Von Andreas Kißler

HANNOVER/BERLIN (Dow Jones)--Grünen-Chefin Annalena Baerbock hat die Bildung einer Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP als "historische Chance" für einen gesellschaftspolitischen Aufbruch bewertet. Es gehe darum, "alte Gräben nicht nur zuzuschütten, sondern auch neue Brücken zu bauen", sagte sie beim 7. Ordentlichen Gewerkschaftskongress der IG BCE. "Das ist zumindest mein Anspruch für die nächsten vier Jahre." Macht sei kein Selbstzweck, "sondern Macht kommt von machen". Das sei die Messlatte für eine neue Regierung, wenn sie zustande komme. "Wir wollen aufbrechen, diesen Modernisierungsstau, der nach wie vor vor uns liegt, jetzt anzupacken."

Baerbock betonte, es gebe einen "wahnsinnigen Rückstau" an Projekten. Man habe erlebt, was passiere, wenn man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einige. Bisher formulierte Gegensätze müssten dabei überbrückt werden. "Diese Transformationsjahre, die jetzt vor uns liegen, werden keine ganz einfachen Jahre sein", räumte sie ein. Es gehe darum, in einem "neuen Fortschrittsjahrzehnt" die Errungenschaften der Sozialen Marktwirtschaft mit der ökologischen Marktwirtschaft zu kombinieren. Auch gelte es, europäisch einen Markt unter dem Motto "hergestellt in einem klimaneutralen Europa" zu schaffen.

Dafür müsse man gemeinsam in den EU-Binnenmarkt investieren. Industrie- und Wirtschaftspolitik müssten europäisch erfolgen. So dürfe man beim Green Deal "nicht weiter rumeiern". Eine Energiewende, Chemiewende oder Automobilwende gelängen nur europäisch.

Für die neue Regierung verlangte Baerbock "eine Entfesselung der erneuerbaren Energien nicht nur zum Klimaschutz, sondern auch zur Arbeitsplatzsicherung". Der Schlüssel zur Transformation werde genau dort liegen. "Unser Anspruch muss sein, ab dem 1.1.2022 die Blockaden bei den Erneuerbaren endlich zu lösen", sagte sie. Das bedeute vor allem, den Windkraftausbau massiv voranzutreiben.

Man wolle "alles dafür tun, den Kohleausstieg vorzuziehen". Dafür müsse aber auch die Grundvoraussetzung geschaffen werden, erneuerbaren Strom "24/7" zur Verfügung zu haben. Gebe es keine klare Ansage, dass der Staat Leitplanken für klimaneutralen Strom setze, werde Industrie ins Ausland abwandern, warnte Baerbock.

"Für den Übergang braucht es Gas, das sage ich hier auch als Grüne", betonte sie. Jedoch müssten alle neu gebauten Technologien "Wasserstoff-ready" sein. Die Fehler der Vergangenheit, die zu hohen Zahlungen beim Atom- und Kohleausstieg geführt hätten, dürften nicht wiederholt werden.

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October 27, 2021 07:09 ET (11:09 GMT)