Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) dürfte nach seinen Beratungen am 1./2. Februar beschließen, die Leitzinsen erneut um 50 Basispunkte auf 2,50 Prozent anzuheben. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte eine solchen Zinsschritt bereits im Dezember angekündigt, und kein Ratsmitglied hat ihr seither widersprochen. Weniger klar ist, welche Aussagen Rat und Lagarde zum weiteren Zinskurs machen werden und welche Details zum Abbau der Anleihebestände sie verraten werden. Die EZB veröffentlicht die geldpolitischen Entscheidungen am Donnerstag um 14.15 Uhr, die Pressekonferenz mit Lagarde beginnt gegen 14.30 Uhr.

Folgende Entscheidungen sind im Einzelnen zu erwarten:

1. Leitzinsen steigen um 50 Basispunkte

Die EZB hat sich offiziell vom Konzept der Forward Guidance verabschiedet. Aber als der an den Märkten eingepreiste Zinskurs nicht mehr den Vorstellungen der Zentralbank entsprach, machte sie doch Aussagen zu künftigen Zinserhöhungen - "deutlich und stetig" sollen sie sein. Auf diese Weise soll ein "ausreichend restriktives Zinsniveau" erreicht werden, das eine rechtzeitige Rückkehr der Inflation zum Zielwert von 2 Prozent gewährleistet. Lagarde zufolge bedeutete das: 50 Basispunkte im Februar und wohl auch noch mal im März.

2. Bestätigt die EZB ihre Zins-Guidance?

Analysten hadern mit der EZB, weil diese einerseits angeblich "von Meeting zu Meeting" entscheidet, andererseits aber zugleich eine Guidance für die nächsten Sitzungen gibt. Kritik daran übte zuletzt der als geldpolitische "Taube" bekannte EZB-Direktor Fabio Panetta. Nach seiner Einschätzung sind Aussagen über Zinsschritte im März jetzt noch nicht sinnvoll, die EZB solle vielmehr im März auf Basis der dann vorliegenden Stabsprojektionen entscheiden. Einige Analysten meinen, die EZB werde zwar weiterhin "deutliche und stetige" Zinserhöhungen in Aussicht stellen, aber zugleich die Datenabhängigkeit der Geldpolitik betonen und so eine "konditionierte Guidance" liefern.

Die von Dow Jones Newswires befragten Analysten rechnen damit, dass die EZB ihren Einlagensatz bis Ende des zweiten Quartals auf 3,25 Prozent anheben und zumindest bis Jahresende dort belassen wird. Für März rechnen 30 von 37 befragten Ökonomen mit einer Zinserhöhung um 50 Basispunkte. Zu den sieben Ökonomen, die mit einem kleinen Zinsschritt rechnen, gehört Sebastian Hartl von der Wiener Volksbank: "Da die Gesamtinflation bereits zurückgeht und Vorlaufindikatoren auf nachlassenden Preisdruck deuten, könnte ab März mit einer Reduktion auf zumindest zwei weitere 25-Basispunkt-Schritte gerechnet werden", schreibt er in seiner Prognose.

3. Details zum Abbau von APP-Anleihebeständen

Ab März werden die Tilgungsbeträge der im Rahmen des APP-Programms erworbenen Wertpapiere nicht mehr voll angelegt. Vielmehr sollen die Bestände bis Ende Juni um monatlich 15 Milliarden Euro verringert werden. Analysten interessieren sich vor allem dafür, ob die EZB bei diesem Prozess proportional zum Anteil der erworbenen Wertpapiergattungen vorgehen wird und wie sehr sie beim Abbau der Staatsanleihebestände auf die Einhaltung des EZB-Kapitalschlüssels achten wird. Denkbar wäre außerdem, dass bei den Reinvestitionen stärker auf die Anleihen supranationaler Emittenten gesetzt wird, weil die schon mehr "grüne" Anleihen emittieren.

Über das Tempo des Bilanzabbaus ab Juli soll "später" entschieden werden. Oliver Holtemöller vom IWH rechnet allerdings damit, dass die EZB schon am Donnerstag ankündigen wird, ihren Bilanzabbau ab Juli leicht zu beschleunigen.

4. PEPP-Wiederanlage bleibt zunächst unverändert

Analysten erwarten, dass sich die EZB weiterhin zu einer vollen Wiederanlage der PEPP-Fälligkeiten bis Ende 2024 bekennen wird. Sie dürfte zudem betonen, dass sie bei dieser Wiederanlage flexibel vorgehen kann, was als "erste Verteidigungslinie" gegen einen zu starken Anstieg der Staatsanleiherenditen hochverschuldeter Länder gilt.

5. Hinweis auf Instrument zur Spread-Kontrolle

Die EZB wird auf die Existenz ihres Instruments zur Kontrolle der Staatsanleihe-Spreads hinweisen. Sollte die oben genannte erste Verteidigungslinie nicht halten, und die Renditen der Staatsanleihen bestimmter Länder so stark steigen, dass die Transmission des geldpolitischen Signals gefährdet ist, könnte die EZB ihr Transmission Protection Instrument (TPI) einsetzen und gezielt die Anleihen dieser Länder kaufen.

Dem EZB-Rat werden bei seinen Beratungen aktuelle Inflations- und Wachstumsprognosen der Professional Forecasters vorliegen, die am Tag nach der Ratssitzung veröffentlicht werden. Die von Dow Jones Newswires befragten Analysten haben ihre Inflationsprognose für 2023 gesenkt. Sie erwarten jetzt einen Anstieg der Verbraucherpreise von 5,7 (Dezember: 6,1) Prozent belassen. Für 2024 wird ein Anstieg um 2,4 Prozent prognostiziert. Die Prognose für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wurde auf plus 0,3 (0,0) Prozent geändert, die Prognose für 2024 lautet auf plus 1,2 Prozent.

Die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen sehen die Experten auf Sicht von drei, sechs und zwölf Monaten bei 2,38 (2,20), 2,40 (2,20) und 2,20 (2,05) Prozent und den Euro bei 1,07(1,01), 1,08 (1,03) und 1,10 (1,06) US-Dollar.

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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(END) Dow Jones Newswires

January 30, 2023 10:17 ET (15:17 GMT)