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BRÜSSEL (dpa-AFX) - Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht Corona für Europa als entscheidende Bewährungsprobe. Legitimität und Leistungsfähigkeit des europäischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems würden weltweit auch nach dem Umgang mit der Pandemie beurteilt, sagte die CDU-Politikerin am Donnerstag vor einem EU-Videogipfel. Europa stehe in einem hartem globalen Wettbewerb.

Merkel und die übrigen Staats- und Regierungschefs wollen sich am Abend (ab 18.30 Uhr) zusammenschalten, um eine gemeinsame Linie vor allem bei Test- und Impfstrategien zu suchen. Denn aus Sicht von EU-Ratschef Charles Michel hat die dringend nötige Zusammenarbeit bisher nur mäßig geklappt und eine dramatische zweite Welle der Pandemie nicht gestoppt.

Allein in der vergangenen Woche gab es in Europa nach Angaben der EU-Kommission 1,1 Millionen bestätigte Corona-Fälle, täglich werden 1000 Covid-19-Todesfälle registriert. Die Intensivstationen füllen sich. In vielen Ländern wird das öffentliche Leben deswegen wieder drastisch zurückgefahren, darunter sind große Länder wie Frankreich, Italien und Spanien, aber auch Belgien oder Tschechien.

Darauf verwies auch Merkel in ihrer Regierungserklärung im Bundestag. "Dennoch bin ich überzeugt, dass wir europäisch auf die gegenwärtige Situation besser vorbereitet sind als zu Beginn der Pandemie", fügte die Kanzlerin hinzu. So würden die Einschränkungen im Binnenmarkt gering gehalten. Die Impfstoffversorgung werde von der EU-Kommission vorbereitet. Und Deutschland stimme sich mit seinen Partnern intensiv über Einreisen ab und koordiniere mit ihnen die Corona-Warn-App.

Ratschef Michel sieht dennoch Verbesserungsbedarf bei Themen wie Quarantäneregeln, Tests und Apps zur Kontaktverfolgung. Bisher habe man noch nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt, räumte Michel diese Woche ein.

Tatsächlich lief die Abstimmung der EU-Staaten in der Krise vor allem am Anfang schlecht. Im Frühjahr verärgerten sich die Partner gegenseitig mit Grenzschließungen und Exportstopps für Schutzkleidung. Zeitweise stauten sich Lastwagen an den Grenzen über Dutzende Kilometer.

Seither geben sich die Staaten mehr Mühe, an einem Strang zu ziehen. Allerdings: In der Gesundheitspolitik hat die EU kaum mitzureden, das ist Sache der Mitgliedsstaaten. Die Kompromisssuche bei Regeln zur Corona-Ampel für eine einheitliche Bewertung von Hotspots dauerte Wochen. Die EU-Staaten gelobten zwar immer enge Zusammenarbeit, wollten ihren Freiraum aber dann doch nicht einschränken, sagte ein Diplomat am Donnerstag.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte mit Blick auf den Videogipfel konkrete Vorschläge gemacht. So legte sie eine Empfehlung für den Einsatz der neuen Antigen-Schnelltests vor, die binnen 15 Minuten ein Ergebnis zeigen. Diese könnten gemeinsam für die EU-Staaten beschafft werden.

Zur Rückverfolgung von Infektionen sollen die EU-Staaten kompatible Apps einführen und für die Nutzung werben. Zudem sollen sie der EU-Seuchenbehörde ECDC und der Kommission mehr Daten zum Infektionsgeschehen übermitteln. Auch bei den Impfstrategien sollen sich die Staaten abstimmen - zum Beispiel, wer zuerst geimpft wird, sobald ein Serum zur Verfügung steht.

Schließlich geht es auch um einen Konsens bei Quarantäne- und Testpflichten für Reisende. Bis Dezember soll ein einheitliches Formular erstellt werden, das Reisende ausfüllen müssen. So sollen mögliche Kontakte besser verfolgt werden können.

Diese einheitlichen Regeln sollten jetzt vor allem für die Zeit vorbereitet werden, wenn nationale Beschränkungen wieder gelockert werden könnten, sagte der Diplomat. Der zweite Lockdown sei vielerorts unausweichlich. Es gehe darum, das Virus in der Zeit danach zu managen und keinen dritten Lockdown zu riskieren./vsr/DP/stk