MOSKAU (dpa-AFX) - Nach der Inhaftierung des Kremlgegners Alexej Nawalny haben die russischen Behörden ihr Vorgehen gegen Mitarbeiter und Unterstützer des Oppositionellen massiv verschärft. Nawalnys Pressesprecherin Kira Jarmysch wurde nach einen Protestaufruf die ganze Nacht von der Polizei festgehalten und fand sich am Freitag vor Gericht wieder, wie sie im Kurznachrichtendienst Twitter mitteilte.

Sie sei zu neun Tagen Arrest verurteilt worden, sagte sie. Und sie erneuerte ihren Aufruf, an diesem Samstag für Nawalny zu demonstrieren. Mehrere Koordinatoren von Regionalvertretungen Nawalnys kamen ebenfalls in Gewahrsam, darunter in Wladiwostok, Krasnodar und Kaliningrad (Königsberg).

In rund 70 russischen Städten sind Proteste gegen die Inhaftierung Nawalnys und gegen Repressionen unter Präsident Wladimir Putin geplant. Auch die EU und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten Nawalnys Freilassung gefordert. Russland verbittet sich eine Einmischung in seine inneren Angelegenheit und droht Demonstranten mit harten Strafen.

Putins Sprecher Dmitri Peskow warnte vor der Teilnahme an nicht genehmigten Protesten. Die russischen Sicherheitsorgane kündigten an, alles dafür zu tun, um Demonstrationen zu verhindern. Demonstrationen werden in Russland bereits seit Monaten nicht mehr genehmigt - unter Verweis auf die Corona-Pandemie. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) kritisierte in einer Mitteilung den "Missbrauch von Corona-Maßnahmen", um das Recht auf Versammlungsfreiheit zu beschneiden. Mit den Festnahmen von Aktivisten und breiter Einschüchterung werde versucht, die Solidarität mit dem inhaftierten Putin-Gegner Nawalny zu verhindern.

Die Behörden wiesen Nawalnys Mitarbeiter Vladlen Los, einen Staatsbürger von Belarus (Weißrussland), aus und verhängten bis 2023 eine Einreisesperre gegen ihn. Hochschulen drohten damit, Studenten wegen der Teilnahme an den Kundgebungen zu exmatrikulieren. Eltern könnten zur Rechenschaft gezogen werden, wenn ihre Kinder zu Protesten gingen, hieß es. Soziale Netzwerke wie Twitter, Facebook, VKontakte und TikTok erhielten Medien zufolge Aufforderungen, keine Protestaufrufe zu verbreiten. Es drohen hohe Strafen.

Nawalny war nach seiner Rückkehr aus Deutschland nach Russland in einem Eilverfahren am Montag zu 30 Tagen Haft verurteilt worden. Er soll gegen Meldeauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen haben, während er sich in Deutschland von einem Attentat erholte. Ihm drohen viele Jahre Gefängnis und mehrere Prozesse. Hinter dem Vorgehen der Justiz und hinter einem Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok vom 20. August sieht er ein "Killerkommando" des Inlandsgeheimdienstes FSB unter Putins Befehl. Putin und der FSB weisen die Anschuldigungen zurück. Die EU hat wegen des Anschlags Funktionäre in Russland mit Sanktionen belegt.

Nach tagelanger Unklarheit um Nawalnys Befinden gab es auf seinem Instagram-Account am Freitag erstmals wieder ein Lebenszeichen. "Meine psycho-emotionale Lage ist völlig stabil", teilte er mit. Wohl weil es in dem Knast, der im Volksmund Matrosenruhe heißt, immer wieder rätselhafte Todesfälle gibt, teilte er mit, dass er nicht vorhabe, sich umzubringen.

Der 44-Jährige zeigte sich auch erfreut über die große Resonanz auf sein neues Enthüllungsvideo mit dem Titel "Ein Palast für Putin". Der fast zweistündige Film über ein angeblich aus Schmiergeldern für den Kremlchef finanziertes "Königreich" hatte am Freitag nach kurzer Zeit bei Youtube bereits fast 60 Millionen Aufrufe. Einer der wichtigsten Video-Autoren, Georgi Alburow, der unter Lebensgefahr erstmals Luftaufnahmen von dem Palast an der Schwarzmeerküste gedreht hatte, wurde in einem Eilverfahren zu zehn Tagen Haft verurteilt. Der Grund war unklar. Alburow gehört zum Anti-Korruptions-Team Nawalnys.

Kremlsprecher Peskow wies am Freitag erneut zurück, dass Putin etwas mit dem Grundstück nahe der Stadt Gelendschik zu tun habe. "Das ist einfach eine Lüge", sagte er. Nawalny hingegen spricht vom großen Korruptionsskandal der russischen Geschichte und zeichnet anhand von Augenzeugen und Dokumenten Besitzverhältnisse nach, die aus seiner Sicht nur den Schluss zuließen, dass es Putins Palast sei.

EU-Ratspräsident Charles Michel bekräftigte am Freitag in einem Gespräch mit Putin die Forderung Brüssels nach einer Freilassung des Politikers. Die EU verurteile die Inhaftierung Nawalnys einhellig, sagte er. Der Kreml bestätigte, dass es bei dem Telefonat auch um Nawalny gegangen sei - allerdings ohne Details.

Russland müsse Nawalnys Sicherheit garantieren, seine Rechte müssten voll und bedingungslos gewahrt werden, hatte Michel bereits nach einem Videogipfel der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstagabend gesagt. Er fügte hinzu: "Wir erwarten, dass Russland dringend eine unabhängige und transparente Untersuchung des Anschlags auf sein Leben voranbringt und voll mit der Internationalen Organisation zum Verbot Chemischer Waffen kooperiert."

Diese Forderungen unterbreitete Michel Putin nun. Der EU-Ratspräsident informierte Putin zudem über sein Vorhaben, auf dem Gipfel der Europäischen Union im März eine strategische Debatte über die Beziehungen Brüssels zu Moskau zu führen./mau/DP/nas