(neu: Kaufpreis im 4. Absatz)

BERLIN (dpa-AFX) - Seinem Ziel, die Versorgungsnetze der Hauptstadt wieder in Eigenregie zu betreiben, ist der Berliner Senat am Freitag ein großes Stück näher gekommen: Der schwedische Energiekonzern Vattenfall bot überraschend den Verkauf des gesamten Stromnetzes an das Land an.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller sowie Finanzsenator Matthias Kollatz (beide SPD) reagierten erfreut und sprachen von einem "guten Tag" für Berlin. Schließlich könnte sich damit ein seit Jahren andauernder Rechtsstreit um das Stromnetz nun in wenigen Monaten erledigen. Für die Kunden ändert sich damit erst einmal nichts.

"Wir streben an, die Übernahme zum Stichtag 1.1.2021 zu machen. Vollzogen wird sie dann Ende des ersten, Anfang des zweiten Quartals", sagte Kollatz. Damit könnte das Netz bereits im ersten Halbjahr des kommenden Jahres vollständig im Besitz des Landes sein.

Vattenfall und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) nannten am Freitag in der rbb-Abendschau eine Summe von rund zwei Milliarden Euro, die früher als Kaufpreis zur Diskussion gestanden habe. Das müsse aber noch einmal neu bewertet werden, sagte Müller dem Sender. Er könne nicht versprechen, dass die Berliner Strompreise nach einem Verkauf sänken. Sie könnten aber stabil bleiben. Die Mitarbeiter wolle die Stadt übernehmen.

Das Berliner Stromnetz befindet sich aktuell im Besitz der Vattenfall-Tochter Stromnetz Berlin GmbH und wird von dieser betrieben. Vattenfall will nun sämtliche Anteile an dem Unternehmen an den Senat verkaufen. Damit gingen neben der Infrastruktur auch die IT-Systeme und das Personal an das Land über. Mit dem Angebot will der Konzern vor allem einen wirtschaftlichen Unsicherheitsfaktor loswerden.

Denn die Konzession der Stromnetz Berlin GmbH ist formell 2014 ausgelaufen. Nach einem langwierigen Ausschreibungsverfahren bekam der landeseigene Betrieb Berlin Energie im vergangenen Jahr den Zuschlag für 20 Jahre. Eine unabhängige Vergabekammer des Senats hatte zuvor das Angebot aus drei verschiedenen ausgewählt. Dagegen hatte Stromnetz Berlin geklagt und vor dem Landgericht Recht bekommen. Kürzlich bestätigte das Kammergericht als letzte Instanz das Urteil.

Doch damit war nur eine Entscheidung im Eilverfahren gefallen. Das Hauptsacheverfahren liegt noch beim Berliner Landgericht und wartet dort darauf, eröffnet zu werden. Vattenfall befürchtet nach eigenen Angaben, dass sich der Rechtsstreit noch Jahre hinziehen könnte.

"Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir einen Ausweg aus der verfahrenen Situation finden müssen", sagte der scheidende Konzern-Chef Magnus Hall der Deutschen Presse-Agentur. "Es ist nicht gut, diese Unsicherheit weiterhin bei all unseren Geschäftsaktivitäten, anstehenden Entscheidungen und Investitionen mit uns rumzuschleppen."

Finanzieren will der Senat den Kauf "im Wesentlichen" über Darlehen, hieß es. Für einen Teil der Darlehen werde es wahrscheinlich Landesbürgschaften geben, sagte Kollatz. Für Bürgschaften solcher Art stehen im Haushalt demnach bis zu sechs Milliarden Euro zur Verfügung.

Mit der Übernahme würde sich der Senat auch verpflichten, die bisherigen Beschäftigten der Stromnetz Berlin GmbH zu gleichen Bedingungen weiter zu beschäftigen. "Manche Mitarbeiter in Berlin wird die Ankündigung anfangs möglicherweise enttäuschen", sagte Hall. "Aber es geht wirklich darum, aus dieser verfahrenen Situation herauszukommen und Klarheit für alle zu schaffen."

Das Angebot sei auf keinen Fall ein Signal, "dass wir unsere Geschäfte in Deutschland überdenken", betonte Hall. "Das Land bleibt unser wichtigster Markt, und wir werden dort weiter investieren und unser Engagement ausbauen."

Der Berliner Senat arbeitet seit Jahren daran, Privatisierungen der vergangenen Jahrzehnte rückgängig zu machen. Die Wasserversorgung ist bereits in staatlicher Hand. Die Gasnetze werden bislang vom Unternehmen Gasag betrieben, das ebenfalls zu Vattenfall gehört. Auch hier sollte aus Sicht des Landes Berlin Energie zum Zug kommen - auch hier kam es zu einem komplizierten Rechtsstreit, der derzeit vor dem Bundesgerichtshof liegt. Die nicht vorhandene Verständigung über das Stromnetz habe dabei der Frage des Gasnetzes im Wege gestanden, sagte Kollatz am Freitag. Der Senat werde hier absehbar sein Interesse äußern, die Mehrheit an der Gasag zu übernehmen.

Die Reaktionen aus dem Abgeordnetenhaus fielen am Freitag erwartbar gemischt aus: Die CDU-Fraktion kritisierte, es sei "unverantwortlich, eine Kaufzusage zu machen, ohne zu wissen, was man zahlen muss." Die FDP-Fraktion hält den Kauf generell für "nicht sinnvoll", wie der energiepolitische Sprecher, Henner Schmidt, mitteilte. Grüne und Linke begrüßten das Kaufangebot grundsätzlich.

Mit der Stromnetz Berlin GmbH übernähme das Land ein gut laufendes Unternehmen mit wachsender Kundenzahl. Vattenfall investierte bislang eigenen Angaben zufolge jährlich rund 200 Millionen Euro in das Stromnetz der Hauptstadt. Doch am Ende habe ein privates Unternehmen vor allem den Auftrag, Geld zu verdienen, betonte Müller. "Aber wir können und müssen unsere Entscheidungen eben auch daran messen, was für die Stadt das Richtige ist", sagte Müller. "Im Ergebnis werden wir eher mehr investieren", ergänzte Kollatz./maa/vl/DP/he