Dreifache Zäsur, Kommentar zum Rücktritt von Bundesbank-Chef Weidmann
von Mark Schrörs
Frankfurt (ots) - Bundesbankpräsident Jens Weidmann will nicht mehr. Zum
Jahresende gibt er sein Amt auf - fast fünfeinhalb Jahre vor dem eigentlichen
Ende seiner erst 2019 gestarteten zweiten Amtszeit. Wer Weidmann kennt, weiß,
dass er sich die Entscheidung alles andere als leicht gemacht hat. Umso
nachdenklicher muss sie stimmen - zumal zur jetzigen Zeit, mit der Rückkehr der
Inflation. Weidmanns Demission bedeutet eine Zäsur für die Europäische
Zentralbank (EZB), für die Euro-Geldpolitik und womöglich für die
Euro­päische
Währungsunion. Leider spricht aktuell wenig dafür, dass es eine Zäsur zum
Besseren wird.

Frustration und Sorgen

Weidmann führt für seinen Rücktritt "persönliche Gründe" ins Feld.
Sicher mag da
eine Rolle spielen, dass er sich mit nahe Mitte 50 fragt, was die Zukunft noch
bringt - zumal, nachdem es im Jahr 2019 mit der Nachfolge von Ex-EZB-Präsident
Mario Draghi nicht geklappt hat. Genauso sicher ist aber auch, dass die Gründe
tiefer gehen und viel mit den Kämpfen im EZB-Rat der vergangenen Jahre zu tun
ha­ben. Weidmann stand mit seiner strikten Orientierung an Geldwertstabilität
und der ordnungspolitischen Überzeugung oft allein im EZB-Rat und musste
ins­besondere von Draghi manche persönliche Verletzung einstecken. Das hat ihn
wohl über die Jahre zermürbt. Jetzt verliert der EZB-Rat nicht nur einen
respektablen Notenbanker, sondern auch einen exzellenten Ökonomen. Das ist auch
äußerst bedenklich, weil es von diesem Schlag in dem Gremium ohnehin leider
immer weniger gibt.

Wer Weidmanns Brief an die Bundesbankmitarbeiter liest, ent­deckt aber schnell,
dass es nicht nur Frustration über die Entwicklung der Geldpolitik in der
Vergangenheit ist, die ihn aufgeben lässt, sondern gerade auch die Sorge vor der
weiteren Entwicklung. Die EZB hat im Sommer eine neue geldpolitische Strategie
verabschiedet, die Weidmann mitgetragen hat. Entscheidend ist aber, wie diese
"gelebt" wird, um ein Wort Weidmanns zu zitieren. Und da scheinen etwa trotz
einer gegenteiligen Festlegung in der Strategie viele Euro-Notenbanker durchaus
ein Überschießen des 2-Prozent-Inflationsziels nach Jahren darunter anstreben zu
wollen. Ein solches Spiel mit der Inflation ist aber brandgefährlich - erst
recht, wenn die Inflation nun unerwartet stark zurückkehrt und es zunehmend
fraglich erscheint, ob das wirklich nur ein temporäres Phänomen ist.

EZB muss sich entscheiden

Auch der neue Zinsausblick (Forward Guidance), den der EZB-Rat - gegen unter
anderem Weidmanns Stimme - aus dieser neuen Strategie abgeleitet hat und der
Zinserhöhungen auf Jahre hinaus ausschließt, schießt definitiv über das
Ziel
hinaus. Unlängst hat selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) ob des
unsicheren Inflationsausblicks gewarnt, dass die Notenbanken zum Handeln bereit
sein müssten. Das sollte auch der EZB Mahnung sein.

Zugleich steht der EZB-Rat kurzfristig vor zentralen Entscheidungen, weil das
1,85 Bill. Euro umfassende Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP nach aktuellem
Stand im März 2022 endet. Weidmann hat das PEPP in der Coronakrise mitgetragen
und auch der großen Flexibilität bei den Käufen zugestimmt. Mit der
wirtschaftlichen Erholung ist es jetzt aber höchste Zeit, aus dem absoluten
Krisenmodus auszusteigen und eine Normalisierung der Geldpolitik anzugehen.
Tatsächlich aber wollen viele Euro-Notenbanker diese Flexibilität auf Dauer
erhalten. In normalen Zeiten gelten aber andere Maßstäbe; sonst droht schnell
Willkür.

Die EZB muss jetzt eine grundsätzliche Entscheidung treffen, ob sie sich weiter
(oder wieder) als Zentralbank versteht, deren oberstes Ziel die
Inflationsbekämpfung und der Erhalt der Preisstabilität ist, oder ob sie sich
völlig und dauerhaft als Ausputzer für die Finanzmärkte und die Fiskalpolitik
vereinnahmen lassen will. Jüngste Wortmeldungen verschiedener EZB-Granden und
die strukturelle Mehrheit der "Tauben" im EZB-Rat lassen da nichts Gutes
erahnen.

Gleiches gilt für die Weichenstellungen, die auf europäischer Ebene anstehen.
Eine stärker gemeinsame Fiskalpolitik kann richtig ausgestaltet ohne Frage Sinn
machen. Es darf aber nicht der Weg in eine Schuldenunion beschritten werden, in
der die EZB dann wohl auf Dauer bereitstehen müsste, in großem Stil
Staatsanleihen zu kaufen.

Auf Berlin kommt es an

In all diesen Diskussionen wird Weidmann als Mahner künftig fehlen. Das ist mehr
als bedauerlich. Mancher mag ihm da nun Fahnenflucht vorwerfen. Und ohne Frage
ist es nicht von Vorteil, dass er sich nun am Ende doch einreiht in die Riege
jener deutscher Notenbanker, die im Streit über die EZB-Politik vorzeitig aus
dem Amt scheiden. Aber umgekehrt wird ein noch größerer Schuh daraus: Dass es
der EZB-Führung auf Dauer nicht gelingt, die deutsche Position ausreichend mit
zu berücksichtigen, ist ein Armutszeugnis. Für das angespannte Verhältnis
zwischen der EZB und der deutschen Öffentlichkeit ist Weidmanns Abgang
jedenfalls alles andere als förderlich.

Vieles hängt nun aber auch davon ab, wie die neue Bundesregierung reagiert.
Dabei gilt es auch, sich ehrlich zu machen. Auch die deutsche Politik hat sich
in den Krisen der vergangenen Jahre gerne hinter der EZB versteckt, um
unliebsame politische Entscheidungen zu vermeiden. Dabei hat sie auch Weidmann
oft im Regen stehen lassen - wie sie ihn auch nur mangelhaft unterstützt hat bei
der Dra­ghi-Nachfolge. Es wäre aber nun in jedem Fall ein großer Fehler, wenn
durch die Weidmann-Nachfolge die Bundesbanktradition entscheidend geschleift und
diese Stimme für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik in Euroland verstummen
würde.

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