FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Neben Befürchtungen, es werde konjunkturell ungemütlich, wächst die Angst vor einer Energiekrise in Europa. Eine zwischenzeitliche Erholung könnte von kurzer Dauer sein.

27. Juni 2022. Frankfurt (Börse Frankfurt). Konjunktursorgen belasten auch in der neuen Woche die Aktienmärkte. Wider Erwarten wird zudem der Höhepunkt der Inflation von Ökonom*innen erst im Herbst erwartet. Das kann noch stärkere Zinssteigerungen mit sich bringen.

Aus technischer Sicht ist nach Ansicht von Christoph Geyer eine Trendwende möglich, wenngleich die Bäume nicht in den Himmel wachsen sollten: "Sollte zum Wochenauftakt das Hoch vom Freitag überschritten werden, gilt dies als Kaufsignal."

Diese Entwicklung zeichnet sich am Montagmorgen ab: Der DAX steht bei 13.227 Zählern. Am Freitag war er mit 13.118 Punkten aus dem Handel gegangen. Auch in Asien ist der Wochenauftakt freundlich. So steigt der Hang Seng um 2,3 Prozent, der Nikkei 225 um 1,2 Prozent und der Shanghai Composite um 0,7 Prozent.

Der Kampf um die 13.000 Punkte im DAX sollte sich nach Meinung der Helaba fortsetzen. "Am technisch getrübten Bild hat sich wenig geändert." Ein Rückfall bis zum Jahrestief von 12.348 Punkten sei daher weiterhin möglich.

Es bleibt schwierig

Nach Einschätzung von Analyst*innen bleibt es schwierig an den Finanzmärkten: "Rezessions-, Zins-, Inflations- und Kriegsängste, plötzliche Volatilitätsspitzen und der zunehmende Eintritt der Aktienmärkte in den Bärenmarkt kleben an den Börsen wie Kaugummi am Schuh. Bis es mehr Klarheit bei Inflation, Geldpolitik sowie Konjunktur- und Unternehmensgewinnentwicklung gibt, werden die Märkte nervös bleiben", erklärt Robert Halver von der Baader Bank. Immerhin würden die Konjunktursorgen die Zinsängste begrenzen. Der Inflationsgipfel sollte nach Halvers Ansicht durch die Erhöhungen im Sommer allmählich überschritten werden.

Bessere Perspektiven werden Kapital an die Märkte zurückbringen

Eine Gaskrise hat Europa nach Einschätzung von Halver gerade noch gefehlt, außerdem zeichne sich eine Verlangsamung der Unternehmensgewinne im zweiten Quartal ab. Doch auf der anderen Seite warte viel Geld an der Seitenlinie. Bei einer Perspektivaufhellung traue es sich sofort zurück an die Aktienmärkte und sorge für eine Kursbefestigung, bleibt Halver optimistisch.

"Kein gutes Signal ist, dass bei Aktien und anderen Risiko-Assets nach den deutlichen Verlusten der Vorwoche eine spürbare Gegenbewegung ausbleibt", kommentiert Christian Apelt von der Helaba. Da habe auch die Erholung bei Anleihen nicht geholfen, zumal sie schnell wieder beendet sein könne. "Die Grundprobleme - der Ukraine-Krieg, die hohen Energiepreise und die Angst vor einem Gasstopp sowie Lieferengpässe - bestehen fort. Eine echte Beruhigung an den Finanzmärkten benötigt daher vermutlich noch mehr Zeit."

Berichtssaison mit Realitätscheck

"Die Aktienmärkte tun sich derzeit mit den sich eintrübenden makroökomischen Daten schwer, hinzu kommt in Europa auch das Damoklesschwert einer schweren Energiekrise", fasst Martin Hartmann von der Commerzbank die Lage zusammen. Doch damit nicht genug: "Wir haben die Befürchtung, dass in den nächsten vier Wochen die Berichtssaison für einen Realitätscheck der noch hohen Analystenerwartungen für die Unternehmensgewinne 2022 und 2023 sorgen dürfte." Die Commerzbank empfehle, Aktien unterzugewichten.

Zur Begründung führte Hartmann das Spannungsfeld zwischen weniger Wachstum und steigender Inflation an, das den Notenbanken das Leben schwer mache. Die Fed konzentriere sich weiterhin auf die Bekämpfung der Inflation und nehme dabei steigende Konjunkturrisiken in Kauf. Sie dürfte die Zinsen daher stärker als erwartet anziehen. Er rechne damit, dass die Fed ihren Leitzins auf 4 Prozent im vierten Quartal erhöht.

Für die USA erwartet Hartmann eine leichte Rezession im kommenden Jahr, nicht aber für Deutschland und Europa: "Im Euroraum dürfte sich das Wachstum auch stark abkühlen. Allerdings sollten die vollen Auftragsbücher des verarbeitenden Gewerbes Deutschland vor einer Rezession bewahren", erklärte Hartmann. Der Auftragsbestand sei auf einem Rekordhoch und sollte nach und nach abgearbeitet werden, wenn China ab der Jahreswende die Null-Corona-Politik schrittweise lockert und die Materialengpässe abebben. Bis dahin bzw. bis zum Herbst steige die Inflation in den USA voraussichtlich auf 9 Prozent, im Euroraum auf 8,5 Prozent

So werde Deutschland am Dienstag vermutlich unverändert hohe Verbraucherpreise zum Vormonat von 7,9 Prozent veröffentlichen. Aber am Freitag dürfte für den Euroraum eine Rekord-Inflation von 8,4 Prozent für Juni gemeldet werden, zu der vor allem die Benzinpreise trotz der Steuersenkungen in Deutschland sowie die Lebensmittelpreise beigetragen haben würden.

Wichtige Konjunktur- und Wirtschaftstermine der Woche

Mittwoch, 29. Juni 2022

14:00 Uhr. Deutschland: Verbraucherpreise Juni

Donnerstag, 30. Juni 2022

3:30 Uhr. China: Einkaufsmanagerindex verarbeitendes Gewerbe, Juni

Die DekaBank erwartet einen weiteren Anstieg im verarbeitenden Gewerbe, wenn auch nicht einen so starken Zuwachs wie im Mai und rechnet mit einem Zuwachs von 49,6 auf 50,4 Punkte. Begründung: "Die Corona-Beschränkungen in China sind seit Anfang Juni deutlich reduziert worden. Die Industrieproduktion hatte sich schon im Mai wieder deutlich von ihrem April-Einbruch erholt, da es gelungen war, viele Betriebe trotz der eingeschränkten Bewegungsfreiheit wieder in Gang zu bringen." Im Juni dürfte daher auch der Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe gestiegen sein

14:30 Uhr. USA: Private Konsumausgaben, Juni

"Die Konsumausgaben der privaten US-Haushalte haben sich in den vergangenen Monaten angesichts der hohen Preisbelastung relativ gut entwickeln können", kommentiert das Makroteam der DekaBank. Allerdings sei dies zu Lasten einer deutlich niedrigeren Sparquote gegangen. Daher bleibe der Ausblick für die kommenden Monate getrübt. "Im Mai dürften die Ausgaben in nominaler Rechnung relativ wenig gegenüber dem Vormonat angestiegen sein - die schwachen Einzelhandelsumsätze deuten dies an." Real sei allerdings mit einem deutlichen Rückgang zu rechnen, weil die Verbraucherpreise einen kräftigen Anstieg des Deflators signalisierten.

Freitag, 1. Juli 2022

11:00 Uhr. Eurozone: Verbraucherpreise, Juni

Die DekaBank erwartet im Euroraum eine Inflation von 8,5 Prozent und damit ein Allzeithoch. Zwar habe der Tankrabatt in Deutschland leichte Preisrückgänge bei Benzin und Diesel gebracht, doch dürften Energiegüter im Schnitt kräftig zur Teuerung in der Eurozone beigetragen haben. Zuletzt seien die Preise bei Industriegütern und Lebensmitteln stark gestiegen. Das spiegele die Weitergabe höherer Kosten wider und dürfte sich fortsetzen.

von: Antje Erhard, 27. Juni 2022, © Deutsche Börse AG

(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)