BERLIN (dpa-AFX) - Zum Abschluss war nochmals Durchhaltevermögen gefragt. Für die 236. Sitzung des Bundestags am Donnerstag sah die Tagesordnung zwischenzeitlich als Ende 8.20 Uhr am Freitag vor. Da hätte man gleich bis zum Beginn der 237. und letzten regulären Sitzung um 9 Uhr sitzen bleiben können. Mit deren Ende am Nachmittag ist die 19. Wahlperiode des Bundestags so gut wie Geschichte.

Hinter dem Parlament liegen dann vier Jahre, die vielen Abgeordneten wohl lange in Erinnerung bleiben werden. Sie begannen holprig wegen der sich dahinschleppenden Regierungsbildung nach der Wahl 2017. Die Corona-Krise verlangte dann auch dem Parlament viel ab. Eine Attacke auf das Reichstagsgebäude durch Gegner der Corona-Politik sorgte ebenso für Empörung wie die Maskenaffäre von Unionsabgeordneten.

Der neu gewählte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble rief in der ersten Sitzung am 24. Oktober zum sachlichen, gern auch emotionalen, aber bitte fairen Streit auf: "Die Art, wie wir hier miteinander reden, kann vorbildlich sein für die gesellschaftliche Debatte", sagte der CDU-Politiker. "Wir müssen das Vertrauen in das repräsentative Prinzip wieder stärken", lautete sein Credo. Am Ende der Wahlperiode lässt sich trefflich darüber streiten, ob dies gelungen ist. Die 2017 noch gar nicht absehbare Corona-Pandemie hat jedenfalls die Zahl derer, die sich nicht mehr durch die Politik vertreten fühlen, eher steigen lassen.

Der 19. Deutsche Bundestag, der sich an diesem Oktober-Tag konstituierte, war der größte, den es jemals gab: 709 Abgeordnete, 6 Fraktionen. Die FDP kehrte nach vier Jahren Abwesenheit ins Parlament zurück, die AfD zog erstmals ein.

Die Rechtspopulisten um ihre Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland sorgten fortan für eine Verschärfung der Tonlage. Mit der Parole "Wir werden sie jagen" hatte Gauland schon am Wahlabend einen harten Konfrontationskurs angekündigt.

Das Ergebnis lässt sich auch an der Zahl der erteilten Ordnungsrufe ablesen: Bis zur letzten Sitzungswoche waren es 47 - quer durch die Fraktionen. Mehr gab es zuletzt in der 11. Wahlperiode (1987 bis 1990). Einen der ersten Ordnungsrufe fing sich Weidel ein, als sie am 16. Mai 2018 im Plenum über "Burkas, Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse" wetterte.

Für einen der größten Eklats sorgte der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner. Unter anderem nach seinen Reaktionen auf den antisemitisch motivierten Terroranschlag von Halle mit zwei Toten und mehreren Verletzten hielten die anderen Fraktionen den Vorsitzenden des Rechtsausschusses für untragbar. Der Ausschuss wählte ihn ab - ein einmaliger Vorgang. Manche Ämter verwehrten die anderen Fraktionen der AfD gleich ganz. So scheiterte diese mit sechs Kandidaten für den Posten eines Vizepräsidenten. Keiner erhielt genügend Stimmen.

Die Bereitschaft, eine Kandidatin oder einen Kandidaten der AfD zu unterstützen, nahm noch einmal stark ab, nachdem Abgeordnete rund um die Debatte über das Infektionsschutzgesetz im November 2020 von Besuchern bedrängt, belästigt, gefilmt und beleidigt worden waren. Ins Reichstagsgebäude gekommen waren diese auf AfD-Einladung. Auch dies ein Novum - ebenso wie einige Wochen zuvor der Ansturm von Corona-Leugnern und sogenannten Querdenkern auf die Reichstagstreppe.

Die Corona-Pandemie traf die Volksvertreter genauso unvorbereitet wie das Volk. Wie Schulen oder Gesundheitsämter musste der Bundestag empfindliche Lücken in der Digitalisierung feststellen und schließen. Im Plenarsaal hieß es plötzlich Abstand halten, später kam eine Maskenpflicht in allen Gebäuden dazu. Schäubles größte Sorge galt der Handlungsfähigkeit des Parlaments in der Krise. Wie soll dieses bei einem größeren Corona-Ausbruch weiterarbeiten können?

Zwar gab es seit Beginn der Pandemie viele virtuelle Sitzungen von Fraktionen und Ausschüssen - nicht aber des ganzen Bundestags, wie Schäuble sie ins Gespräch brachte. Und der Vorstoß, ein kleines Notparlament zu schaffen, fiel in den Fraktionen durch. Der Bundestag senkte nur die Hürde für seine Beschlussfähigkeit.

Handlungsfähig blieb das Parlament trotzdem jederzeit - keine Sitzungswoche fiel aus, die eine oder andere wurde aber verkürzt. In die Geschichte eingehen wird die Sitzung vom 25. März 2020, als der Bundestag binnen weniger Stunden milliardenschwere Rettungsschirme der Regierung beriet und beschloss. In Krisen sei zwar die Exekutive besonders gefordert, sagte Schäuble damals. Aber: "Die parlamentarische Demokratie wird nicht außer Kraft gesetzt."

Genau dies stellten Kritiker in den folgenden Monaten jedoch in Zweifel, als eine Ministerpräsidentenkonferenz nach der anderen immer neue Corona-Maßnahmen beschloss - und das Parlament nur nachträglich darüber diskutieren konnte.

In eigener Sache war der Bundestag weniger entschlussfreudig als in der Corona-Pandemie. Eine grundlegende Reform des Wahlrechts mit dem Ziel einer Verkleinerung des Parlaments scheiterte im Wesentlichen an CDU und CSU. Das Thema wird dem Bundestag in der 20. Wahlperiode erhalten bleiben. Nun soll eine mit Abgeordneten und Fachleuten besetzte Kommission Vorschläge ausarbeiten.

In der letzten Plenarwoche schwang unter der Reichstagskuppel oftmals Wehmut mit, als nicht wieder kandidierende Abgeordnete ihre letzte Rede hielten. So wie FDP-Haudegen Hermann Otto Solms, der die Wahlperiode als Alterspräsident eröffnet hatte. Der heute 80-Jährige verabschiedete sich nach fast vier Jahrzehnten aus der "Herzkammer der Demokratie", wie er den Bundestag nannte, und gab den künftigen Abgeordneten eine Art Vermächtnis mit: "Der Deutsche Bundestag gibt die Grundlinien der Politik vor und bedient sich der Regierung zu ihrer Umsetzung. Nicht umgekehrt. Diese Aufgabe erfordert Demut vor dem Volk, aber auch Selbstbewusstsein gegenüber der Regierung."/sk/DP/eas