Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Die am Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) gemessene Inflation in Deutschland dürfte im Juli auf den höchsten Stand seit fast 13 Jahren zugelegt haben. Die von Dow Jones Newswires befragten Volkswirte erwarten, dass der HVPI mit einer Jahresrate von 3,0 (Juni: 2,1) Prozent gestiegen ist - wie im Herbst 2008. Aber diese und andere Ähnlichkeiten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Lage und Ausblick heute anders sind als damals. Das Statistische Bundesamt (Destatis) veröffentlicht die Daten am Donnerstag um 14.00 Uhr.

Die HVPI-Inflation in Deutschland ist derzeit so hoch wie zuletzt kurz vor der Finanzkrise: Zuletzt hatte die Jahresteuerung im September 2008 bei 3,0 Prozent gelegen - zuvor in der Spitze im Juni und Juli sogar bei 3,4 Prozent. Im Juni hatte die Teuerung im Euroraum mit 4,0 Prozent ihr zyklisches Hoch erreicht, worauf die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Zinsen erhöhte. Grund: Die steigenden Ölpreise hatten die Inflationserwartungen mit sich gezogen. Kurze Zeit später brach die Finanzkrise aus, auf die die Große Rezession folgte.

13 Jahre später steigen die Energiepreise nun wieder überaus kräftig, wobei die Basis wegen des vorangegangenen coronabedingten Preisabsturzes weitaus niedriger als 2008 ist. Auch andere Preise von Rohstoffen und Vorleistungsgütern legen kräftig zu - aufgrund des gleichen Basiseffekts und wegen Angebotsproblemen, die mit der Corona-Krise zusammenhängen.

Die aktuelle Situation ähnelt der von 2008 auch insofern auf den ersten Blick, als die EZB heute wie damals prognostiziert, dass die Inflation wieder zurückgehen wird, wenn die Basiseffekte wegfallen. Der damalige EZB-Präsident Jean-Claude Trichet sprach unter Verweis auf die steigende Preiskurve davon, dass diese sich als "hump" (Buckel) erweisen werde. Als aber die Inflationserwartungen im Survey of Professional Forecasters für 2008 und 2009 auf 3,6 (zuvor: 3,0) und 2,6 (2,2) Prozent stiegen, überzeugte Trichet den Rat davon, die Zinsen zu erhöhen. Finanzkrise und Rezession sah damals niemand kommen.

Anders als damals hat der Euroraum heute allerdings kein stürmisches Wirtschaftswachstum hinter sich, sondern arbeitet sich langsam aus einer Rezession heraus. Und Angst vor einer Überhitzung hat im EZB-Rat nach Jahren zu niedriger Inflationsraten kaum noch jemand. Im Durchschnitt der Jahre seit 2008 lag die Inflation zwar unter, aber nicht besonders nahe 2 Prozent, wie es die alte EZB-Strategie forderte. Die neue Strategie sieht aus diesem Grund ein Ziel von glatt 2 Prozent mit der Möglichkeit vorübergehend höherer Raten vor.

Zurück zum Berichtsmonat Juli 2021: Die Inflationsentwicklung in Deutschland wird die Erwartungen für die am nächsten Tag anstehenden europäischen Daten noch beeinflussen. Volkswirte erwarten, dass die Inflationsrate auf 2,0 (1,9) Prozent gestiegen ist. Am Donnerstag kommen außerdem Preisdaten aus Spanien, am Freitag (8.45 Uhr) folgen noch die aus Frankreich.

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

DJG/hab/smh

(END) Dow Jones Newswires

July 28, 2021 10:22 ET (14:22 GMT)