Der langjährige Konzernchef Sergio Marchionne, der den italienischen Autobauer Fiat vor dem Aus rettete und durch die Übernahme der US-Marke Chrysler später zu einem internationalen Konzern formte, ist tot. Der 66-Jährige war bereits am Wochenende als Vorstandschef ersetzt worden, nachdem sich sein Gesundheitszustand überraschend verschlechtert hatte. Er hatte nach Komplikationen bei einer Schulter-Operation in einer Züricher Klinik gelegen. "Was wir befürchtet haben, ist leider eingetreten. Sergio Marchionne, Mensch und Freund, ist gegangen", teilte Verwaltungsratspräsident John Elkann mit.

Italiens Präsident Sergio Mattarella würdigte Marchionnes Verdienste. "Marchionne hat eine wichtige Seite in der Geschichte der italienischen Industrie geschrieben." Als Fiat-Chef habe er Jahre einer tiefgreifenden und radikalen Transformation von Märkten, Produktionssystemen, Finanzstrategien und gewerkschaftlichen Beziehungen durchlaufen und mit Fiat Chrysler einen Konzern geschaffen, der mit der Konkurrenz mithalten könne.

Konkurrenten und Vertreter der Finanzindustrie drückten ihr Beileid aus. General-Motors-Chefin Mary Barra erklärte: "Sergio hat ein bemerkenswertes Vermächtnis in der Automobilindustrie geschaffen." Ford-Chairman Bill Ford schrieb: "Sergio Marchionne war einer der angesehensten Führer der Branche, dessen Kreativität und mutige Entschlossenheit dazu beitrugen, Chrysler finanziell zu sanieren und Fiat Chrysler zu einem profitablen globalen Autohersteller zu machen." Auch Carlos Ghosn, Chef von Renault-Nissan-Mitsubishi, drückte seine Trauer aus. Volkswagen-Chef Herbert Diess sagte, mit Marchionne verliere die Automobilindustrie einen ihrer großen Vordenker und Gestalter.

"Sergio war eine einzigartige Mischung aus Visionär und Macher. Er kombinierte eine großartige Vision und die Fähigkeit, Dinge zu erledigen. Das ist eine echte Tragödie", sagte Domenico Siniscalco, ehemals italienischer Finanzminister, der heute Landeschef von Morgan Stanley in Italien ist.

Nach dem Tod des charismatischen Konzernlenkers blickt Fiat Chrysler pessimistischer in die Zukunft. Das Unternehmen schraubte seine Prognose für den Umsatz und den bereinigten operativen Gewinn herunter. Als Grund nannte der neue Vorstandschef Mike Manley schwächere Geschäfte in China. "Die größten Herausforderungen, vor denen wir stehen ... sind alle in China konzentriert", sagte er in einer Telefonkonferenz. Die Nachfrage in der Volksrepublik brach im zweiten Quartal vor der Senkung der Einfuhrzölle im Juli für Fahrzeuge aus der EU ein. Die Aktien von Fiat Chrysler verloren zeitweise elf Prozent und gaben damit den Gewinn des bisherigen Jahres weitgehend ab. Den von Marchionne im Juni präsentierten Fünf-Jahres-Plan bekräftigte Manley. "Meine Hauptaufgabe wird die Umsetzung sein." Ihn hatte der Verwaltungsrat am Samstag als Vorstandschef berufen, als absehbar, dass sich Marchionnes Gesundheitszustand nicht bessern würde.

EINST WIE EIN ROCKSTAR GEFEIERT

Der Italo-Kanadier Marchionne war vor 14 Jahren an die Spitze von Fiat gerückt und rettete die italienische Marke damals. Fünf Jahre später übernahm er die insolvente US-Marke Chrysler und machte sie später zu einer Ertragsstütze für den Konzern. Dank Chrysler gelang es auch, die schwächelnde Marke Fiat über Wasser zu halten. Marchionne galt als einer der schillerndsten Autobosse jüngerer Zeit, der durch sein unkonventionelles Auftreten sowohl für Analysten als auch für Journalisten hohen Unterhaltungswert hatte. Manch einer feierte ihn sogar als eine Art Rock-Star der Autobranche. Er galt als sehr temperamentvoll und konnte Mitarbeiter mitreißen, er konnte sie seinen Unwillen aber auch in Wutausbrüchen spüren lassen.

Bei Automessen und Pressekonferenzen trat Marchionne stets im schwarzen Pulli auf. Lediglich Anfang Juni legte er einen Schlips an als Fiat Chrysler schuldenfrei war. Damit feierte er einen seiner letzten großen Erfolge.

In den vergangenen Jahren hatte Marchionne mehrfach versucht, den amerikanisch-italienischen Konzern mit einem größeren Konkurrenten zu verbünden, um das Überleben des Autobauers langfristig zu sichern. Sein Werben wurde jedoch weder von Volkswagen noch von General Motors, Toyota und Ford erhört. Deshalb hatte er unlängst seinen Fünf-Jahres-Plan verkündet, der Milliarden-Investitionen in Elektromobilität und selbstfahrende Autos vorsieht, um den Anschluss an die Konkurrenz nicht zu verlieren. Gleichzeitig soll die Produktion von Geländewagen hochgefahren werden, die weltweit stark gefragt sind. Der Betriebsgewinn soll sich nach diesem Plan bis 2022 verdoppeln.