Frankfurt (Reuters) - Bei der Deutschen Bank beginnt eine neue Ära.

Nach einem Jahrzehnt mit vier Vorstandschefs, Milliardenverlusten in Serie, einem Niedergang des Aktienkurses und einer vorsichtigen Neuaufstellung übergab Paul Achleitner die Führung des Aufsichtsrats am Donnerstag an den Niederländer Alexander Wynaendts. "Ich blicke heute zurück auf bewegte Jahre in einer schwierigen Phase für unsere Bank", sagte der 65 Jahre alte Ex-Investmentbanker Achleitner auf der virtuellen Hauptversammlung, die am späten Nachmittag endete. "Ich verlasse die Deutsche Bank in der tiefen Überzeugung, dass wir alle gemeinsam in den vergangenen Jahren die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft gestellt haben." Sein Nachfolger kommt aus der Versicherungsbranche.

Er werde sich mit ganzer Kraft für das Institut einsetzen, versprach Wynaendts in einer Videobotschaft. Die Anteilseigner konnten die Hauptversammlung zum dritten Mal in Folge nur im Internet beobachten. Vor der Corona-Pandemie hatte sich auch Achleitner vor tausenden Aktionären in der Frankfurter Festhalle teils heftige Kritik anhören müssen. "Die Deutsche Bank hat turbulente Zeiten hinter sich, aber sie hat in den vergangenen Jahren die Wende geschafft dank einer klaren Strategie", sagte Wynaendts. "Sie wird sich weiterhin auf ihre Stärken konzentrieren und ihre Disziplin bei der Kostenkontrolle beibehalten."

Wynaendts hat damit Erfahrung: 2008, kurz nach Beginn der Finanzkrise, übernahm er den Chefposten beim niederländischen Versicherer Aegon und baute diesen über zwölf Jahre bis 2020 kräftig um. Im November hatte die Bank den 61-Jährigen Überraschungskandidaten nach langer Suche zur Wahl in das Gremium vorgeschlagen. Dem Einzug von Wynaendts in den Aufsichtsrat stimmte eine Mehrheit von 97,84 Prozent auf dem virtuellen Aktionärstreffen zu, wenngleich ihn einige große Aktionäre kritisch sahen. Seine Wahl zum Vorsitzenden des Gremiums nach der Hauptversammlung galt als Formsache.

Die Fondsgesellschaft Union Investment hatte angekündigt, gegen Wynaendts zu votieren. Fondsmanagerin Alexandra Annecke begründete das mit Ämterhäufung. Der Niederländer sitzt auch in den Aufsichtsräten von Air France-KLM, von Uber und dem des US-Softwarekonzern Salesforce. Klaus Nieding von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) forderte von den Aktionären Geduld mit dem Neuen: "Geben Sie Herrn Wynaendts doch mindestens mal ein Jahr Zeit, um uns zu überzeugen, dann können wir immer noch kritisieren."

Andreas Thomae, Portfoliomanager des Fondsanbieters Deka, stellte sich ausdrücklich hinter Wynaendts: "Wir halten ihn für den richtigen Mann an der Aufsichtsratsspitze." Anders als sein Vorgänger werde er die Bank hoffentlich durch eine etwas ruhigere Phase steuern. "Eine seiner Hauptaufgaben wird es sein, die Stärkung der stabilen Geschäftsbereiche zu forcieren, um zyklische Talsohlen im Investmentbanking ausgleichen zu können."

Christian Sewing, nach dem Duo Anshu Jain und Jürgen Fitschen sowie John Cryan der vierte Vorstandschef der Deutschen Bank in der Ära Achleitner, sieht das Geldhaus auf einem guten Weg: "Das Hauptaugenmerk der Deutschen Bank liegt jetzt auf der Umsetzung der kommunizierten Strategie, mit der wir auf den Stärken der Bank aufsetzen und eine Phase nachhaltigen Wachstums anstreben." Übernahmen und Zusammenschlüsse stünden derzeit nicht an erster Stelle der Tagesordnung. Sie kämen nur dann in Betracht, wenn die Bank damit ihre Stärken ergänzen und einen strategischen Mehrwert schaffen könne, betonte er. Mehrere Anläufe, etwa mit der Commerzbank zusammenzugehen, waren im Sande verlaufen.

STABILITÄT ZURÜCKGEWONNEN

Wynaendts übernimmt die Führung des Aufsichtsrats in einer Zeit, da der Finanzkonzern wieder Stabilität gewonnen hat. Erst kürzlich meldete er den siebten Quartalsgewinn in Folge - den höchsten seit neun Jahren. Sewing hatte 2019 einen umfassenden Umbau eingeleitet. Abteilungen wurden geschlossen, besonders riskante Teile des Investmentbanking abgestoßen. Im Zuge einer regelrechten Rosskur sollen nach früheren Planungen weltweit bis zu 18.000 Jobs wegfallen. Das Resultat: 2021 wies die Bank den zweiten Jahresgewinn in Folge aus.

Mit Abstand am meisten verdient sie dabei weiterhin im Investmentbanking - für Nieding kein Grund zum Übermut: "Vor allem darf der Erfolg im Investmentbanking nicht dazu führen, dass für die dort tätigen Mitarbeiter und Verantwortlichen die Bäume schon wieder in den Himmel wachsen." Denn das sei eine der Hauptursachen der Krisenjahre gewesen. Fondsmanagerin Annecke bemängelte eine "deutliche Unwucht" zwischen hohen Gehältern und niedrigen Eigenkapitalrenditen. "Diese Unwucht kann und muss zugunsten der Aktionäre korrigiert werden." Vorstandsgehälter und Boni gingen durch die Decke, während die Aktionäre Magerkost serviert bekämen. Für 2021 zahlt die Bank eine Dividende von 20 Cent je Aktie - die erste seit drei Jahren.

(redigiert von Alexander Hübner und Hans Seidenstücker; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)