BRAUNSCHWEIG/STUTTGART (awp international) - In der Aufarbeitung der Diesel-Affäre muss sich VW -Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch erneut gegen Vorwürfe verteidigen, er habe früher als bislang eingeräumt über Abgas-Probleme in den USA Bescheid gewusst. Wie die "Bild am Sonntag" schreibt, soll ein Rechtsexperte des Konzerns ausgesagt haben, der damalige Finanzvorstand sei schon knapp drei Monate vor dem öffentlichen Bekanntwerden der Manipulationen am 18. September 2015 informiert worden.

Pötsch habe demnach Hinweise zu Milliarden-Risiken erhalten, lange bevor VW die Finanzwelt ins Bild setzte. Zuvor hatten auch "Süddeutsche Zeitung", NDR und WDR darüber berichtet. Volkswagen wies diese Darstellung am Wochenende scharf zurück.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Pötsch unter anderem wegen des Verdachts der Marktmanipulation. Viele Anleger, deren VW-Aktien im Herbst 2015 stark an Wert verloren, fordern Schadenersatz - ein entsprechendes Musterverfahren läuft mittlerweile in Braunschweig. Im Februar will sich das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart noch einmal mit der Frage befassen, ob die Rolle der VW-Dachgesellschaft Porsche SE (PSE) in einem möglichen zweiten Verfahren beleuchtet werden soll.

Zu den angeblichen Zeugenaussagen mit Blick auf Pötsch betonte dessen Sprecher: "Das sogenannte Dieselthema war im Sommer 2015 mehrfach Gegenstand von Gesprächen auch mit Herrn Pötsch. Keines dieser Gespräche hatte jedoch einen entsprechenden Inhalt und eine Qualität, woraus sich für Herrn Pötsch eine kapitalmarktrechtliche Relevanz hätte ergeben können." Die Wolfsburger sind seit längerem Vorwürfen ausgesetzt, zu spät über die Konsequenzen von "Dieselgate" informiert zu haben. Auch Verbraucher haben sich inzwischen mit Hilfe der neuen Musterfeststellungsklage vor Gericht gegen VW zusammengetan.

Die "Bild am Sonntag" stützt ihre Interpretation auf eine Präsentation von VW-Juristen von Ende Juni 2015. Pötsch habe Einschätzungen daraus, es gebe in US-Autos eine unzulässige Abgasreinigung, kurz darauf bekommen. Das Unternehmen erwiderte: "Solche Informationen waren nach Angaben mehrerer dazu befragter Personen nicht Inhalt der fraglichen Besprechung." Man sei der Ansicht, alle Aufsichts- und Auskunftspflichten erfüllt zu haben.

Dies hatte Volkswagen auch in einer Erwiderung auf die Klagen im Musterverfahren der Anleger so erklärt. Demzufolge hätten sich Hinweise auf "ein Problem mit US-Behörden wegen Emissionen" von Mai 2015 an verdichtet, aber es sei nichts Konkreteres bekannt gewesen.

Bei einem "Schadenstisch" am 27. Juli 2015 unter anderem mit dem damaligen Vorstandschef Martin Winterkorn sei ebenfalls noch nicht mitgeteilt worden, dass es um eine nach US-Recht unzulässige Abgas-Abschalteinrichtung gehen könne. Auch gegen Winterkorn und den aktuellen VW-Konzernchef Herbert Diess ermittelt die Braunschweiger Staatsanwaltschaft wegen möglicher Marktmanipulation.

In Stuttgart steht die Rolle der PSE im Zentrum. Bislang hatten sich die zuständige OLG-Richter eher skeptisch gezeigt und in einem sogenannten Hinweisbeschluss auch ausführlich dargelegt, warum sie nur Braunschweig für zuständig halten. Die Holding zählt dort ebenfalls zu den Beklagten, spielt aber nur nebenbei eine Rolle.

Nun jedoch hat die 20. Zivilkammer in Stuttgart - nachdem ein anderer Richter dort den Vorsitz übernommen hat - einen Termin für eine mündliche Verhandlung zu dem Thema angesetzt. Dass sie ihre Meinung womöglich geändert hat und nun doch eher dazu tendiert, die Fälle in Stuttgart zu bündeln, lasse sich daraus aber noch nicht ableiten.

Die PSE, die von den Familien Porsche und Piëch kontrolliert wird, hält die Mehrheit der Stimmrechte an der Volkswagen AG und verdient mit den Anteilen auch im Wesentlichen ihr Geld. Der Vorwurf der Anleger ist der gleiche wie bei VW: Die Holding soll sie zu spät über die Folgen des Dieselskandals informiert und damit gegen kapitalmarktrechtliche Veröffentlichungspflichten verstossen haben. Die PSE hält die Vorwürfe ebenso wie VW für unbegründet./jap/DP/men