Von Herbert Rude

FRANKFURT (Dow Jones)--Über weite Strecken des vergangenen Halbjahres war der DAX zwischen 14.800 und knapp 16.300 Punkten eingezwängt. Diese Handelsspanne ist erst einmal die abgesteckte Bandbreite auch für die kommenden Wochen. Aus ihr befreien würde sich der DAX bei einem nachhaltigen Ausbruch auf der Oberseite, dann käme laut Marktanalysten auch die von einigen Banken für Ende des kommenden Jahres genannte Zielzone von 17.000 bis 18.000 Punkten auf die Agenda.

Sollte der DAX dagegen auf der Unterseite die Unterstützung bei 14.800 nachhaltig brechen, ist laut Marktanalysten Vorsicht angesagt. Dann könnte der DAX schnell auf das Ausbruchsniveau mit den alten Rekordständen zwischen 13.800 und 13.500 zurückfallen. Ob er dort wieder nach oben drehen könnte, bliebe dann abzuwarten.

Aus charttechnischer Sicht hat das positive Szenario immerhin eine höhere Wahrscheinlichkeit. Denn solange der DAX nicht unter 14.800 fällt, ist der im März 2020 geborene Aufwärtstrend aus steigenden Tiefs und steigenden Hochs intakt. "Im Zweifel mit dem Trend", mit diesem Motto fahren die Anleger erfahrungsgemäßer besser als mit dem Setzen auf Trendwenden, die eher selten eintreten.


  Inflation wird vom Belastungsfaktor zum Kurstreiber 

Auch aus fundamentaler Sicht hat der Aktienmarkt weiterhin gute Aussichten. Laut den Chefvolkswirten der großen Banken ist die Chance groß, dass die Inflationsraten zumindest vorübergehend wieder zurückgehen. Die Energiepreise dürften ihre Höchststände gesehen haben, und eine Entspannung bei den Lieferkettenproblemen könnte die angespannte Angebotslage bei vielen Gütern normalisieren.

Zugleich würde eine Entspannung bei den Lieferkettenproblemen die Weltwirtschaft stützen und die Unternehmensgewinne weiter nach oben treiben. Sollten sie um weitere 10 bis 15 Prozent zulegen, läge der akkumulierte Gewinn der DAX-Unternehmen laut Banken in Punkte umgerechnet bei etwa 1.150.


  DAX-40 und Tina sprechen gegen These vom teuren DAX 

Das Kurs-Gewinn-Verhältnis läge dann gemessen am derzeitigen Niveau von etwa 15.800 Punkten bei knapp 14. Skeptiker merken an, dass es damit bereits bei den aktuellen DAX-Ständen leicht über dem langfristigen Durchschnitt von knapp 13 liegt. Allerdings übersehen sie dabei, dass sich der Charakter des DAX mit der Aufnahme vergleichsweise teurer Wachstumsunternehmen bei der Aufstockung auf 40 Werte deutlich verändert hat und deshalb eine höhere Bewertung angemessen ist.

Ein Vergleich mit dem Kurs-Gewinn-Verhältnis am Anleihenmarkt erübrigt sich wegen der dort herrschenden Negativ-Zinsen. Einige Banken erwarten nun zwar einen Rendite-Anstieg bei den langen Bundesanleihen in den positiven Bereich. Aber selbst bei einem so kaum prognostizierten Anstieg auf 1 Prozent läge das Kurs-Gewinn-Verhältnis immer noch im dreistelligen Bereich. Schaut man auf die Realzinsen, wird klar, dass sogar der US-Anleihenmarkt trotz der dort schon deutlich höheren Nominalzinsen zu den Vermögensvernichtern zählt. Damit spricht auch das Motto "Tina - There is no alternative" - weiter für den Aktienmarkt.


  Nur bei angespannter Pandemie drückt die Fed-Wende die Kurse 

Dass die Europäische Zentralbank die Zügel locker lassen will, steht für die Chefvolkswirte der Banken nahezu außer Frage. Ganz anders ist allerdings die Erwartung an die US-Notenbank, die im kommenden Jahr nicht nur die Anleihekäufe zurückfahre (tapern), sondern auch den Leitzins drei Mal erhöhen könnte.

Zwar warnen einzelne Volkswirte auch vor einem Boom bei einem Pandemie-Ende. Der könnte den Arbeitsmarkt weiter anspannen und die Leitzinsen schneller und deutlicher steigen lassen als erwartet, auch in der Eurozone. Für die Aktienmärkte muss das aber nicht negativ sein. Denn zur Vorsicht mahnt erst die Erwartung einer konjunkturellen Abschwächung durch die Bremsmanöver der Notenbanken. Und die ist zumindest bei drei Zinserhöhungen noch nicht in Sicht. In der Vergangenheit hat der Markt drei Zinserhöhungen meistens gut weggesteckt.

Der Schlüssel für die weitere Entwicklung liegt aus einem anderen Grund weiter in der Entwicklung der Pandemie. Neue längere und überregionale Lockdowns würden die Lieferkettenprobleme verschärfen statt entspannen und die Inflation auf hohem Niveau zementieren. Die geldpolitische Wende in den USA würde dann vergleichsweise schnell Rezessionssorgen hervorrufen oder verstärken, möglicherweise begleitet von einer inversen Zinskurve. An den Aktienmärkten wäre dann eine Trendwende wahrscheinlich, gefolgt von einer Korrektur oder sogar von einer neuen Baisse-Welle.

Bisher hat der DAX zwar alle coronabedingten Einbrüche wettgemacht. In einer Phase geldpolitischer Straffung kann eine weitere Pandemiewelle aber auch einmal böse ausgehen, gerade weil sich viele Marktteilnehmer aufgrund ihrer Erfahrungen fälschlicherweise in Sicherheit wiegen dürften. Trotzdem bleibt der Blick zunächst einmal nach oben gerichtet.

DJG/hru/gos

(END) Dow Jones Newswires

December 08, 2021 05:07 ET (10:07 GMT)