LEVERKUSEN (dpa-AFX) - Zwischen Corona-Krise, Autoflaute und Green Deal: Der Kunststoff-Spezialist Covestro manövriert durch schwierige Zeiten. Während die Tristesse der Autobranche sowie die Wirtschaftskrise infolge der Corona-Pandemie den Dax-Konzern belasten, macht dieser sich fit für die Zukunft. Themen wie Urbanisierung, Klimawandel und Elektromobilität bieten reichlich Chancen. Was bei Covestro los ist, was Analysten sagen und wie die Aktie zuletzt lief.

DAS IST LOS BEI COVESTRO:

Die frühere Bayer-Kunststoffsparte stellt Vorprodukte für Hart- und Weichschäume (PUR, Polyurethane) und für harte Kunststoffe (PCS, Polycarbonate) sowie im Segment CAS Vorprodukte für Lacke, Klebstoffrohstoffe und Spezialanwendungen her.

Polyurethane stecken in Dämmstoffen von Häusern und Kühlschränken, in Autositzen, Matratzen und vielen anderen Alltagsgegenständen. Aus thermoplastischen Polyurethanen werden unter anderem Skischuhe und andere Sportartikel, aber auch Schutzhüllen - etwa für Smartphones - hergestellt. Die harten und dabei leichten Polycarbonate finden Anwendung im Autobau, aber auch in der Elektroindustrie und vielen anderen Branchen.

Experten sehen Covestro damit gut aufgestellt für Themen wie Urbanisierung und Mobilität sowie im Kampf gegen den Klimawandel im Rahmen des Green Deal der EU. So sind die Werkstoffe der Leverkusener wegen ihres geringen Gewichts und der Dämmeigenschaften unter anderem in der Bau- und der Autoindustrie stark gefragt.

Der Konzern profitierte denn auch längere Zeit vom Auto- und Bauboom. Zudem hatten Produktionsengpässe der Konkurrenz bei gleichzeitig guter Nachfrage für steigende Preise gesorgt. Die Gewinne sprudelten 2017 und Anfang 2018 geradezu.

Wie jede Rally endete aber auch diese. Konkurrenten ließen ihre Probleme hinter sich und bauten - ebenso wie Covestro - angesichts der bis dahin guten Nachfrage die Kapazitäten aus. Gleichzeitig begann die Autoindustrie zu schwächeln, mit der Covestro immerhin rund ein Fünftel des Umsatzes erzielt. Die Gewinne fielen 2018 zunächst ein wenig, 2019 dann deutlich.

Im Frühjahr 2020 bekam Covestro - wie die gesamte Weltwirtschaft - die Corona-Krise mit voller Wucht zu spüren. Der Stillstand in vielen Lebens- und Wirtschaftsbereichen machte dem Dax-Konzern zusätzlich zum hohen Konkurrenzdruck das Leben schwer. Unter dem Strich stand im ersten Quartal denn auch nur ein Minigewinn von 20 Millionen Euro - fast 90 Prozent weniger als im Jahr zuvor.

Im gerade abgelaufenen zweiten Jahresviertel fiel laut den Anfang Juli veröffentlichten Eckdaten unter dem Strich sogar ein Verlust von rund 60 Millionen Euro an. Geringere Verkaufspreise und eine träge Nachfrage führten im Jahresvergleich zu einem Umsatzeinbruch um rund ein Drittel auf 2,16 Milliarden Euro. Der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) sank sogar um knapp 73 Prozent auf 124 Millionen Euro.

Allerdings: Analysten und Investoren hatten beim operativen Ergebnis weitaus Schlimmeres befürchtet und waren erleichtert. Zudem gibt es erste Anzeichen einer Geschäftsbelebung. Laut einem Unternehmenssprecher zog die Nachfrage im Juni im Vergleich zu den beiden Vormonaten deutlich an. Er betonte aber auch, dass sich daraus angesichts der Corona-Unwägbarkeiten noch kein Trend ableiten lasse.

Mehr Details zur aktuellen Geschäftsentwicklung wird es an diesem Donnerstag (23. Juli) zur Vorlage der endgültigen Zahlen für das zweite Quartal geben. Konzernchef Markus Steilemann - seit Juni auch Präsident des Verbandes der Kunststoffhersteller in Europa - und Finanzvorstand Thomas Toepfer werden sich dann detailliert zu den einzelnen Geschäftsbereichen äußern. Auch Aussagen über die Fortschritte bei den Kostensenkungen sowie den Jahreszielen werden erwartet.

So hatte das Management die Jahresprognose für das Ebitda im April auf 0,7 bis 1,2 Milliarden Euro gesenkt. Dass selbst das obere Ende dieser Spanne unter dem Niveau von 1,3 bis 1,6 Milliarden Euro liegt, das Steilemann als "resilient" bezeichnet, verdeutlicht den immensen Druck durch die corona-bedingten Belastungen und Unsicherheiten. Denn: mit "resilient" ist eigentlich der Gewinnanteil gemeint, der nicht von eher kurzfristigen, stark vom Konjunkturzyklus getriebenen Nachfrageschwankungen abhängt.

Um das Jahresziel zu erreichen, hatte Finanzchef Toepfer dem Unternehmen im April auch weitere kurzfristige Kostensenkungen verschrieben. Statt 200 Millionen Euro sollten es 2020 nun mehr als 300 Millionen Euro werden - zusätzlich zum laufenden Restrukturierungsprogramm, das 2020 einen Beitrag von 100 Millionen Euro liefern soll. Zugleich sinken die laufenden Investitionen. Um die Kasse zu schonen, will Covestro für 2019 zudem nur noch eine Dividende von 1,20 Euro ausschütten statt zunächst geplanten 2,40 Euro.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Die Eckdaten des Chemieunternehmens zum zweiten Quartal hätten gezeigt, dass die Talsohle nicht so tief wie befürchtet war, schrieb Analyst Sebastian Satz von der Barclays-Bank jüngst in einer Studie. Gerade das Polycarbonat-Geschäft mit harten Kunststoffen habe positiv überrascht, und hier vor allem die Gewinnmargen. Das sei wichtig, denn das schon länger bestehende Überangebot in diesem Markt sei ein wesentlicher Kritikpunkt der Pessimisten. Das Covestro-Management scheine also das Produktportfolio in diesem Bereich erfolgreich hin zu höhermargigen Anwendungen voranzutreiben.

Optimistisch ist Satz für das Schaumstoffvorprodukt MDI. Geschäfte mit diesem Material für Isolierungen sollten von der Klimapolitik der Europäischen Union profitieren. Sollte die Nachfrage hier tatsächlich kräftig anziehen, dürfte der Preisdruck bald nachlassen. Dann könnte es schon von 2021 an deutlich besser aussehen, als dies viele Experten derzeit erwarteten. Barclays-Analyst Satz ist entsprechend optimistisch für die Aktie und stuft sie in Erwartung eines Kursziels von 42 Euro mit "Overweight" ein.

Unter den Analysten, die sich seit der Vorlage der Eckdaten für das zweite Quartal geäußert haben, ist nur Expertin Georgina Iwamoto von Goldman Sachs noch optimistischer. Sie hält die Verbesserungen im Polycarbonat-Geschäft für durchaus nachhaltig, rät ebenfalls zum Kauf der Aktien und sieht mit einem Kursziel von 48 Euro rund 30 Prozent Luft nach oben. Während Iwamoto aktuell zu den Optimisten gehört, zählte sie vor rund zwei Jahren zu jenen, die früh vor einem Geschäftsabschwung gewarnt hatten.

Aktuell eher vorsichtig ist Analyst Chetan Udeshi von der Bank JPMorgan. Er hob zwar seine Gewinnerwartungen nach der Vorlage der Eckdaten für das zweite Quartal an und schraubte das Kursziel auf 30,50 Euro nach oben, sieht aber weiterhin Kursrisiken und stuft die Papiere mit "Neutral" ein. Das Potenzial einer Gewinnerholung des Konzerns werde gemeinhin überschätzt, glaubt Udeshi. So dürfte ein Teil der zuletzt besser als erwarteten Polycarbonat-Entwicklung auf vorübergehende Kapazitätsbeschränkungen chinesischer Wettbewerber zurückzuführen sein. Ein Teil der gedrosselten Produktion dürfte aber schon bald wieder hochgefahren werden. Das Überangebot an wichtigen Produkten werde dann noch länger ein Problem sein.

Das durchschnittliche Kursziel der acht seit der Veröffentlichung der vorläufigen Zahlen im dpa-AFX-Analyser erfassten Experten liegt bei rund 38,70 Euro. Dabei sprechen vier eine Kaufempfehlung aus, drei sagen "Halten" und einer "Verkaufen".

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Corona-Krise hatte den Kursrutsch der Covestro-Aktie nochmals deutlich verstärkt. Allein im Sog des virusbedingten Crashs, der die Börsen vom 24. Februar an erfasste, ging es bis Mitte März um 41 Prozent abwärts auf ein Rekordtief von 23,54 Euro. Damit rutschte das Papier sogar unter 24 Euro, zu denen Bayer die Covestro-Aktie im Herbst 2015 an die Börse gebracht hatte.

Seit dem Corona-Tief geht es nun aber beständig nach oben. Zu aktuell rund 38 Euro gehandelt, fehlt dem Papier nur noch rund fünf Prozent bis zum Kursniveau vor Corona. Bis zum Rekordniveau von knapp 96 Euro von Anfang 2018 ist es dagegen noch ein langer Weg.

Im bisherigen Jahresverlauf 2020 hinkt das Covestro-Papier mit einem Minus von rund zehn Prozent dem deutschen Leitindex Dax hinterher, der aktuell noch rund ein Prozent hinten liegt. Mit Blick auf alle Dax-Werte bedeutet das einen Platz im Mittelfeld.

Nach der jüngsten Kurserholung bringt es Covestro aktuell wieder auf einen Börsenwert von rund 6,9 Milliarden Euro. Allerdings reicht das nur für den vorletzten Platz im Dax zwischen dem insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard (0,2 Milliarden Euro) und dem Triebwerksbauer MTU (8,2 Milliarden Euro).

Im europäischen Vergleich liegt Covestro aktuell im hinteren Drittel des Stoxx Europe 600 Chemicals. Allerdings sind in dem Sektorindex auch echte Schwergewichte wie Linde, Air Liquide und BASF vertreten./mis/niw/ck/fba