MÜNCHEN (dpa-AFX) - Beim Elektrokonzern Siemens steht das Jahr 2019 ganz im Zeichen des weiteren Konzernumbaus. Vorstandschef Joe Kaeser will dem Traditionsunternehmen eine neue Struktur verpassen. Ein wichtiger Baustein soll in diesem Jahr die Zugfusion mit Konkurrent Alstom sein. Doch ausgerechnet hinter dieser stehen Fragezeichen wegen wettbewerbsrechtlicher Bedenken. Was bei Siemens los ist, was Experten sagen und wie die Aktie zuletzt gelaufen ist.

DAS IST LOS BEI SIEMENS:

Siemens hatte in den vergangenen Jahren mit der Windkraft sowie dem Medizintechnikgeschäft bereits zwei große Bereiche aus dem Konzern herausgelöst und entweder durch Fusion (Siemens Gamesa) oder Börsengang (Siemens Healthineers) in die Unabhängigkeit entlassen. Diesen Pfad will Kaeser weiterverfolgen. Als nächstes soll die Zugsparte an der Reihe sein. Durch die Fusion mit dem französischen Konkurrenten Alstom mit anschließender eigener Börsennotierung soll sie das dritte "Schnellboot" werden - eigenständig aber wie die anderen beiden mehrheitlich im Siemens-Besitz.

Auch den Rest des Konzerns will Kaeser neu organisieren. Der Vorstandschef will Geschäfte zusammenlegen und sich künftig auf drei operative Bereiche mit Schwerpunkt auf die Digitalisierung konzentrieren. So soll mittelfristig das Wachstum angekurbelt und die Profitabilität weiter gesteigert werden. Den einzelnen Geschäften soll künftig ebenfalls mehr unternehmerische Freiheit unter der Marke Siemens gegeben werden.

In den drei neuen Sparten Gas & Power, Smart Infrastructure sowie Digital Industries sollen die bisherigen Bereiche Gebäudetechnik, Energiemanagement, das Kraftwerksgeschäft, große Teile des Bereichs Prozessindustrie und Antriebe sowie die Digitale Fabrik aufgehen. Siemens will dabei auch in neue Wachstumsgebiete investieren, wie etwa in das Internet der Dinge, dezentrales Energiemanagement oder infrastrukturelle Elektromobilität. Ausgebaut werden soll auch die industrielle Digitalisierung. Zum 1. April soll die neue Struktur starten.

Doch nun droht ausgerechnet die Fusion der Zugsparte zu scheitern. Die europäische Wettbewerbsbehörde hat kartellrechtliche Bedenken geltend gemacht, wenn die Hersteller der Hochgeschwindigkeitszüge TGV und ICE zusammengehen - sowohl bei Zügen als auch bei der Signaltechnik. Auch das Argument, welches besonders Kaeser immer wieder vorbringt - die Wappnung gegen die aufkommende Konkurrenz in China - will die Kommission so nicht gelten lassen. Dass chinesische Zug- oder Signaltechnikanbieter in absehbarer Zukunft auf den europäischen Markt vordringen, erscheint der Behörde derzeit unwahrscheinlich.

Kaeser hatte zuletzt indirekt vor einem Scheitern gewarnt: "Die beabsichtigte Formung eines global agierenden europäischen Champions in der Bahntechnik wird ein prominenter Testfall werden, ob die Europäische Union verstanden hat, wie man mit umsichtiger und langfristig angelegter Unternehmenspolitik nachhaltige Antworten auf staatsgelenkte Firmenpolitik findet", hatte er erst in der vergangenen Woche erklärt.

Siemens und Alstom machten zuletzt zwar Zugeständnisse und boten an, sich von Geschäftsbereichen vor allem in der Signaltechnik, aber auch im Zugbereich zu trennen. Die betroffenen Bereiche stellen jedoch lediglich rund 4 Prozent des erwarteten Gesamtumsatzes dar, also etwa 600 Millionen Euro. Für die Wettbewerbsbehörden Großbritanniens, Spaniens, der Niederlande, Belgiens und Deutschlands jedoch ist das nicht ausreichend. Sie bezogen in Briefen an die EU-Kommission gegen das Vorhaben Stellung.

Siemens und Alstom sahen im Vorfeld dagegen keine Bedenken. Politiker in Frankreich und Deutschland begrüßten das Vorhaben. Doch sowohl die Chefetagen von Alstom und Siemens betonten zuletzt, wie stark die jeweiligen Unternehmen aktuell auch ohne Partner seien. Die Gespräche mit der Kommission laufen derweil weiter.

Mit oder ohne Zugfusion - 2019 ist ein weiteres Übergangsjahr für Siemens. Die neue Struktur muss mit Leben gefüllt und das zuletzt schwächelnde Kraftwerksgeschäft wieder auf Vordermann gebracht werden. Die Marge im Industriegeschäft dürfte laut Konzernprognose bereinigt um Sonderfaktoren keine großen Sprünge machen, der um Währungseffekte und Zu- und Verkäufe bereinigte Umsatz soll moderat zulegen.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Die Analysten sind überwiegend positiv gestimmt. Die Mehrheit der im dpa-AFX Analyser versammelten Experten hat die Aktie auf ihrer Kaufliste, einige weitere haben eine abwartende Haltung. Dagegen steht lediglich eine einzige Verkaufsempfehlung. Die Aktie des Konzerns gehöre zu den aussichtsreicheren zyklischen Werten im neuen Jahr, schrieb Morgan-Stanley-Analyst Ben Uglow noch Anfang Dezember in einer Branchenstudie.

Potenzial sehen Experten im laufenden Umbau. Von einem Abbau der "Konglomeratsstruktur" spricht etwa Berenberg-Analyst Simon Toennessen. Das Wachstum des Unternehmens sei wegen seiner Komplexität in den vergangenen Jahren hinter dem weltweiten Wirtschaftswachstum zurückgeblieben. Deren Reduzierung beinhalte bei Siemens mehr Potenzial als bei der Konkurrenz. DZ-Bank-Analyst Alexander Hauenstein sieht den Konzern dabei insbesondere bei Zukunftsthemen wie der Digitalisierung gut aufgestellt. Als Beispiel benennt er den Trend zu intelligenten Städten und anderer "smarter" Projekte.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Wie bei den meisten anderen Dax-Konzernen auch hatten Anleger an den Siemens-Titeln im vergangenen Jahr keine Freude. Siemens schlossen 2018 mit einem Kursminus von gut 16 Prozent ab. Damit entwickelte sich der Konzern jedoch nah am Dax, der gut 18 Prozent verlor. Von seinem Ende Januar vergangenen Jahres erreichten Hoch bei gut 125 Euro ist das Siemens-Papier mittlerweile weit entfernt - die Aktie notiert derzeit bei rund 97 Euro. Die Analysten im dpa-AFX Analyser halten die Aktie derzeit für unterbewertet und sehen noch viel Spielraum nach oben. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei 124,94 Euro. Besonders optimistisch sind dabei die Experten von UBS und Jefferies, die Kursziele von 138 und 140 Euro ausgelobt haben./nas/tav/jha/