(neu: Details aus der Bilanzpressekonferenz, Aktienkurs, Analysten)

ESSEN (dpa-AFX) - Hohe Verluste, keine Dividende für die Aktionäre: Für Thyssenkrupp endet ein turbulentes Geschäftsjahr ohne versöhnlichen Abschluss. Der Ton wird dabei rauer. Die neue Frau an der Spitze, Martina Merz, will die Sanierung schneller vorantreiben, um die Profitabilität des Konzerns wieder herzustellen. Zwei bis drei Jahre veranschlagt sie dafür. Doch das kostet zunächst einmal. Da auch der konjunkturelle Rückenwind fehlt, dürfte das Unternehmen im neuen Geschäftsjahr 2019/20 noch tiefer in die Verlustzone rutschen.

Die Aktie brach am Donnerstag zwischenzeitlich um mehr als 10 Prozent ein. Der Industriekonzern bleibe in schwierigem Fahrwasser und stehe vor harten Zeiten, schrieb Analyst Christian Obst von der Baader Bank in einer ersten Reaktion. Der Ton des Industriekonzerns sei mit Blick auf eine beschleunigte Restrukturierung deutlich strenger gewesen als zuvor, kommentierte Jefferies-Analyst Alan Spence.

"Wir drehen gerade jeden Stein im Unternehmen um", sagte Merz bei der Vorlage der Bilanz in Essen. Dabei sparte sie nicht an Kritik. Thyssenkrupp habe sich zu lange "durchgewurstelt". Merz hatte Ende September den glücklosen Guido Kerkhoff abgelöst. "Die Performance etlicher unserer Geschäfte ist nicht zufriedenstellend. Das hat auch damit zu tun, dass notwendige strukturelle Verbesserungen und Restrukturierungen nicht mit der notwendigen Konsequenz umgesetzt wurden", so die Managerin. Dies wolle der Vorstand nun angehen. "Zügig und systematisch."

Dabei machte Merz deutlich, dass nicht alle Bereiche gleichermaßen mit Mitteln ausgestattet werden könnten. "Die Geschäfte stehen miteinander im Wettbewerb um Investitionen", sagte die Konzernchefin. Wenn einzelne Geschäfte nicht "zu den Branchenbesten" aufschließen könnten, müsse sich Thyssenkrupp eingestehen, "dass wir nicht der beste Eigentümer sind". Sie kündigte an, dass es "einen beliebigen und dauerhaften Ausgleich von Verlusten einzelner Geschäfte" nicht mehr geben werde.

Im Zentrum des Umbaus steht neben einer möglichen Trennung vom Aufzuggeschäft zunächst der Anlagenbau sowie das Geschäft mit Autokomponenten. Der Anlagenbau, der zur Zeit Verluste schreibt, soll operativ wieder in die Spur gebracht werden. Gleichzeitig prüft Thyssenkrupp die Möglichkeit, das Geschäft mit Partnern oder unter einem neuen Dach "weiterzuentwickeln". Derzeit stelle Thyssenkrupp Informationen zusammen, um "zeitnah" Gespräche mit möglichen Interessenten aufnehmen zu können. Der Anlagenbau hatte sich zuletzt mit einigen Projekten verhoben. Wegen der mauen Konjunktur kämpft der Bereich mit einer zu geringen Auslastung. Großaufträge fehlen.

Auch im Komponentengeschäft sieht die neue Chefin Handlungsbedarf. Im Anlagenbau für die Automobilindustrie sollen etwa 640 Stellen abgebaut werden. Thyssenkrupp hatte den Bereich noch unter Kerkhoff zur Disposition gestellt, ebenso wie den Bereich Federn und Stabilisatoren. Hier hat sich das neue Management entschieden, zunächst in den kommenden ein bis zwei Jahren die Entwicklung zu verbessern und später über weitere Schritte zu entscheiden. Das Komponentengeschäft will Thyssenkrupp insgesamt in ein reines Autozuliefergeschäft umwandeln. Bislang fertigt das Unternehmen auch für andere Industrien wie etwa die Windkraft. Über Partnerschaften oder mögliche Portfolio-Maßnahmen soll dann später diskutiert werden.

Auch die Zentrale soll verschlankt werden. So sollen beim Komponentengeschäft sowie beim Anlagenbau die Führungsgesellschaften weitgehend aufgelöst werden. Damit bestätigte Thyssenkrupp frühere Spekulationen in diese Richtung. In der Zentrale soll die Zahl der zentralen Funktionen von 15 auf 10 reduziert werden. Die Zahl der knapp 800 Mitarbeiter werde auf etwa 430 in den kommenden 12 Monaten reduziert.

Bei seinem zur Disposition stehenden Aufzuggeschäft hat sich Thyssenkrupp noch nicht entschieden. So lägen dem Konzern indikative Angebote von mehreren strategischen Investoren sowie von Finanzinvestoren vor. Nach einer Due Diligence erwarte Thyssenkrupp bindende Angebote als Basis für potenzielle Verhandlungen im neuen Jahr. Namen nannte der Konzern keine. Auch ein möglicher Börsengang soll weiter verfolgt werden. Mit einer Entscheidung für eine der Optionen rechnet der Konzern im ersten Quartal 2020.

Zuletzt soll noch ein Konsortium aus den Investoren Blackstone, Carlyle und dem Canada Pension Plan Investment Board für die Aufzüge geboten haben. Daneben wird über eine weitere Zusammenarbeit zwischen Advent, Cinven und dem Abu Dhabi Investment Authority spekuliert. Offenes Interesse hat der finnische Wettbewerber Kone bekundet, dieser könnte sich dabei ebenfalls mit Finanzinvestoren zusammen tun, Gerüchten zufolge könnten sich die Finnen CVC und oder die asiatische Hillhouse Capital ins Boot holen. Analysten trauen dem Aufzuggeschäft einen Wert von bis zu 17 Milliarden Euro zu.

Die Erlöse aus einem Verkauf oder Börsengang braucht der Konzern, um seine Sanierung finanzieren zu können. "Löcher stopfen" will Konzernchefin Merz damit jedoch nicht. Eine Kapitalerhöhung soll ebenfalls nicht nötig sein.

Auch für das Stahlgeschäft soll es ein Zukunftskonzept geben. Es soll im Dezember dem Aufsichtsrat der Sparte vorgestellt und mit den Arbeitnehmervertretern besprochen werden. Das Geschäft leidet unter Überkapazitäten, Preisdruck und hohen Rohstoffkosten. Nachdem die Fusion mit dem europäischen Geschäft von Tata Steel in diesem Jahr geplatzt war, arbeitet das Management an einem Restrukturierungsplan, der auch den Abbau von 2000 Stellen vorsieht. Dabei will Thyssenkrupp es aus eigener Kraft schaffen. Auch im Stahlhandel will sich das Unternehmen auf seine eigene Entwicklung konzentrieren.

Insgesamt hat Thyssenkrupp für den Konzern bislang die Streichung von 6000 Stellen angekündigt. Dabei schloss das Management nicht aus, dass ein Abbau darüber hinaus nötig sein könnte.

Im vergangenen Geschäftsjahr fuhr Thyssenkrupp wegen der vielen Probleme einen deutlich höheren Verlust ein als im Vorjahr. Dazu drückten Restrukturierungskosten sowie Rückstellungen für ein Kartellverfahren. So stieg der Fehlbetrag im vergangenen Geschäftsjahr 2018/19 (Ende September) um ein Vielfaches von 62 Millionen auf 304 Millionen Euro. Die Dividende strich der Konzern. Analysten hatten auf eine unveränderte Ausschüttung von 0,15 Euro je Aktie gehofft.

Besserung ist für das laufende Jahr nicht zu erwarten. Thyssenkrupp geht im Stahlgeschäft von einer schwächeren Entwicklung aus. Insgesamt hat Thyssenkrupp für Restrukturierungen im laufenden Geschäftsjahr zudem einen mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Betrag vorgesehen. Der Verlust soll daher noch höher ausfallen als im Vorjahr. Thyssenkrupp kassierte zudem seine Mittelfristziele für das Geschäftsjahr 2020/21./nas/men