Zürich (awp) - Börsenbetreiber wie die SIX sollten mit ihren Blockchain-Handelsplätzen nach Ansicht des Blockchain-Unternehmers und Finanzexperten Richard Olsen viel radikaler vorgehen. Die derzeitigen Pläne der Schweizer Börse SIX oder der Deutschen Börse seien nur "alter Wein mit etwas neuerer Infrastruktur".

Sowohl die SIX wie auch die mit der Swisscom kooperierende Deutsche Börse hatten noch für 2019 den Start einer "Blockchain-Börse" angekündigt. "Die Börsen überlegen sich nicht, wie sie die Technologie in einer ganz neuen Art nutzen könnten", sagte nun Olsen im Interview mit der Nachrichtenagentur AWP.

Der Gründer der Blockchain-Handelsplattform Lykke und frühere Mitgründer der Währungs-Plattform Oanda kritisiert: "Ein Smartphone ist ja darum spannend, weil wir es nicht nur als analoges Telefon gebrauchen, sondern weil wir ganz neue Dinge damit machen können."

Die Börsenbetreiber bauen ihre neuen Handelsplattformen zudem auf "privaten Blockchains" mit Zugang nur für ausgewählte Teilnehmer auf und nicht auf den öffentlichen Blockchains etwa von Bitcoin oder Ethereum.

"Diese Debatte klingt für mich so wie in den Anfangszeiten des Internets, wo viele Unternehmen noch ein 'privates Internet' machen wollten" sagte Olsen im Interview dazu. Eine offene Plattform bedeute einen Freiheitsgrad, den man sich "nicht vorstellen" könne.

Radikaler Umbau des Finanzwesens

Der Finanzexperte, der auch an der Universität von Essex lehrt, erwartet einen radikalen Umbau des Finanzwesens durch die Blockchain-Technologie. Dank der Abbildung als digitale Münze oder "Token" auf der Blockchain könne alles als Wertpapier ausgestaltet werden. "Künftig wird jeder Stuhl, jeder Sitzplatz im Flugzeug, jedes Hotelbett 'tokenisiert' und damit übertragbar werden", so Olsen.

Ein "Finanzsystem 2.0" werde schlussendlich gar keine Banken mehr benötigen, ist Olsen überzeugt. Seine Handelsplattform Lykke, die heute den Handel mit Währungen sowie mit Kryptowährungen offeriert, strebt deshalb auch keine Banklizenz sondern eine Finma-Bewilligung als Effektenhändler an. "Haben wir diese erst einmal erhalten, werden wir in der Lage sein Dinge zu tun, die wir uns bisher gar nicht vorstellen konnten."

Zusammenarbeit mit Tamedia

Wenig konkret blieb der Lykke-Gründer allerdings bezüglich der Zusammenarbeit mit dem Verlagshaus Tamedia, die im Herbst 2018 als Investorin bei dem Blockchain-Unternehmen eingestiegen war. "Wir haben natürlich auch gewisse gemeinsame Projekte angedacht - allerdings dauert alles immer etwas länger als man möchte."

Lykke verfügt laut Olsen derzeit über rund 100'000 Nutzer, 30'000 von ihnen erfüllen die regulatorischen Standards ("Know your customer"/KYC). Die Lykke-Kunden wollten nicht nur Kryptowährungen und "Tokens" handeln, gab sich Olsen überzeugt. "Unsere Kern-Community ist fasziniert von unserer Vision, dass wir eine Organisation eines 'Finanzsystems 2.0' sind."

(Das ganze Interview mit Richard Olsen ist auf dem AWP-Premiumdienst zu lesen.)

tp/ra