Von Stephen Wilmot

NEW YORK (Dow Jones)--Fahrerlose Autos rücken immer näher an die Realität heran. Vor allem für Tesla-Anleger ist es wichtig zu wissen, dass es sich hierbei nicht um ein Rennen handelt, das eine bestimmte Fahrzeugmarke gewinnen kann. Elektrofahrzeuge standen diese Woche auf der halb virtuellen Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas im Mittelpunkt, aber autonom gelenkte Fahrzeuge spielten eine auffällige Nebenrolle. In ihrer Grundsatzrede sagte GM-Chefin Mary Barra immerhin, dass ihre Teams darauf abzielen, ein verbraucherorientiertes fahrerloses Auto "schon in der Mitte dieses Jahrzehnts" zu liefern.


   Technik-Konkurrenz aus China und Israel 

Der chinesische Autohersteller Geely hofft, schon früher ein solches Auto anbieten zu können. Im Vorfeld eines geplanten Minderheitsbörsengangs in diesem Jahr erklärte die Intel-Tochter Mobileye in dieser Woche, dass sie mit Geelys neuer E-Auto-Marke Zeekr zusammenarbeite. Das Ziel: 2024 will man ein Auto mit autonomen Fähigkeiten der Stufe vier auf den Markt bringen. Demnach werden bestimmte Parameter gesetzt, zum Beispiel nur bei gutem Wetter oder bestimmten geografischen Grenzen ohne Eingriffe eines Menschen zu fahren.

Die Unternehmen gehen davon aus, dass es sich hierbei um eine Weltpremiere für Verbraucherfahrzeuge handeln wird. Fahrzeuge der Stufe 4, die für Taxiflotten gebaut werden - so genannte Robotaxis - sind in den USA und China bereits auf den Straßen unterwegs, wenn auch in sehr geringer Zahl.


   Daimler und Honda bei Autobahnstaus als Vorreiter 

Die meisten der heutigen fortschrittlichen Fahrerassistenzpakete entsprechen der Autonomiestufe zwei nach den Definitionen der SAE International, einer Organisation zur Festlegung von Standards. Der Fahrer muss dabei die ganze Zeit über die Straße im Auge behalten. Das gilt für Mobileye-basierte Systeme, Teslas aggressiv angepriesene "Full Self Driving"-Software in ihrer derzeitigen Form und die nächste Generation der "Ohne Hände"-Technologie Ultra Cruise von GM, die nächstes Jahr auf den Markt kommen soll.

Daimler und Honda überschreiten die Grenzen bereits, indem sie den Fahrern ihrer fortschrittlichsten Produkte erlauben, sich auf Autobahnen bei niedrigen Geschwindigkeiten in ihren jeweiligen Heimatländern, Deutschland und Japan, auszuklinken. Technisch gesehen handelt es sich dabei um eine Automatisierung der Stufe drei, da der Fahrer nicht mehr immer die Kontrolle hat. Der Anwendungsfall ist nicht sehr weitreichend - er deckt im Wesentlichen Autobahnstaus ab -, aber er ist eine Demonstration sowohl der technologischen als auch der regulatorischen Vorreiterrolle, die entscheidend ist.

Das autonome Fahren der Stufe vier in Privatfahrzeugen wird einen weiteren Sprung erfordern. Der Unterschied zwischen dem Einsatz der Technologie in Taxis und in Verkaufsräumen besteht darin, dass Verbraucher weniger geografische Einschränkungen zu geringeren Kosten benötigen. Die selbstfahrenden Systeme, die auf lasergestützten Dachradaren oder Lidars basieren und die heutigen Robotaxis steuern, kosten Zehntausende von US-Dollar.


   Technik muss unter 5.000 Dollar kosten 

Der CEO von Mobileye, Amnon Shashua, argumentierte in einer Rede auf der CES, dass das Paket aus Sensoren und Rechenleistung, das für das automatisierte Fahren erforderlich ist, den Hersteller "weit unter" 5.000 Dollar kosten muss, um auf dem Verbrauchermarkt zu funktionieren.

Das in Israel ansässige Unternehmen Mobileye beherrscht die Computer-Vision-Technologie, die den heutigen Fahrerassistenzsystemen zugrunde liegt. Dabei kommt das Unternehmen auf einen Marktanteil von 60 bis 70 Prozent, je nachdem, wen man fragt, und es verfügt über technikbegeisterte Kunden wie BMW und Audi. Mobileye ist der direkteste Konkurrent von Tesla, was die Ambitionen im Bereich der fahrerlosen Autos angeht. In seiner CES-Rede benutzte Shashua sogar den von Elon Musk geprägten Begriff des "vollständigen autonomen Fahrens", um die von ihm angestrebte Stufe vier zu beschreiben.


   Musk setzt alles auf Kameras als Sensoren 

Wie Tesla sammelt auch Mobileye Unmengen von Daten über die Hardware, die es bereits auf den Straßen hat, und nutzt Vereinbarungen zur gemeinsamen Nutzung von Daten mit Kunden wie BMW, VW und Nissan. Dadurch gelang es Mobileye hochauflösende Karten zu erstellen, wie es kein einzelnes Unternehmen könnte. Der Unterschied zwischen Tesla und Mobileye bestand schon immer darin, dass letztere auf Sicherheitssysteme setzt. Während Musk Lidar ablehnt und sich vom Radar abwendet, um nur Kameras als Sensoren zu verwenden, will Shashua Autos mit allen drei Bildgebungstechnologien anbieten.

Wie auch immer dieser Kampf ausgeht, eines scheint ziemlich klar zu sein. Wenn sie endlich kommen, werden fahrerlose Autos nicht die Domäne einer einzigen Marke sein - zumindest nicht für lange Zeit. Selbst wenn es Tesla gelingen sollte, die Aufsichtsbehörden von seinem aggressiveren Ansatz zu überzeugen, was nicht sehr wahrscheinlich ist, wird die Technologie von Mobileye bald auch bei anderen Marken Einzug halten. Und dann sind da noch GM sowie Daimler, die mit den Intel-Konkurrenten Qualcomm beziehungsweise Nvidia an eigenen Systemen arbeiten.


   Mobileye ist und bleibt wohl Marktführer zum Ärger von Tesla 

Tesla-Optimisten verweisen oft auf das Voll-Selbstfahr-Paket des Unternehmens, für das 10.000 Dollar verlangt werden, um die Unternehmensbewertung an der Börse von 1,15 Billionen Dollar zu rechtfertigen. Dies passt jedoch nicht zur Realität der Technologie für automatisiertes Fahren, bei der der Marktführer nach allen herkömmlichen Maßstäben ein Zulieferer der Branche ist, nämlich Mobileye.

Die Anleger müssen anderswo nach stichhaltigen Gründen suchen, warum Tesla ein Vielfaches seiner Konkurrenten wert sein kann.

Kontakt zum Autor: unternehmen.de@dowjones.com

DJG/DJN/axw/smh

(END) Dow Jones Newswires

January 07, 2022 05:34 ET (10:34 GMT)