ASCHHEIM (dpa-AFX) - Der Zahlungsabwickler Wirecard hat eine tumultartige jüngere Geschichte hinter sich. Vor einigen Jahren das Opfer von Leerverkaufsattacken, führte das rasante Wachstum und Zukäufe den Konzern zuletzt sogar bis in den Dax. Und jetzt wird die Aktie wieder als Schmuddelkind in der deutschen Börsen-Beletage abgestempelt. Was bei Wirecard derzeit die Lage bestimmt, was die Finanzexperten sagen und welche Kapriolen die Aktie schlägt.

DAS IST LOS BEI WIRECARD:

Den Aktionären mag es wie ein unliebsames Déjà-vu vorkommen: Aktuell spricht niemand mehr vom strammen Wachstum bei dem Dax-Neuling, sondern alle nur noch von Untersuchungen angeblicher Bilanzierungsverstöße, vom Wahrheitsgehalt von Presseberichten, von Spekulanten und möglicherweise sogar dunklen Machenschaften rund um die Aktie.

Wie ernst die Situation ist, verdeutlichte Anfang vergangener Woche ein drastischer Schritt der deutschen Finanzaufsicht Bafin, die neue Nettoleerverkaufspositionen (sogenannte "Short"-Positionen) in der Wirecard-Aktie für zwei Monate verbot. Das gab es zuletzt in der Finanzkrise vor gut zehn Jahren - und auch da nicht für Einzeltitel, sondern gesammelt für mehrere Finanzaktien, weil die Aufseher die Ansteckungsgefahr des Kursrutsches in der Branche als zu gefährlich für den gesamten Finanzmarkt einstuften.

Mit dem Dax-Aufstieg wollte Konzernchef Markus Braun das immer wieder kolportierte Schmuddelimage des Zahlungsabwicklers eigentlich endgültig ablegen, denn in der Anfangszeit hatte Wirecard vor allem mit Porno- und Glücksspielanbietern Geschäfte gemacht. Doch es kam anders. Diesmal wiegen die Vorwürfe auch ungleich schwerer als beim letzten massiven Kurseinbruch im Februar 2016, als ein Sammelsurium an Vorwürfen aus dubioser Quelle am Finanzmarkt lanciert wurde. Nach Erkenntnissen von Ermittlern war das damals ein stumpfer Versuch von Leerverkäufern, mit schlechten Nachrichten den Kurs nach unten zu treiben, um damit Geld zu verdienen. Doch diesmal steht mit der "Financial Times" ("FT") eine weltweit renommierte Wirtschaftszeitung hinter den Vorwürfen.

Die aktuellen Fakten: Das Wirecard-Management musste einräumen, dass deren Presseberichte von Ende Januar und Anfang Februar zumindest eine wahre Grundlage haben - nämlich, dass bei einer Wirecard-Tochter in Singapur die Bilanzen auf Scheinumsätze und das Fehlverhalten von Buchhaltungsmanagern untersucht werden. Allerdings habe die "FT" nur einen frühen Stand der Untersuchungen zugespielt bekommen, die vorwiegend aus den Hinweisen des internen Whistleblowers bestehen sollen, der den Fall ursprünglich der Compliance-Abteilung von Wirecard meldete. Laut Wirecard geht es bei der Prüfung um Umsätze von insgesamt 6,9 Millionen Euro und Gesamtkosten von 4,1 Millionen Euro. Außerdem steht demnach ein interner Transfer von geistigem Eigentum an Software im Wert von 2,6 Millionen Euro zur Debatte.

Nach Aussagen Brauns seien die Hinweise an die Compliance-Abteilung das Resultat einer persönlichen Fehde zwischen Mitarbeitern. Die Berichte der britischen Zeitung seien verleumderisch und falsch, hieß es vom Unternehmen. Sowohl die interne Untersuchung als auch die beauftragte Kanzlei Rajah & Tann hätten kein Fehlverhalten feststellen können. Der Abschluss der Untersuchung stehe kurz bevor, es hätten keine Bilanzpositionen korrigiert werden müssen.

In Singapur hat die Polizei Büros von Wirecard durchsucht, in München ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Marktmanipulation. Nun könnte sich das ganze zu einer echten Räuberpistole ausweiten: Die Münchener Ermittler haben nach eigenen Angaben von Wirecard "ernstzunehmende Hinweise" erhalten, dass vor dem Leerverkaufsverbot versucht worden sein soll, eine neue Short-Attacke auf die Aktie zu fahren. Laut einem Bericht des "Handelsblatts" soll dem Unternehmen zudem angeboten worden sein, Negativberichte gegen die Zahlung hoher Geldbeträge zu verhindern.

Zwischenzeitlich hat die Staatsanwaltschaft München sogar ein Ermittlungsverfahren gegen einen Journalisten der "FT" eingetragen, nachdem ein Anleger eine Strafanzeige erstattet hatte.

All das überlagert derzeit das Tagesgeschäft. Dabei gäbe es auch dort durchaus interessante Dinge zu besprechen. Etwa, ob Wirecard auch in den kommenden Jahren im Konkurrenzkampf seine relativ hohen Margen halten kann. Das Unternehmen kann rechnerisch auf eine durchschnittliche Transaktionsgebühr von zuletzt rund 1,6 Prozent bauen. Soll heißen: Von jeder abgewickelten Transaktion auf der eigenen Zahlungsplattform streichen die Aschheimer 1,6 Prozent für sich als Umsatz ein. In der Planung für 2025 liegt der Wert bei 1,4 Prozent.

Doch der Markt ist hart umkämpft. Ob der Wettbewerb sich nicht auch in sinkenden Margen niederschlägt, ist unklar. Immerhin wird Braun nicht müde zu betonen, dass elektronische Zahlungsabwicklung eine strukturelle Wachstumsstory ist. Noch liefen rund 85 Prozent des weltweiten Zahlungsverkehrs in bar, so der Österreicher.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Robin Brass von der Investmentbank Hauck & Aufhäuser zeigte sich zuletzt zuversichtlich, dass das Wirecard-Management nicht in Fehlverhalten involviert war und dass die internen Kontrollmechanismen griffen. Die Berichterstattung der "FT" sei im besten Falle vollkommen unverhältnismäßig angesichts der Größenordnung, um die es bei den Umsätzen gehe. Die Kursschwäche sollte als Einstiegschance begriffen werden.

Commerzbank-Analystin Heike Pauls hatte sich schon früh auf die Seite des Unternehmens geschlagen und den Inhalt des Berichts in Frage gestellt. Der für die kritische Berichterstattung verantwortliche Journalist der Zeitung hatte vor drei Jahren den zwielichtigen Research-Bericht eines bis dato unbekannten angeblichen Analysehauses mit bekannt gemacht.

DZ-Bank-Experte Harald Schnitzer schrieb, das Bafin-Leerverkaufsverbot bei Wirecard-Aktien könnte nun die hohe Schwankungsanfälliggkeit der Aktie eindämmen. Die finalen Erkenntnisse der Kanzlei Rajah & Tann seien nun der Schlüssel, um die Vorwürfe entweder zu entkräften oder genau zu beziffern, schrieb Antonin Baudry von der HSBC.

15 von 19 im dpa-AFX-Analyser erfasste Analysten raten bei dem Papier weiter zum Kauf, jeweils 2 sind für Halten und für Verkaufen. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei 191,50 Euro.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Wenn Anleger ein Resümee für die Zeit nach dem Dax-Aufstieg ziehen, dann kann das nur negativ ausfallen. Das Papier schwächelte schon ohne die belastenden jüngsten Nachrichten beträchtlich, dem rasanten Aufstieg vor dem Sprung in den Dax im September zollte das Papier wie einige Werte zuvor Tribut. Kurz vor der Entscheidung zur Aufnahmen in den deutschen Leitindex kletterte Wirecard bei 199 Euro auf ein neues Rekordhoch - und hatte bis dahin seinen Wert seit Beginn 2018 mehr als verdoppelt. Danach ging es aber bis Jahresende deutlich auf 132,80 Euro nach unten.

Dann ging es zunächst wieder kräftig bis auf rund 170 Euro nach oben, bevor der Absturz kam bis auf 86 Euro im Tief. Fast 10,4 Milliarden Euro Börsenwert gingen flöten. Vorstandschef Markus Braun, mit 7 Prozent größter Aktionär des Unternehmens und lange Zeit größter Profiteur des Kursaufschwungs der vergangenen Jahre, musste den Wert seines Aktienpakets plötzlich dahinschmelzen sehen. Mittlerweile ist Wirecard mit einem Marktwert von rund 14,4 Milliarden Euro auch wieder hinter die Deutsche Bank zurückgefallen./men/zb/stk