HANNOVER (awp international) - Wenige Monate nach der Pleite von Thomas Cook sprudeln beim weltgrössten Reisekonzern Tui die Buchungen. "Der Reisemarkt in Deutschland und Grossbritannien wird voraussichtlich schrumpfen, aber wir werden Marktanteile gewinnen", sagte Tui-Chef Fritz Joussen am Dienstag vor Beginn der Hauptversammlung in Hannover. Er könne sich an keinen so dynamischen Jahresstart wie diesmal erinnern. Daher sieht der Manager gute Chancen, trotz des Flugverbots für die Boeing 737 Max im Geschäftsjahr bis Ende September den oberen Rand seiner bisherigen Gewinnprognose zu erreichen.

Damit würde der um Sonderposten bereinigte operative Gewinn (bereinigtes Ebit) bis zu 1,05 Milliarden Euro erreichen. Allerdings könnten es - wenn es schlecht läuft - auch nur 850 Millionen Euro sein. Damit liegt die Untergrenze zwar 100 Millionen niedriger als zuvor. Allerdings hat Joussen nun erstmals die Mehrkosten für eine über den gesamten Sommer verlängerte 737-Max-Krise eingerechnet. Mit bis zu 375 Millionen Euro sollen sie etwas geringer ausfallen als zuletzt befürchtet - aber immer noch teurer werden als im vergangenen Jahr.

An der Börse in London kamen die Nachrichten hervorragend an. Die Tui-Aktie lag am Nachmittag mit 11,38 Prozent im Plus bei 957,20 britischen Pence und war mit Abstand Spitzenreiter im britischen Leitindex FTSE 100 . Allerdings hatte sich der Kurs seit seinem Rekordhoch im Mai 2018 zeitweise mehr als halbiert und ist weiterhin weit von seinen ehemaligen Höhen entfernt.

Im ersten Geschäftsquartal bis Ende Dezember wuchs der saisontypische operative Verlust (bereinigtes Ebit) bei Tui im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 77 Prozent auf rund 147 Millionen Euro. Die Miete und die Mehrkosten für Ersatzflugzeuge summierten sich auf 45 Millionen Euro. Unter dem Strich verringerte sich der Nettoverlust allerdings um fast acht Prozent auf 129 Millionen Euro. Reiseanbieter schreiben in der reiseschwachen Wintersaison in der Regel rote Zahlen, weil sie ihre Fixkosten nicht decken können. Ihre Gewinne fahren sie vor allem in der Hauptreisezeit im Sommer ein.

Doch Tui muss jetzt möglicherweise auch in der heissen Jahreszeit ein weiteres Mal auf ältere und daher spritdurstigere Ersatzflugzeuge setzen. Denn Boeing rechnet inzwischen erst für Mitte des Jahres mit einem Ende des Startverbots für die "Max". Tui hat bisher 15 Maschinen des Typs in der Flotte und hätte schon vergangenen Sommer weitere acht Exemplare erhalten sollen. Dass diese neuen Maschinen bis Ende September eintreffen, hält Joussen für unwahrscheinlich. In seine Gewinnprognose hat er nun auch erste Schadenersatzzahlungen von Boeing einkalkuliert.

Dabei läuft das Reisegeschäft des Konzerns im Kern glänzend. In der Wintersaison lägen die Buchungen mit Stand Anfang Februar drei Prozent höher als im Vorjahr, berichtete Tui, und das bei sechs Prozent höheren Preisen. Für den Sommer seien bereits 36 Prozent des Angebots verkauft. Die Buchungen hätten um 14 Prozent angezogen. Die Reisepreise lägen im Schnitt um drei Prozent höher als ein Jahr zuvor.

"Wir haben nach der Insolvenz von Thomas Cook praktisch sofort deren Hotels in unser Programm aufgenommen", sagte Joussen. Er zeigte sich sicher, dass Tui gegenüber allen Wettbewerbern Marktanteile gewinnen werde. Unterdessen stimmen die Buchungszahlen den Tui-Chef auch zuversichtlicher für die kommenden Monate. Nach Erlösen von 18,9 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2018/19 soll der Tui-Umsatz im laufenden Jahr nun um einen hohen einstelligen Prozentsatz steigen. Bisher hatte er ein Plus im mittleren bis hohen einstelligen Prozentbereich angepeilt.

Dabei scheint das Wachstum auf dem Reisemarkt an sich kein Selbstläufer mehr zu sein. Zwar ist der grösste Tui-Wettbewerber Thomas Cook vom Markt verschwunden. Doch Joussen zeigte sich überzeugt, dass die Menschen in den wichtigsten Absatzmärkten Deutschland und Grossbritannien in diesem Jahr weniger in Urlaub fliegen werden. Darauf deuteten die bisherigen Buchungszahlen am Markt hin. Ganz sicher könne man sich dabei aber nicht sein: "Vielleicht buchen die Menschen doch noch im Last-Minute-Geschäft." Er könne das Phänomen noch nicht erklären.

Die Coronavirus-Epidemie wirke sich jedenfalls noch nicht spürbar auf das Buchungsverhalten der Kunden aus. China ist für Tui bisher ohnehin kein wichtiger Markt. Zudem sei derzeit keine Hochsaison für Asienreisen, sagte Joussen.

Auf Kritik bei Anteilseignern stiessen Pläne, die Berechnung der Vorstandsvergütung zu ändern. "Die fetten Jahre für uns Aktionäre sind vorbei - nur für den Vorstand soll das nicht so sein", sagte Josef Gemmeke von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger. Wenn es darum gehe, die Mindestvergütung anzuheben, solle Tui das auch so benennen. Stattdessen seien 20 Seiten im Geschäftsbericht notwendig, um die Auswirkungen der verschiedenen Faktoren zu zeigen.

Aufsichtsratschef Dieter Zetsche wies dies zurück. Es gehe nicht um eine Erhöhung des Mindestbetrags. Die neue Berechnung ermögliche eine "bessere Ausrichtung für die Zukunft". Für 2019 hatte der Tui-Vorstand nur das Festgehalt und keine Jahresprämie bekommen.

Unterdessen sortiert sich der Reisemarkt nach der Pleite von Thomas Cook in Deutschland und vielen Ländern Europas neu. Der Konzern mit Marken wie Neckermann Reisen, Bucher Last Minute und Öger Tours hatte Ende September Insolvenz angemeldet. Während in Grossbritannien auch die konzerneigene Fluggesellschaft die Flügel streckte, flog die deutsche Thomas-Cook-Tochter Condor dank eines Staatskredits weiter weiter und steht nun vor der Übernahme durch die polnische Fluggesellschaft LOT./stw/cwe/eas/fba