Von Stephen Wilmot

NEW YORK (Dow Jones)--Wenn man an Elektrofahrzeuge denkt, fällt vielen vielleicht zuerst Tesla ein. Doch eine finanziell lohnendere Nutzung der Technologie, die die Automobilbranche revolutioniert, könnten elektrisch angetriebene Lieferwagen sein, die Online-Einkäufe ausliefern.

Bis vor kurzem besetzten solche unscheinbaren Fahrzeuge eine leicht übersehbare Nische innerhalb der Multibillionen-Dollar-Automobilindustrie. Doch das ändert sich zurzeit schnell: In dieser Woche sammelte das Privatunternehmen Rivian Automotive 2,65 Milliarden US-Dollar bei einer Bewertung von 27,6 Milliarden Dollar ein, um die Einführung von Elektrofahrzeugen zu finanzieren. Darunter ist ein Lieferfahrzeug für den E-Commerce-Riesen Amazon, der an dem Startup beteiligt ist.

Vergangene Woche gab General Motors die Gründung von Brightdrop bekannt, ein neues Unternehmen, das sich auf den Verkauf von Elektroautos an den Liefermarkt konzentriert. Erster Kunde ist der Paketdienst Fedex, der 500 Elektro-Lieferwagen bestellt hat.

Startups drängen in den Markt, in einigen Fällen ausgerüstet mit billigem Kapital von einem enthusiastischen Aktienmarkt. Das kalifornische Startup Canoo ging im Dezember mit dem Plan an die Börse, sich ganz auf die sogenannte letzte Meile zu konzentrieren - die Lieferung von Waren an die Haustür. Arrival, ein britisches Startup, das eine Finanzierung und einen Großauftrag von United Parcel Service erhalten hat, will noch in diesem Quartal nach ziehen.

Elektrische Lieferwagen stehen am Schnittpunkt zweier großer Trends. Der eine ist die Zunahme des Onlinehandels auf Kosten des stationären Einzelhandels, dem die Covid-19-Pandemie einen Schub gegeben hat. Laut dem Beratungsunternehmen Digital Commerce 360 machte der E-Commerce im vergangenen Jahr 21 Prozent des US-Einzelhandelsumsatzes aus, ein großer Sprung von 15,8 Prozent im Jahr 2019. Und die Vans sind quasi die Schaufeln in diesem Goldrausch.


   Ein doppelt starker "Business Case" 

Laut dem Marktforschungsunternehmen J.D. Power stieg der Absatz von Transportern in den USA 2019 um 19 Prozent, das was das beste Ergebnis seit Jahren. Im vergangenen Jahr waren sie um 21 Prozent gesunken, da Floristen, Tierpfleger und andere Unternehmen ihre Käufe während der Pandemie zurückstellten. Die Transporter-Verkäufe hielten sich jedoch dank des Wachstums des Liefergeschäfts viel besser als der breitere Flottenmarkt.

Der andere Trend ist die Elektrifizierung von Fahrzeugen. Unternehmen wie UPS, DHL und Fedex haben sich verpflichtet, ihre Kohlendioxid-Emissionen zu reduzieren und benötigen dazu elektrische Lieferwagen. So auch Amazon, das 100.000 elektrische Lieferwagen bei Rivian bestellt hat, von denen die ersten noch in diesem Jahr geliefert werden sollen.

Neben der Umweltfreundlichkeit gibt es hier auch eine finanzielle Logik. Lieferfahrzeuge eignen sich in einer Weise für die Elektroauto-Technologie, wie es bei Pkw nicht der Fall ist.

Logistikfirmen und Kleinunternehmer sind auf eine sorgfältige Kostenkalkulation bedacht, auch im Hinblick auf die Lebensdauer ihrer Fahrzeuge. Das erhöht die Attraktivität von Elektrofahrzeugen, die tendenziell niedrige Betriebs- und Wartungskosten haben. Sowohl Arrival als auch Canoo behaupten, dass ihre Fahrzeuge, wenn die Serienversionen 2022 bzw. 2023 auf den Markt kommen, Kosteneinsparungen im Vergleich zu ihren Pendants mit Verbrennungsmotor bieten werden.

Ein Grund dafür, dass solche Berechnungen möglich sind, ist, dass Transporter in der Regel nicht die langen Reichweiten benötigen, die für Pkw erforderlich sind. Das Rennen um erschwingliche Elektroautos wird durch die Kosten für Batterien gebremst, die groß genug sind, um den berechtigten Wunsch der Verbraucher zu bedienen, ins Wochenende zu fahren, ohne sich Sorgen zu machen, dass der Sprit ausgeht. Im Gegensatz dazu werden Kleintransporter oft für überschaubare Strecken durch die Städte gefahren und können über Nacht in Depots aufgeladen werden. Flottenbesitzer sind viel weniger geneigt als Verbraucher, Fahrzeuge mit größeren Batterien als nötig zu kaufen.


   Logistik ist ein Datengeschäft 

Ein weiterer Vorteil von Elektroautos ist, wie Tesla gezeigt hat, die Möglichkeit, Software in die überwiegend elektronischen Systeme zu integrieren. Im Gegensatz zu Tesla-Fans können Transporter-Besitzer von diesem Vorteil auch finanziell profitieren. Logistik ist ein Datengeschäft.

Je mehr Tools für kosteneffizientes Routing, Fahren, Laden und dergleichen die Hersteller den Flottenbesitzern anbieten können, desto mehr Geschäft werden sie anziehen. Startups behaupten, dass sie einen Vorteil haben, wenn es darum geht, Softwareentwickler anzuziehen, aber Skalierung und sicherheitsbewusste Integration mit Hardware - Fähigkeiten, die Detroit vielleicht besser beherrscht - werden ebenfalls entscheidend sein.

Ford hat in diesem Markt bei weitem am meisten zu verlieren. Das Unternehmen verkauft fast die Hälfte aller Transporter in den USA und ist auch der größte Anbieter in Europa. Ford hofft, Ende dieses Jahres eine vollelektrische Version des Transit in den Verkaufsräumen zu haben.

Die relative Schwäche von GM bedeutet, dass das Unternehmen mit Brightdrop den Störenfried spielen kann. Brightdrop wird als eigenständiges Unternehmen von einem extern angeheuerten Manager aus der Risikokapitalbranche geführt. Das Arrangement deutet darauf hin, dass Brightdrop teilweise aus GM ausgegliedert werden könnte, um von dem unstillbaren Appetit der Investoren auf neue Automobiltechnologie zu profitieren.

Diese Strategie hat mit GMs fahrerlosem Autounternehmen Cruise gut funktioniert. Die Einheit sammelte diese Woche weitere 2 Milliarden Dollar ein und kommt nun auf eine Bewertung von 30 Milliarden Dollar. Geld kam unter anderem von Microsoft, was die GM-Aktie auf ein Rekordhoch seit dem Konkurs brachte.

Lithium-Ionen-Batterien sind noch nicht leistungsfähig genug, um schwere Lkw zu betreiben, und auch noch nicht billig genug, um Langstrecken-Elektro-Pkw wettbewerbsfähig zu machen. Aber Transporter könnten in den kommenden Jahren der ideale Ort für eine finanziell vernünftige Einführung der neuen Technologie sein. In einem Sektor, in dem die Bewertungen oft schwer zu rechtfertigen sind, könnten Unternehmen, die sich auf die lokale Logistik konzentrieren, am besten positioniert sein, um zu liefern.

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January 22, 2021 08:56 ET (13:56 GMT)