeisen verbogen hatte. Der Mangel an Qualitätsstahl drohte den Fortschritt auszubremsen.
Erst Henry Bessemer gelang es, Stahl mit dem gewünschten Kohlenstoffgehalt herzustellen. Der britische Ingenieur und Erfinder entwickelte Mitte des 19. Jahrhunderts ein Verfahren, um dem kohlenstoffreichen Gusseisen Kohlenstoff zu entziehen - und so dessen Anteil im Stahl genau einzustellen. So konnte die Massenproduktion von Stahl gelingen - allerdings erst, als man phosphorarmes schwedisches Erz für dieses Verfahren verwendete.
Eisen und Stahl und in ihrem Zuge auch der Bergbau, der die Erze und Kohle zutage förderte, waren der Motor der Moderne. Stahl etablierte sich als Baustoff für Schiffe, Brücken und Gebäude - der 1889 anlässlich der Weltausstellung fertiggestellte Eiffelturm präsentierte der Öffentlichkeit die neue Kunst der Ingenieure und Archit ekten. Noch Ende der 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts galt die Schwerindustrie als Inbegriff des Fortschritts, was u. a. in Fritz Langs Science- Fiction-Klassiker 'Metropolis' von 1927 zu sehen ist: Der Film zeigt riesige stählernen Produktionsmaschinen als Inbegriff der Macht und Herrschaft. Wenig später, Anfang der 30er-Jahre, verstand die Wissenschaft dann auch endlich, was im Stahl während der Produktion tatsächlich vorgeht. Noch weit bis in die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts galt die Stahlproduktion als Gradmesser einer Wirtschaftsmacht, aus der sich auch die politische Bedeutung eines Staates ableitete. Keinem anderen Werkstoff kam je eine solch extreme Bedeutung zu. Allerdings verschiebt die Digitalisierung als neuer 'Treibstoff ' des zivilisatorischen Fortschritts diese Parameter zunehmend.

Der Erzabbau und die Eisenproduktion forcierten jedoch nicht nur die Entwicklung einer Zivilisa tion oder eines Staates, sondern immer auch die einzelner Regionen. Hierfür bietet der Raum Salz gitter ein gutes Beispiel. Die hiesigen Eisenerz- und Kohlevorkommen bildeten zusammen mit dem Salz die Grundlage für die Besiedlung des Gebietes. Schon vor 1.800 Jahren wurde hier Eisen verhüttet. Im 19. Jahrhundert entstanden im Zuge der Industrialisierung das Eisenwerk Salzgitter und die Hütte in Ilsede. Da das Salzgitter-Erz stark kieselsäurehaltig und arm an Eisen war, wurde es aber lange nur als Zuschlagerz verwendet, bis das Eisenwerk sogar schließen musste. Doch nach dem Ersten Weltkrieg und dem Verlust der Erzvorkommen in Elsaß-Lothringen kam Salzgitter wieder ins Spiel - zumal neue Verfahren die Verhüttung der sauren Salzgitter-Erze ermöglichten. Und in diesem Spiel wirkt der Standort bis heute mit.

Salzgitter AG veröffentlichte diesen Inhalt am 27 September 2018 und ist allein verantwortlich für die darin enthaltenen Informationen.
Unverändert und nicht überarbeitet weiter verbreitet am 27 September 2018 12:03:07 UTC.

Originaldokumenthttps://www.salzgitter-ag.com/de/medien/pressemeldungen/artikel-aus-dem-konzernmagazin-stil/2018-09-27-1/stahl-extrem.html

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