EZB-Vizechef Luis de Guindos erwartet den Höhepunkt des Preisauftriebs erst für den Herbst. Um den November herum dürfte er mit Werten von 3,4 bis 3,5 Prozent am stärksten sein, sagte der Spanier am Dienstag. Im August wurde mit 3,0 Prozent der höchste Wert seit rund zehn Jahren erreicht. In Deutschland waren es sogar 3,9 Prozent. Bayern Ministerpräsident Markus Söder forderte ein Einschreiten der Währungshüter: "Spätestens bei fünf Prozent muss die EZB handeln. Es braucht einen maßvollen Ausstiegsplan aus der Nullzins-Politik." Inflation sei "die größte Herausforderung" für die Bürger - sie führe zu einer schleichenden Enteignung, sagte der CSU-Chef nach einer Kabinettssitzung.

Söders Äußerungen stießen bei Ökonomen auf Kritik. "Eine politisch motivierte Panikmache zur Inflation ist nicht nur fehlgeleitet, sondern schädlich für den Euro und damit für die Bürgerinnen und Bürger", sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, zu Reuters. "Es gibt keinen Grund zur Panik bei der Inflationsentwicklung." Die gegenwärtig erhöhte Inflation sei vorübergehender Natur und eine willkommene Normalisierung nach einer zu schwachen Preisentwicklung im vergangenen Jahr. "Die Politik sollte nicht die Unabhängigkeit der Geldpolitik der EZB und der Bundesbank untergraben, sondern diese respektieren", sagte Fratzscher.

"BISLANG GUTEN JOB GEMACHT"

Ifo-Chef Clemens Fuest, der wie Fratzscher mit seinem Institut zum Beraterkreis der Bundesregierung gehört, warnte ebenfalls vor einer Einmischung der Politik in die Geldpolitik. Es gelte, die Unabhängigkeit der Zentralbank zu respektieren. Sie habe in ihrer Kernaufgabe, den Geldwert stabil zu halten, bislang "einen guten Job" gemacht, sagte der Ökonom beim Presseclub München. Beim Blick auf die derzeit hohen Inflationsraten dürfte man nicht vergessen, dass die Teuerungsraten lange Zeit niedrig gewesen seien.

Die Ökonomen der EZB sagen für das laufende Jahr eine Inflationsrate von 2,2 Prozent im Euroraum voraus, die damit nur leicht über dem Ziel der Zentralbank von 2,0 Prozent liegen würde. Für die beiden kommenden Jahre erwarten sie, dass die Zielmarke wieder unterschritten wird. Der griechische Notenbankchef Yannis Stournaras räumte ein, dass die Inflation höher ausfallen könnte als erwartet. Dies sei jedoch kein Grund, die Geldpolitik zu straffen, sagte er dem Magazin "Politico". Die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel hält eine verfrühte Reaktion der Geldpolitik auf einen vorübergehenden Inflationsanstieg für Gift für den Aufschwung.

Neben den anhaltenden Materialengpässen in der Industrie rücken auch die Lohnrunden verstärkt in den Fokus. Sie könnten für weiteren Preisdruck sorgen, falls Tarif-Abschlüsse die derzeit hohen Inflationsraten spiegeln sollten. De Guindos betonte, die EZB müsse "sehr wachsam" sein, sollte es beim Preisauftrieb Ausreißer nach oben geben. Bislang seien zwar kaum Auswirkungen der hohen Inflation auf die Lohnrunden zu sehen. Der EZB-Vize warnte aber davor, Gehaltserhöhungen an die im Zuge der Pandemie in diesem Jahr deutlich gestiegene Teuerungsrate fest zu koppeln.