Von Chelsey Dulaney

LONDON (Dow Jones)--Der russische Rubel zeigt aktuell Anzeichen von Schwäche. Kurioserweise legte er bis vor Kurzem eine verwirrende Rally hin, die ihn zu einer der Währungen mit der besten Kursentwicklung im Jahr 2022 machte. Die weitere Entwicklung des Rubels wird ein Indikator dafür sein, wie die russische Wirtschaft mit den sich verschärfenden westlichen Sanktionen zurechtkommt.

Der Rubel ist seit Anfang Dezember um 12 Prozent gegenüber dem US-Dollar in die Knie gegangen und hat damit seine Gewinne des vergangenen Jahres ungefähr halbiert. Die Währung begann im vergangenen Monat zu fallen, nachdem ein Ölembargo der Europäischen Union in Kraft getreten war, das mit den Bemühungen der USA einherging, den Preis für russisches Rohöl auf 60 Dollar pro Barrel zu begrenzen.

Zwar erholte sich der Rubel in den ersten beiden Wochen des Jahres 2023 wieder etwas, doch gehen die meisten Wirtschaftsexperten davon aus, dass sich die Währung in diesem Jahr abschwächt. Der Kreml dürfte nämlich dem Druck der Sanktionen des Westens nicht gut standhalten. Ein starker Einbruch des Rubels könnte Russlands langjährige Inflationsprobleme wieder aufflammen lassen und die Bemühungen des Kremls erschweren, Ressourcen für den Krieg in der Ukraine bereitzustellen. Die russische Wirtschaft erwies sich 2022 als unerwartet widerstandsfähig, da sie weiterhin Öl und Gas zu hohen Preisen exportieren konnte. So ließ eine Flut von Petrodollar den Wert des Rubels in die Höhe schnellen und schürte die Kritik, dass die westlichen Sanktionen Moskau nicht dort treffen, wo es weh tut.


  Sanktionen des Westens könnten bald effektiver durchschlagen 

"Die russische Wirtschaft hat die Sanktionen bisher gut verkraftet, aber jetzt ändert sich das Bild", meint Senior-Ökonom Liam Peach von Capital Economics. Er geht davon aus, dass der Rubel bis zum nächsten Jahr auf etwa 75 pro Dollar nachgibt, während er zuletzt noch bei 69 lag. Peach schätzt, dass Russland im Jahr 2022 dank des Preisanstiegs und seiner Fähigkeit, Ölexporte in Länder wie Indien, China und die Türkei umzulenken, immer noch Einnahmen in Höhe von rund 80 Milliarden Dollar aus Öl- und Gasexporten erzielt. Dieser Betrag könnte in diesem Jahr um fast 40 Prozent sinken, da wichtige Erdgaspipelines nach Europa geschlossen bleiben und der Ölverkauf durch die Energiesanktionen behindert wird. Außerdem muss Russland seit Inkrafttreten der Ölpreisobergrenze von Anfang Dezember immer mehr Abschläge auf den für sein Öl gezahlten Preis hinnehmen. Russlands wichtigste Rohölsorte, Ural, wurde zuletzt zu einem Preis von 45 Dollar pro Fass verkauft, so die Preisberichterstattungsagentur Argus Media. Brent, die weltweite Öl-Benchmark, kostete etwa 84 Dollar den Barrel.

Analysten gehen davon aus, dass der russische Handelsbilanzüberschuss - die Differenz zwischen Exporten und Importen - in diesem Jahr schrumpft, nachdem er sich im Jahr 2022 auf einen Rekordwert von 227 Milliarden Dollar fast verdoppelt hat. Elina Ribakowa, stellvertretende Chefvolkswirtin des Institute of International Finance, geht davon aus, dass der Überschuss in diesem Jahr zwar schrumpfen, aber mit 70 bis 130 Milliarden Dollar weiterhin Pluszeichen aufweist. "Das Einzige, was für die russische Wirtschaft wirklich wichtig ist, ist die Entwicklung des Ölpreises", schätzt Ribakowa die Lage ein. "Bei einer Ölpreisobergrenze von 60 Dollar kommt es zu Einnahmeausfällen, die aber nicht dramatisch genug sind, um die russische Wirtschaft ins Trudeln zu bringen."


  Russland importiert wieder kräftig 

Auch die russischen Importe haben sich nach einem anfänglichen Einbruch nach der Invasion wieder erholt. Länder wie China, Hongkong und die Türkei haben ihre Exporte nach Russland ausgebaut, so Ribakowa. Dazu zählten auch Artikel, die für die Herstellung von Militärwaffen wichtig sind, wie zum Beispiel Halbleiter. Russland hat die Veröffentlichung detaillierter Handelsdaten eingestellt, was es für Analysten schwierig macht, diese zu verfolgen. Ein geringerer Handelsüberschuss wird den russischen Haushalt unter Druck setzen. Vorläufige Daten von vergangener Woche zeigen, dass sich das russische Haushaltsdefizit im Jahr 2022 auf etwa 48 Milliarden Dollar oder 2,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausweitet, da die Militärausgaben den Anstieg der Energieeinnahmen übertreffen.

Russland hat das Defizit durch die Aufnahme von Krediten auf den heimischen Anleihemärkten und durch die Inanspruchnahme seines Nationalen Vermögensfonds ausgeglichen. Das russische Finanzministerium begann am Freitag mit dem Verkauf chinesischer Yuan aus dem Staatsfonds, um die Haushaltslücke zu schließen. Es geht davon aus, dass es bis Anfang Februar Yuan im Wert von etwa 800 Millionen Dollar verkauft, wie die staatliche russische Nachrichtenagentur TASS berichtet. "Wir müssen uns diesen Abschlag ansehen, damit er keine Probleme für den Haushalt verursacht", räumte der russische Präsident Wladimir Putin in der Vorwoche ein.


Westen dreht weiter an der Sanktionsschraube 

Analysten gehen davon aus, dass Russlands Einnahmen und der Rubel weiter unter Druck geraten, wenn Anfang Februar ein EU-Verbot für russische Raffinerieprodukte in Kraft tritt. Der Westen bereitet ebenfalls Sanktionen vor, die am selben Tag in Kraft treten und den Preis für diese Produkte begrenzen sollen, berichtet das Wall Street Journal. Die meisten Wirtschaftswissenschaftler halten die Wahrscheinlichkeit einer größeren Finanzkrise für gering. Russland hat jahrelang versucht, seine Wirtschaft sanktionssicher zu machen, und die Staatsverschuldung liegt weiterhin unter 20 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Chefin der russischen Zentralbank, Elvira Nabiullina, hat sich im Umgang mit Krisen als geschickt erwiesen, sowohl während des freien Falls der Märkte im vergangenen Jahr als auch während der Rubelkrise im Jahr 2014.

Stattdessen rechnen Ökonomen mit einer langsamen Verschlechterung der Wachstumsaussichten Russlands in den kommenden Jahren. Das Land leidet unter einem Mangel von ausländischen Investitionen und einem eingeschränkten Zugang zu High-Tech-Produkten. "Das Wachstumspotenzial ist viel schlechter als vor dem Konflikt. Es ist sehr schwer vorstellbar, dass westliche Investoren in den nächsten zehn Jahren in Russland investieren", zeichnet Ökonomin Tatjana Orlova von Oxford Economics ein düsteres Bild. "Hinzu kommen die Sanktionen, die russische Unternehmen daran hindern, notwendige Technologien und Ausrüstungen zu importieren."

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January 19, 2023 09:57 ET (14:57 GMT)