Von Carol Ryan

LONDON (Dow Jones)--Erst beim Erdgas, und als nächstes beim Öl? Wenn die Preisobergrenze im Rahmen der geplanten Sanktionen von russischen Öl-Exporten zu niedrig ausfällt, könnte sich Moskau ermutigt sehen, weitere Unruhe auf den Energiemärkten zu stiften. Aktuell, so das Wall Street Journal, zielt die EU-Kommission auf einen Preisdeckel in Höhe von 60 US-Dollar pro Barrel. Angesichts der zuletzt diskutierten 65 bis 70 Dollar ein unerwartet geringer Preis.

Würde der Deckel kommen, so käme russisches Öl, das über diesem Preis verkauft würde, für Dienstleistungen von Unternehmen in der EU und in Großbritannien nicht in Frage. Das könnte weit reichende Folgen haben: In der Region werden rund 90 Prozent aller Tanker weltweit finanziert und versichert.

Die Obergrenze kann sich noch ändern, und alle 27 Mitgliedstaaten müssten ihr zustimmen. Polen drängt auf einen noch niedrigeren Deckel, um Russland einen noch größeren Teil seiner Öleinnahmen zu entziehen, mit denen der Kreml seinen Krieg in der Ukraine finanziert. Griechenland und Malta sind eher auf Seiten der USA und würden den Preis lieber bei 70 Dollar deckeln, um ihre große Schifffahrtsbranche zu schützen.

Die USA wiederum wollen den Fluss des russischen Öls nicht stoppen, um ein erneutes Ansteigen der Energiepreise zu verhindern, die die eigene Inflation angeheizt haben. Zwar hat der russische Präsident Wladimir Putin erklärt, er werde keinem Land Öl verkaufen, das die Preisobergrenze anwendet, doch in den USA herrscht die Ansicht vor, dass Russland Anreize habe, sein Öl auch zu den Bedingungen der G-7-Länder zu verkaufen - zumindest, wenn der Preisdeckel die richtige Höhe habe.


 Kreml müsste einen Preisabschlag akzeptieren 

Den richtigen Preis zu finden, ist heikel, zumal nicht ganz klar ist, wie viel Russland derzeit für sein Öl bekommt. Nach Angaben von S&P Global Commodity Insights wird das russische Ural-Öl mit einem Abschlag von etwa 30 Prozent auf die globale Referenzsorte Brent gehandelt, da vor allem europäische Händler vorsichtig geworden sind. Ausgehend von der aktuellen Brent-Notierung würde russisches Öl demnach etwa 62 Dollar pro Barrel kosten.

Andere Beobachter glauben, der Abschlag sei geringer. Iranisches Öl wird im Zuge der wohl weltweit strengsten Sanktionsregelung mit etwa 25 Prozent Abschlag gehandelt. Deshalb schätzt Goldman Sachs, dass der Preis für russisches Öl 20 Prozent unter dem von vergleichbarem Rohöl liegen könnte. Sollte dies der Fall sein, müsste die Ölpreisobergrenze höher als 60 Dollar sein, um keine Störungen zu verursachen, wenn sie wie erwartet in der nächsten Woche in Kraft tritt.

Angesichts dieser Unklarheit lässt sich nur schwer abschätzen, ab welchem Punkt Russland zurückschlagen wird. Das dürfte der Grund dafür sein, dass Brüssel so lange braucht, um sich auf eine Zahl zu einigen. Würde der Preisdeckel zu niedrig angesetzt, könnte Putin sein Öl mit unversicherten alten Tankern unter der Hand auf den Markt bringen. Diese Schiffe, die mit ausgeschalteten Schiffsdaten-Funksystem fahren, transportieren in der Regel Ölladungen von Ländern wie Venezuela, wo die USA ihre Sanktionen nun lockern.

Angesichts der konjunkturell sinkenden Energiepreise in jüngster Zeit gingen auch Russlands Energieeinnahmen zurück. Im Oktober beliefen sich die monatlichen Einnahmen des Landes mit Öl nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) auf 17,3 Milliarden Dollar, mehr als vor dem Krieg, aber weniger als im Juni mit damals 21,9 Milliarden Dollar.


 Russland ist stärker von Öl als von Gas abhängig 

Der Kreml rechnet für 2023 mit einem Haushaltsdefizit von 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung. Dabei wird unterstellt, dass sie ihr Öl im nächsten Jahr zu einem durchschnittlichen Preis von 75 Dollar pro Barrel verkaufen kann, so Bernstein.

In Europa hat Russland eine Energiekrise in Europa ausgelöst, indem es die Pipeline-Gaslieferungen unterbrochen hat. Die Ölmärkte funktionieren globaler, jeder Versuch von Moskau, einen solchen Schritt zu wiederholen, hätte zwar breitere, aber diffuser wirkende Folgen. Es würde Putin auch teurer zu stehen kommen, da er bei seinen Staatseinnahmen stärker auf den Verkauf von Öl als den von Gas angewiesen ist. Trotzdem gilt: Je mehr Russland durch eine Preisobergrenze geschädigt wird, desto größer ist das Risiko, dass Putin im Gegenzug die Ölmärkte unter Druck setzt.

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December 02, 2022 05:03 ET (10:03 GMT)