Von Jon Sindreu

NEW YORK (Dow Jones)--Die Wirtschaftspolitik erlebt derzeit eine kleine Revolution. Viele einst heterodoxe Theorien über Wachstum, Inflation und Geldpolitik finden momentan wieder Anklang. Doch der Glaube der Türkei, dass sie die Inflation durch eine Senkung der Zinssätze zähmen kann, gehört wahrscheinlich nicht dazu.

Ende der Vorwoche entließ der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Gouverneur der Zentralbank des Landes, Naci Agbal, und ersetzte ihn durch Sahap Kavcioglu, einen politischen Verbündeten. Die türkische Lira brach zu Wochenbeginn um mehr als 8 Prozent gegenüber dem US-Dollar ein und könnte vor längeren Turbulenzen stehen. Die Türkei hat in weniger als zwei Jahren nicht weniger als drei Zentralbankchefs verschlissen. Kavcioglu scheint sich nunmehr eng an die Richtlinien der Regierung zu halten, im Gegensatz zu dem eher technokratischen Agbal, dessen Amtszeit heißes Geld zurück in die Lira lockte.


Koordination zwischen Geld- und Fiskalpolitik mit Vorteilen 

Die Bedeutung der geldpolitischen Unabhängigkeit, die sich bei der Bekämpfung von schleppendem Wachstum und Inflation als unwirksam erwiesen hat, wird oft überbewertet. Die Investoren entdecken wieder die Vorteile einer Koordination zwischen Regierungen und Zentralbanken, selbst in Entwicklungsländern. Das Problem für die Türkei ist weniger, dass die Zentralbank unter der Kontrolle von Erdogan steht, als vielmehr, dass er diese Macht wahrscheinlich missbraucht.

Entgegen der allgemeinen Meinung, dass höhere Zinssätze die Inflation zähmen, glaubt der türkische Präsident, dass sie diese in die Höhe treiben, indem sie die Kreditkosten der Unternehmen erhöhen. Dies ist wahrscheinlich der Grund, warum er Agbal entlassen hat, der die Geldpolitik vergangene Woche erneut verschärft hat. Die Artikel von Kavcioglu in der lokalen Presse deuten darauf hin, dass er mit Erdogan übereinstimmt und die Zinssätze erneut senken könnte. Er hat auch geschrieben, dass die Lira im Wechselkurs auf zu hohem Niveau gehalten worden sei, was die Wettbewerbsfähigkeit der Türkei untergraben habe.


Türkei leidet unter importierter Inflation 

Doch dies ist Wunschdenken. Die lehrbuchmäßige Verbindung zwischen Zinssätzen und Inflation mag in westlichen Ländern nicht stark sein, aber sie leiden nicht unter regelmäßigen Währungskrisen. In Schwellenländern kommt die meiste Inflation von einem rapiden Verfall des Wechselkurses, der die Importkosten erhöht, und so muss das Hauptaugenmerk der Zentralbank auf der Währung liegen.

Um sie zu stärken, ist die Anhebung der Zinssätze ein wichtiges Instrument. Weniger orthodoxe Maßnahmen wie Währungs-Pegs und Kapitalkontrollen, die auch von Ökonomen neu bewertet werden, können helfen, aber nur, wenn sie kohärent umgesetzt werden. Die Türkei hat sie eher chaotisch eingesetzt, um Paniken einzudämmen, als dass sie Teil einer glaubwürdigen langfristigen Währungsstrategie waren.


 Kein trockenes Pulver für Interventionen auf Devisenmarkt 

Jede Unterstützung durch Dollarreserven wird nicht lange anhalten: Bevor die türkische Zentralbank im vergangenen Jahr die Zinsen anhob, wurden sie um durchschnittlich 4 Milliarden US-Dollar pro Monat angezapft. Die Devisenreserven der Türkei liegen derzeit bei 18 Milliarden Dollar, die allerdings alle geliehen sind: Ohne die Swaps mit Banken und anderen Regierungen liegen sie bei minus 20 Milliarden Dollar.

Inflationsbereinigt ist die Lira seit einem Jahrzehnt rückläufig und bewegt sich nun auf dem niedrigsten Stand aller Zeiten. Dies macht es schwer zu glauben, dass die Währung überbewertet ist, was darauf hindeutet, dass die anhaltenden Handelsdefizite eher mit einer strukturellen Abhängigkeit von ausländischen Rohstoffen zu tun haben. Weltweit sind die Zentralbanker sich zunehmend bewusst, wie wichtig es ist, den Anlegern kohärente "Forward Guidance" zu geben. Erdogans jüngster Schritt gibt wenig Hoffnung, dass seine Art der monetären Heterodoxie erfolgreich sein kann.

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March 22, 2021 12:22 ET (16:22 GMT)