New York/Frankfurt (awp/awp/sda/reu) - Decentralized Finance (DeFI) ist derzeit eines der heissesten Themen in der Kryptowährungsbranche - Finanzgeschäfte ohne Banken, Broker oder Börsen als zwischengeschaltete Vermittler, die in der Regel kräftig mitverdienen. Beispielsweise können Kredit-Geber und -Nehmer ihre Transaktionen direkt miteinander abwickeln.

Die Konditionen und Zahlungen werden von einer Software geregelt, was den bürokratischen Aufwand und die Kosten reduziert. Da ein gesetzlicher Rahmen bislang fehlt, entfallen auch Bonitäts- oder Identitätsprüfungen. Abgewickelt und verifiziert werden solche Geschäfte über die Blockchain - eine dezentrale Datenbank, in der sämtliche Transaktionen verschlüsselt und fälschungssicher gespeichert werden.

Ethereum mehr als eine Devise

Hier kommt die Cyber-Devise Ethereum ins Spiel. Sie ist als Plattform die erste Wahl für DeFi-Geschäfte. "Sie ist mehr als nur eine digitale Münze", erläutert Bradley Kam die Rolle der Kryptowährung bei dieser Art von Transaktionen. Er ist Chef der Firma Unstoppable Domains, die Internet-Adressen mit der Endung .crypto anbietet.

"Es handelt sich um ein Ökosystem, in das Anwendungen integriert werden können." Die Ethereum-Blockchain ermöglicht die direkten Verträge unter den Akteuren, sogenannte Smart Contracts. Dabei können Zahlungen automatisch geleistet werden, sobald die Software erkennt, dass die Bedingungen hierfür erfüllt sind.

Das Volumen der ausgegebenen DeFi-Kredite lag dem Branchendienst DeFi Pulse zufolge am vergangenen Freitag bei 79 Milliarden Dollar. Das sei ein Plus von fast 600 Prozent im Vergleich zum Oktober 2020. Befürworter sehen in DeFi die Zukunft der Finanzbranche, weil es günstigeren Zugang zu Krediten ermögliche.

"DeFi ist für einen kometenhaften Aufstieg bestimmt", sagt Alex Wearn, Chef der Kryptobörse Idex. "Aber dieses Wachstum birgt Risiken." Technische Unzulänglichkeiten, Hackerangriffe und Betrügereien könnten den Boom der DeFi-Geschäftsmodelle ein jähes Ende bereiten.

Technik bremst Wachstum aus

Eines der grössten Probleme sind geplatzte Transaktionen. Dem Branchendienst Dune Analytics zufolge kommen zwei bis fünf Prozent der Geschäfte nicht zustande. Gründe seien Verzögerungen bei der Abwicklung oder zu hohe "Benzinpreise" - so heissen im Fachjargon die Gebühren für die Verschlüsselung und Abwicklung einer Transaktion im Ethereum-Netzwerk. Sie schwanken je nach Auslastung der beteiligten Rechner stark.

Dies sei keine Bagatelle, warnt Idex-Chef Wearn. "Sie kosten Nutzer jeden Tag Millionen von Dollar. Diese Probleme dämpfen die Attraktivität der Produkte für ein grösseres Publikum und verhindern ein Wachstum dieses Ökosystems." Wearn schätzt ausserdem, dass seit Jahresbeginn bei Hackerangriffen auf DeFi-Anbieter mehr als 285 Millionen Dollar erbeutet wurden.

Hoffnung auf Software-Updates

Das Ethereum-Netzwerk ist Opfer seines eigenen Erfolgs. Der sprunghafte Anstieg der Nutzerzahlen und Transaktionen verlängert die Abwicklung der Geschäfte und treibt die Gebühren in die Höhe. Das Software-Update "Ethereum 2.0", dessen erste Phase im vergangenen Jahr startete, soll Abhilfe schaffen.

Das Projekt komme aber nur schleppend voran, der Zeitrahmen werde ständig nach hinten verschoben, moniert John Wu, Chef von Ava Labs, einer Plattform für DeFi-Anwendungen und damit Konkurrent des Ethereum-Netzwerks. Dem Unternehmen zufolge haben Nutzer seit Februar 170 Millionen Dollar aus dem Ethereum-Netzwerk zu Ava Labs umgeschichtet.

Hoffnungen setzen Experten ausserdem auf ein anderes Software-Update, das im Juli kommen soll. "EIP-1559" (Ethereum Improvement Protocol) dient unter anderem dazu, die Schwankungen bei den Gebühren für die Abwicklung von Transaktionen zu reduzieren. Ausserdem werden weniger neue digitale Ethereum-Münzen an die "Schürfer" ausgegeben. Diese stellen Rechner-Kapazitäten für die Verschlüsselung von Geschäften zur Verfügung und werden in der jeweiligen Kryptowährung entlohnt.

Die Verknappung des Angebots könnte Ethereum ähnlich starken Auftrieb geben wie das "Halving" bei Bitcoin, prognostiziert Richard Galvin, Chef des auf Kryptowährungen spezialisierten Vermögensverwalters Digital Asset. Etwa alle vier Jahr halbiert sich die Menge der Bitcoins, die durch Schürfen in einem bestimmten Zeitraum gewonnen werden kann, automatisch, die Verknappung des Angebots stützt den Kurs.

Ethereum-Rally stellt Bitcoin in Schatten

Derzeit läuft Ethereum mit einem Kursplus seit Jahresbeginn von rund 500 Prozent dem Krypto-Primus den Rang ab. Bitcoin kommt gerade einmal auf etwa 100 Prozent Plus. "Neben der Aussicht auf eine Verbesserung der Ethereum-Blockchain ist es die wachsende Beliebtheit der Investoren für Finanzdienstleistungen und Krypto-Sammlerstücke, welche die Rally Tag für Tags aufs Neue befeuert", sagt Analyst Timo Emden von Emden Research.

Naeem Aslam vom Brokerhaus AvaTrade traut Ethereum mittelfristig einen Kurs von 10 000 Dollar zu. Neben DeFi wird Ethereum seit einiger Zeit verstärkt für "NFT"-Geschäfte genutzt. Mit "Non-fungible tokens" können digitale Kunstwerke, Sammelkarten oder virtuelle Welten als Original signiert und handelbar gemacht werden.