Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat seine Geldpolitik nach der Verabschiedung eines umfangreichen Maßnahmepakets im Dezember zu Jahresbeginn wie erwartet unverändert gelassen. Das Gremium räumte zwar Risiken für den kurzfristigen Ausblick ein, sah aber die im Dezember veröffentlichten Wachstumsprognosen noch nicht völlig von den Ereignissen überholt. Das sind die wichtigsten sieben Erkenntnisse aus geldpolitischen Erklärungen und Pressekonferenz von EZB-Präsidentin Christine Lagarde.

1. Wachstumsaussichten

Nach Aussage von EZB-Präsidentin Christine Lagarde sind sie trotz Lockdowns nicht viel schlechter als in den im Dezember veröffentlichten Projektionen unterstellt, allerdings gibt es kurzfristig Risiken. Das war ein Verweis darauf, dass die EZB für das erste Quartal ein Wirtschaftswachstum von 0,6 Prozent erwartet. Angesichts der gegen die Ausbreitung des Coronavirus ergriffenen Maßnahmen ist das schwer erreichbar. Längerfristig sind die Aussichten aber vielleicht sogar besser.

Christine Lagarde kam bei ihrer Aufzählung positiver und negativer Geschehnisse seit dem 10. Dezember sogar auf mehr Positives als Negatives. Positiv schlugen zu Buche der Beginn der Impfkampagne, das Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU (die EZB hatte laut Lagarde einen Rückfall zu WTO-Standards eingeplant), weitere Fortschritte bei der Verabschiedung des Finanzplans "Next Generation EU", der anhaltende Erholungskurs des verarbeitenden Gewerbes und die demokratische Mehrheit im US-Senat.

2. Unveränderte Geldpolitik

Sowohl die Leitzinsen als auch die Wertpapierkaufprogramme APP und PEPP sowie die sie betreffende Forward Guidance blieben konstant. Der Hauptfinanzierungssatz beträgt 0,00 Prozent, der Spitzenrefinanzierungssatz 0,25 Prozent und der Bankeinlagensatz minus 0,50 Prozent. Das PEPP läuft bis Ende März 2022 mit einem Volumen von 1.850 Milliarden Euro, dass APP mit monatlich 20 Milliarden Euro, und zwar so lange wie nötig und bis kurz vor der ersten Zinsanhebung. Die wird aber noch lange nicht kommen, denn laut EZB werden die Zinsen so lange auf dem aktuellen oder einem noch niedrigeren Niveau bleiben, bis das Inflationsziel von knapp 2 Prozent erreicht werden kann.

3. PEPP

Die Aussagen der EZB zum Pandemiekaufprogramm PEPP sind allerdings nicht ganz eindeutig. Im EZB-Statement heißt es einerseits, dass die EZB bis März 2022 (Lagarde: bis mindestens März) im Markt aktiv sein werde. Andererseits steht dort auch, dass das Volumen von 1.850 Milliarden Euro nicht ausgeschöpft werden müsse, wenn sich günstige Finanzierungsbedingungen mit weniger Lockerung erreichen ließen.

4. Finanzierungsbedingungen

Das wohl am meisten benutzte Wort des Nachmittags, laut Lagarde die neue "Nadel im Kompass der EZB". Aber was ist das und wie misst man das? Laut Lagarde beruht die Einschätzung günstiger Finanzierungsbedingungen auf keinem einzelnen Indikator, sondern einem "ganzheitlicher Ansatz" mit verschiedenen Indikatoren. Dazu zählten die Kreditvergabe, die Kreditkonditionen sowie die Renditen von Unternehmensanleihen und von Staatsanleiherenditen. Die gegenwärtigen Kreditzinsen von 1,25 bis 1,50 Prozent für Unternehmen und Privatpersonen seien wirklich günstig, sagte sie. Mit diesen Aussagen versuchte die EZB-Präsidentin dem Eindruck entgegenzutreten, die Zentralbank betreibe unerklärtermaßen so etwas wie Zinskurvenkontrolle.

5. Zinskurvenkontrolle?

Zentralbanken kontrollieren die Zinskurve, indem sie wie zum Beispiel die Bank of Japan das Ziel ausgeben, dass die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen bei null liegen soll. Der EZB steht keine einheitliche europäische Staatsanleihe zur Verfügung, dafür viele verschiedene Staatsanleihen mit ganz unterschiedlichen Renditen. Bloomberg hatte im Vorfeld der EZB-Ratssitzung unter Berufung auf informierte Personen berichtet, die EZB wolle die Renditedifferenzen (Spreads) zwischen den Staatsanleihen der finanziell stärksten und schwächsten Länder begrenzen und habe sogar Zielgrößen dafür.

6. Euro-Kurs

Die verbale Intervention der EZB gegen den starken Euro fiel nach Einschätzung von Analysten etwas schwächer als im Dezember - passend zum leicht gesunkenen Wechselkurs. Damals hatte die EZB - ein Novum - vor den schädlichen Auswirkungen des Wechselkurses für die Inflationsaussichten bereits im geldpolitischen Beschluss gewarnt und der Warnung damit ein höheres Gewicht zu geben versucht. Im Januar ging es für den Euro wieder "eins runter mit Mappe", nämlich in die Einleitenden Bemerkungen der EZB-Präsidentin.

7. Ausblick

Das nächste Mal entscheidet der EZB-Rat am 11. März über seine Geldpolitik. Dann werden neue Wachstums- und Inflationsprognosen vorliegen, und es wird klar sein, welche Erfolge die gerade verschärften und verlängerten Lockdowns bei der Bremsung des Coronavirus gebracht haben.

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January 21, 2021 12:40 ET (17:40 GMT)