RIAD (awp international) - Die Drohnenangriffe auf die grösste Ölraffinerie in Saudi-Arabien haben die Ölproduktion in dem Königreich dramatisch einbrechen lassen und verschärfen die Spannungen am Golf. Die Produktionsmenge sei infolge der "terroristischen Attacken" um 5,7 Millionen Barrel auf etwa die Hälfte des üblichen Volumens pro Tag eingebrochen, berichtete die staatliche saudische Nachrichtenagentur SPA in der Nacht zum Sonntag. Obwohl sich die Huthi-Rebellen im benachbarten Jemen zu den Angriffen bekannten, machten die USA den Iran dafür verantwortlich. Teheran bestritt jegliche Beteiligung. Der Komplex wird zu den weltweit wichtigsten Ölanlagen gezählt.

Nach offiziellen Angaben erschütterten am frühen Samstagmorgen gegen 3.31 Uhr und 3.42 Uhr (Ortszeit) mehrere Explosionen Anlagen des staatlichen Ölkonzerns Saudi Aramco in Churais und Abkaik. Auf Videos in sozialen Netzwerken sind grosse Feuer über den Komplexen zu sehen, die den Nachthimmel erleuchten. Satellitenbilder von NASA und ESA zeigten im Laufe des Samstags mehrere riesige schwarze Rauchfahnen, die sich bis zu 150 Kilometer weit über Saudi-Arabien erstreckten.

Die Brände seien unter Kontrolle, teilte Saudi-Arabiens Energieminister Prinz Abdulasis bin Salman bin Abdulasis kurz darauf mit. Durch die Angriffe sei die Produktion in Abkaik und Churais aber zeitweise ausgesetzt. Auch die Produktion von Flüssiggas sei betroffen. Der Produktionsausfall könne aber durch Lagerbestände ausgeglichen werden.

Experten sehen in der Drohnenattacke einen Angriff auf das Zentrum der saudischen Ölindustrie. "Selbst wenn die Feuer schnell gelöscht sind und der Schaden in Abkaik nur gering ist, sind die Tore der Hölle ein bisschen weiter geöffnet", schrieb der US-amerikanische Analyst Robert McNally auf Twitter, der früher Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats war. Die in Washington ansässige Energieberatungsfirma "Rapidan Energy" bezeichnete die Raffinerie in Abkaik als die wichtigste Öleinrichtung der Welt.

Nach Angaben von Saudi Aramco ist der Komplex die grösste Raffinerie des Landes und die grösste Rohölstabilisierungsanlage der Welt. Abkaik spiele eine entscheidende Rolle in der täglichen Produktion des Unternehmens. Von hier werde verarbeitetes Öl weiter an die Ost- und Westküste des Landes sowie nach Bahrain geleitet.

Die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris sieht nach den Drohnenangriffen zunächst keine Versorgungsprobleme. Vorerst seien die Märkte gut mit reichlich kommerziellen Beständen versorgt, teilte die IEA mit. "Wir stehen in Kontakt mit den saudischen Behörden sowie mit den wichtigsten Produzenten- und Verbrauchernationen." Man verfolge die Situation in Saudi-Arabien aufmerksam, hiess es weiter.

Im Falle von Engpässen seien die USA zur Freigabe von Ölreserven bereit, teilte eine Sprecherin des US-Energieministeriums am Sonntag mit. Die strategischen Ölreserven der USA umfassen nach Ministeriumsangaben 630 Millionen Barrel. Saudi-Arabien produzierte nach Angaben der OPEC im vergangenen Monat rund 9,8 Millionen Barrel Öl pro Tag.

Zu dem Angriff bekannten sich die Huthi-Rebellen im benachbarten Jemen. Ein Militärsprecher der Huthis bezeichnete den Angriff mit zehn Drohnen am Samstag als "legitime Antwort" auf die anhaltende Militärkampagne Saudi-Arabiens im Jemen. "Wir versprechen dem saudischen Regime, dass unsere nächste Operation grösser und schmerzhafter sein wird", sagte Militärsprecher Jahia Saria. Es handele sich um den bislang grössten Einsatz in Saudi-Arabien.

Das arabische Königreich führt im Jemen eine von den USA unterstützte Militärkoalition an, die gegen die Huthis kämpft. Diese werden wiederum vom Iran unterstützt und halten grosse Teile des Nordjemens inklusive der Hauptstadt Sanaa unter Kontrolle.

US-Aussenminister Mike Pompeo machte jedoch den Iran direkt für den Angriff verantwortlich. "Inmitten der Rufe nach Deeskalation hat der Iran jetzt einen beispiellosen Angriff auf die Welt-Energieversorgung verübt. Es gibt keinen Beweis, dass die Angriffe vom Jemen kamen", schrieb Pompeo auf Twitter.

Pompeo forderte alle Nationen auf, die iranischen Angriffe "öffentlich und eindeutig" zu verurteilen. Die USA würden sicherstellen, dass der Iran für seine Aggression zur Rechenschaft gezogen werde. Das Weisse Haus teilte mit, US-Präsident Donald Trump habe dem saudischen Kronprinzen Mohammad Bin Salman am Telefon "seine Unterstützung für Saudi-Arabiens Selbstverteidigung" angeboten.

Der Iran wies die Vorwürfe vehement zurück. Pompeos Unterstellungen seien absurd, unerklärlich und daher auch halt- und wirkungslos, sagte Aussenamtssprecher Abbas Mussawi am Sonntag in Teheran. Was im Jemen passiere, sei der Widerstand der Jemeniten gegen die Kriegsverbrechen der von den Saudis angeführten Militärkoalition, sagte der Sprecher nach Angaben der Nachrichtenagentur Isna. "Weil die US-Politik des maximalen Drucks auf den Iran gescheitert ist, sind die Amerikaner nun auf die der maximalen Lügen umgestiegen."

Eine Sprecherin der EU-Aussenbeauftragten Federica Mogherini nannte den Angriff eine "reale Bedrohung der regionalen Sicherheit". Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin betonte, ein Angriff auf die "zivile und kritische Infrastruktur Saudi-Arabiens" sei "durch nichts zu rechtfertigen" und verschärfe die Spannungen in der Region noch. Der UN-Sondergesandte für den Jemen, Martin Griffiths, warnte vor einer Eskalation auf der arabischen Halbinsel. Solche Zwischenfälle würden den von den Vereinten Nationen geleiteten politischen Prozess im Jemen gefährden. Die UN bezeichnen den Krieg im Jemen als die derzeit grösste humanitäre Katastrophe der Welt.

Der Kreml sprach von einem "alarmierenden Ereignis". So etwas trage nicht zur Stabilisierung des Energiemarktes bei, sagte Sprecher Dmitri Peskow der Zeitung "Wedomosti". Der prominente russische Aussenpolitiker Konstantin Kossatschow warnte davor, den Iran dafür verantwortlich zu machen. "Es gibt keinen Grund, Teheran in diesem Fall zu beschuldigen", schrieb er auf Facebook . Für Washington sei der Iran für alles Schlechte im Nahen Osten verantwortlich.

In den vergangenen Monaten hatten die Huthis mehrfach erklärt, mit Drohnen zentrale Einrichtungen in Saudi-Arabien angegriffen zu haben. Bereits im Mai wurden zwei Pumpstationen einer zentralen Ölpipeline attackiert, im Juni ein internationaler Flughafen im Südwesten Saudi-Arabiens. Internationale Experten beobachten seit längerem eine Ausweitung von Drohnenangriffen durch die Huthis. Erst im Juli präsentierten die Huthis selbst neue Drohnentypen, die nach Ansicht von Experten eine Reichweite bis zu 1000 Kilometern haben könnten./cy/DP/men