Warten auf Winterkorn, Kommentar zum Dieselskandal-Prozess von Carsten
Steevens
Frankfurt (ots) - Was wusste Martin Winterkorn zu welchem Zeitpunkt vom Einsatz
einer illegalen Abschalteinrichtung zur Verbesserung der Emissionswerte von
Dieselfahrzeugen auf dem Prüfstand? Ist der bis zum 23. September 2015
amtierende Vorstandsvorsitzende des Volkswagen-Konzerns im strafrechtlichen
Sinne persönlich (mit) verantwortlich für den mutmaßlich größten
Wirtschaftsskandal in der deutschen Nachkriegsgeschichte? Auch wenn der heute
74-Jährige kurz nach Aufdeckung der Manipulationen an weltweit 11 Millionen
Dieselautos durch US-Behörden vor genau sechs Jahren erklärte, die schnelle und
umfassende Aufklärung habe höchste Priorität, könnte es noch sehr lange
dauern,
ehe die Fragen beantwortet sind.

Das aufgrund der Corona-Pandemie zweimal verschobene Strafverfahren wegen
bandenmäßigen Betrugs und anderer Straftaten, das nun in Braunschweig begonnen
hat, findet ohne den prominentesten Angeklagten statt. Der Beschluss des
Landgerichts, das Verfahren gegen Winterkorn aufgrund der Folgen einer
Hüftoperation zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung abzutrennen, stößt
sauer auf. Das zeigt nicht zuletzt eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft
Braunschweig.

Ob und wann Winterkorn, der unlängst mit dem Wolfsburger Autobauer eine Zahlung
von 11,2 Mill. Euro Schadenersatz wegen aktienrechtlicher
Sorgfaltspflichtverletzungen vereinbarte, auf die Anklagebank kommt, ist offen.
Dort sitzen nun zunächst vier ehemalige Manager und Ingenieure aus der
Motorenentwicklung. Es ist aber richtig, dass sich der Prozess, für den bis 2023
insgesamt 133 Verhandlungstage angesetzt sind, nicht weiter verzögert.

Wie stichhaltig der Vorwurf der Anklage ist, der 2007 ins Amt gekommene
Vorstandschef sei spätestens im Mai 2014 über die Existenz der
Abgasmanipulationen in den USA informiert gewesen und habe dennoch den Verkauf
der Fahrzeuge sowie die unlautere Werbung für angeblich saubere Dieselautos
nicht unterbunden, könnte sich im Verlauf des Verfahrens deutlicher abzeichnen.
In Anbetracht der Dimension des Skandals, der Volkswagen inzwischen mit 32 Mrd.
Euro belastet, wäre es aber wichtig, dass sich auch der als detailverliebt
beschriebene Winterkorn stellen muss. Es sollte auf jeden Fall noch vor Gericht
geklärt werden, was das VW-Aufsichtsratspräsidium bereits anlässlich des
Rücktritts des Konzernchefs 2015 feststellte, nämlich dass dieser keine Kenntnis
hatte von der Manipulation von Abgaswerten.

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