- von Hans Seidenstuecker und Patricia Uhlig und Jan Strupczewski

Nach dem Zusammenbruch des Zahlungsabwicklers Wirecard steigt der Druck auf die Kontrolleure.

Die EU-Kommission will prüfen lassen, ob die deutsche Finanzaufsicht BaFin in dem Bilanzskandal versagt hat, wie die Brüsseler Behörde am Freitag ankündigte. Das ist ein ungewöhnlicher und peinlicher Schritt für eine nationale Aufsichtsorganisation - und das wenige Tage, bevor Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) stellte eine schärfere Regulierung der Branche in Aussicht. Und auf den Wirtschaftsprüfer EY, der jahrelang die Bilanzen von Wirecard testiert hatte, rollt eine Klagewelle zu. Wirecard ist eine der größten Pleiten der Bundesrepublik.

"Wir müssen klären, was schiefgelaufen ist," sagte der Vizechef der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, der "Financial Times". Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA soll feststellen, ob es aufsichtsrechtliche Versäumnisse gegeben habe. Bis Mitte Juli werde eine Antwort erwartet. Die Ergebnisse der Analyse kann Dombrovskis nutzen, um eine formelle Untersuchung einzuleiten und die BaFin zu verpflichten, der ESMA weitere Informationen zur Verfügung zu stellen. Wenn ein Verstoß festgestellt wird, könnte die BaFin von Brüssel angewiesen werden, ihre Praktiken zu ändern - so etwas kommt selten vor.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete den Bilanzskandal als besorgniserregend. Ziel müsse es jetzt sein, Schaden vom Finanzplatz abzuwenden und Schwächen zu beheben, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Die Staatsanwaltschaft München müsse offene Fragen klären. Die zuständigen Ministerien für Finanzen, Wirtschaft und Justiz sollten regulatorische Fragen überprüfen. Vize-Kanzler Scholz kündigte eine Untersuchung an. "Die BaFin muss künftig in der Lage sein, Sonderprüfungen möglichst kurzfristig, schnell und effizient durchführen zu können", sagte der SPD-Politiker. Wirecard sei ein Skandal, der seinesgleichen suche. Das müsse ein Weckruf sein. Kritische Fragen seien an das Wirecard-Management, aber auch die Wirtschaftsprüfer zu richten.

WIRTSCHAFTSPRÜFER UNTER DRUCK

Immer mehr Investoren kündigen Klagen gegen den Wirtschaftsprüfer Ernst & Young (EY) an, der seit Jahren die Wirecard-Bilanzen prüft. Laut "Spiegel" will auch der japanische Technologieinvestor Softbank, der zu den Investoren von Wirecard gehört, juristisch gegen EY vorgehen. Von Softbank war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.

Zudem ist der Reputationsschaden immens. Es gebe Zweifel, dass EY als Abschlussprüfer überhaupt geeignet sei, die Bilanzen zu prüfen, erklärte die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK). Sie werde auf künftigen Hauptversammlungen für die von ihr vertretenen Investoren gegen eine Bestellung von EY zum Abschlussprüfer stimmen. Auch ein Vertreter eines Wirecard-Großaktionärs sagte, Konzerne könnten es sich nicht leisten, EY künftig mit Abschlussprüfungen zu beauftragen, da das Vertrauen in den Prüfer erschüttert sei. In Deutschland war EY zuletzt auf dem Vormarsch und hatte lukrative neue Mandate für die Bilanzprüfung gewonnen, etwa die Deutsche Bank.

Unter Bezug auf Insider berichtete die "Financial Times", EY habe es 2016 bis 2018 versäumt, bei einer Bank in Singapur über die dort gehaltenen Mengen an Bargeld genauer nachzufragen. Der Betrug hätte früher aufgedeckt werden können. Von EY war dazu keine Stellungnahme zu bekommen.

EY hatte mehr als ein Jahrzehnt lang die Zahlen von Wirecard geprüft. Erst bei der Durchsicht der 2019er-Bilanz bemerkten sie, dass Bestätigungen zu Konten auf den Philippinen gefälscht waren. Dort sollten 1,9 Milliarden Euro liegen. Am Donnerstag meldet Wirecard Insolvenz an, Töchter drohen mit in die Tiefe gerissen zu werden. Die britische Finanzaufsicht FCA untersagte der Wirecard-Tochter Wirecard Card Solutions de facto den Geschäftsbetrieb - der Schritt trifft auch einige britische Start-Ups, die die Wirecard-Dienstleistungen nutzen.

GESCHASSTER WIRECARD-MANAGER MARSALEK OFFENBAR IN CHINA

Der fristlos entlassene Wirecard-Vorstand Jan Marsalek hält sich laut philippinischen Behörden inzwischen in China auf. Er sei am Dienstag in die Philippinen eingereist und habe das Land am Mittwoch über den Flughafen Cebu in Richtung China verlassen, sagte Justizminister Menardo Guevarra. Marsalek muss Insidern zufolge mit seiner Verhaftung rechnen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn ebenso wie gegen den früheren Vorstandschef Markus Braun wegen des Verdachts der Bilanzfälschung und der Marktmanipulation. Insider rechnen mit einer Ausweitung der Ermittlungen auch auf Betrug, der mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Die Staatsanwaltschaft äußerte sich am Freitag nicht zu Ihrem Vorgehen.

Für die Kunden des Aldi Süd hat die Wirecard-Pleite keine Auswirkungen, wie der Discounter erklärte. Aldi Süd sei Partner der Konzerntochter Wirecard Bank, die nicht Teil des Insolvenzverfahrens ist. Man arbeite bei der Abwicklung von Kreditkartenzahlungen und Geschenkkarten zusammen, hier gebe es keine Veränderungen. Der Konzern stehe mit Wirecard in Verbindung, um den Sachverhalt zu klären.