Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Die Inflation im Euroraum könnte nach Einschätzung von Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding in den nächsten Jahren von einigen Sonderfaktoren getrieben werden. Schmieding will daher nicht ausschließen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Geldpolitik schneller als derzeit kommuniziert straffen wird. Schmieding weist auf folgende drei Faktoren hin:

1. Die Gesamtnachfrage dürfte in den nächsten Jahren stark bleiben, was bei realem und nominalem Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach dem Ende der Angebotsprobleme zu Zuwächsen führen dürfte, die über den vor der Corona-Pandemie zu beobachtenden Trends liegen. Als Ursachen betrachtet er die angestaute Nachfrage privater Haushalte, deren überschüssige Ersparnisse, den Zwang für Unternehmen, zu investieren, ihre Lieferketten neu auszurichten und die Lagerbestände aufzubauen, sowie höhere staatliche Investitionen.

2. Höhere Preise vor CO2-Emissionen und andere Kosten des Übergangs zu einer kohlenstoffärmeren Wirtschaft könnten die Inflationsrate des Euroraums pro Jahr um 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte erhöhen.

3. Wegen der Bevölkerungsalterung in Europa, den USA und China wird eine Verknappung des Arbeitsangebots voraussichtlich die Lohninflation steigen lassen. Wenn die Zentralbanken nicht einschreiten, werden die Unternehmen wegen der anhaltend steigenden Nachfrage in der Lage sein, diese höheren Kosten an die Konsumenten weiterzugeben.

"Infolgedessen gehen wir davon aus, dass die Inflation 2022 weniger stark zurückgehen wird, als die EZB derzeit erwartet, und in den Folgejahren einen deutlicheren Aufwärtstrend aufweisen wird", schreibt Schmieding. So prognostiziere Berenberg für 2023, das letzte Jahr des aktuellen Projektionshorizonts der EZB, eine Inflation von 1,9 Prozent, was deutlich über den zuletzt von der EZB prognostizierten 1,5 Prozent liege.

"Sollte sich die Inflation Ende 2023 im Einklang mit unseren Prognosen 2 Prozent nähern, würden wir erwarten, dass die EZB ihre Ankäufe von Vermögenswerten im September 2023 beendet und im Dezember 2023 eine erste Zinserhöhung vornimmt", kalkuliert Schmieding. Das wäre viel früher, als die EZB selbst derzeit mit ihren Projektionen und ihrer Forward Guidance signalisiert.

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October 26, 2021 06:39 ET (10:39 GMT)