London/Berlin/Paris (Reuters) - Hitzerekorde, Waldbrände und Notlagen: Weite Teile Europas lagen am Dienstag unter einer drückenden Hitzeglocke mit stellenweise noch nie erreichten Höchstwerten.

Im Südwesten Englands zeigten die Thermometer nach Angaben des britischen Wetterdienstes Rekordwerte von 40 Grad Celsius. Auch Dänemark meldete extreme Hitze. Im Südwesten Frankreichs versuchten Feuerwehrleute ausgedehnte Waldbrände einzudämmen. Nach Angaben von Meteorologen wanderte die Hitzewelle Richtung Nordosten und erfasste damit zunehmend Deutschland.

Aus der Politik kommen deutliche Warnungen. "Wir sind auf einem 3-Grad-Pfad", sagte die österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler in Berlin mit Blick auf die Erderwärmung. Zuvor hatte schon Außenministerin Annalena Baerbock auf dem Petersberger Klimadialog gemahnt, dass alle Staaten die Anstrengungen zum Klimaschutz deutlich beschleunigen müssten, um das Ziel zu erreichen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Die glühende Hitze hat verheerende Waldbrände vor allem in Frankreich, Portugal und Spanien ausgelöst. Hunderte Menschen starben nach einem Hitzekollaps, Zehntausende mussten aus ihren Häusern evakuiert werden. Auch der Deutsche Wetterdienst (DWD) warnte vor starken "Wärmebelastungen". Punktuell rechneten die Meteorologen am Nachmittag in Westdeutschland mit rekordverdächtigen Temperaturen um die 40 Grad. Der DWD schätzte auch die Waldbrandgefahr aufgrund hoher Trockenheit als sehr hoch ein.

Das Technische Hilfswerk (THW) war bei verschiedenen Bränden im Einsatz. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft erwartete eine hohe Zahl hitzebedingter Krankheitsfälle. Von 2000 bis 2015 hätte sich die Zahl der jährlichen Hitze-Patienten mehr als verdoppelt, sagte ein Sprecher. Die Lage der Mitarbeiter sei in diesem Jahr wegen Corona-bedingten Personalausfälle ohnehin schwierig. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) rief die Bevölkerung zum Wassersparen auf. Es gebe aktuell keine Gefährdung der Trinkwasserversorgung, doch dies müsse auch in Zukunft so bleiben, sagte sie dem Sender n-tv.

In Großbritannien, wo bereits zu Wochenbeginn der Hitze-Notstand ausgerufen wurde, führten die Rekordtemperaturen zu Einschränkungen im Nah- und Fernverkehr. "Unsere Infrastruktur, von der ein großer Teil noch aus der viktorianischen Zeit stammt, ist einfach nicht für solche Temperaturen geeignet", sagte Transportminister Grant Shapps. Am Montag hatte der Londoner Flughafen Luton wegen einer Überhitzung der Landebahn seinen Betrieb eingestellt. Im Süden Europas versuchen Einsatzkräfte die verheerende Feuersbrunst in den Griff zu bekommen. In der Weinbauregion Gironde in Frankreich registrierten die Einsatzkräfte die größten Waldbrände seit über 30 Jahren. Ein Mann wurde unter dem Verdacht der Brandstiftung festgenommen. Insgesamt 34.000 Menschen mussten angesichts nahender Feuersbrünste vorsorglich ihre Häuser verlassen.

In Spanien kämpften Feuerwehrleute und Helfer gegen mehr als 30 Waldbrände. Über 6000 Menschen aus 32 Dörfern müssten im Nordwesten ihre Häuser verlassen. In Portugal warnte der Wetterdienst, 50 Gemeinden vor allem im Norden und der Mitte des Landes könnten von Feuerwalzen überrollt werden.

Neben der Hitze warnten Experten auch vor einer steigenden Ozon-Belastung. "Die Auswirkungen auf die Luftqualität sind nicht zu vernachlässigen", sagte Mark Parrington, leitender Wissenschaftler des Copernicus Atmosphere Monitoring Service (CAMS). Eine hohe Ozonbelastung verschlimmert Atemwegs- sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und wird mit einer erhöhten Sterblichkeitsrate in Verbindung gebracht.

BAERBOCK WARNT VOR NEUER SPALTUNG BEIM KLIMASCHUTZ

Die Hitzewelle und Berichte über Dürre in Afrika prägten auch die Debatte auf dem Petersberger Klimadialog in Berlin. Baerbock warnte, der Klimawandel sei die "Meta-Krise", die sich über viele anderen Konflikte in Welt lege und diese verschärfe. Die Staaten müssten unbedingt bis zur nächsten internationalen Klimakonferenz im November in Ägypten ihre Anstrengungen verstärken. Zugleich warnte sie aber, die Corona-Pandemie und vor allem aber der russische Angriff auf die Ukraine und die dadurch ausgelöste Energie- und Nahrungsmittelkrise könnten die Anstrengungen zur Treibhausgas-Reduzierung behindern. "In dieser Situation gibt es eine große Gefahr, dass alte Konflikte wieder aufbrechen", sagte sie in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit ihrem ägyptischen Kollegen Sameh Schukri. Auch dieser warnte: "Wir dürfen keinen Rückschlag erleiden wegen der gefährlichen geopolitischen Lage."

Bei den Beratungen pochten die Entwicklungs- und Schwellenländer darauf, dass die Industriestaaten ihre Zusage umsetzen, jährlich 100 Milliarden Dollar im Kampf gegen den Klimawandel bereit zu stellen. Zudem forderten sie, ihnen stärker bei der Anpassung an bereits eingetretene Klimaschäden zu helfen. Dies dürfe aber nicht zulasten des Klimaschutzes gehen, mahnte Baerbock. Ansonsten würden die Kosten für die Klimaanpassung "ins Unermessliche" steigen.