BERLIN (AFP)--Es ist ein Durchbruch nach jahrelangen Verhandlungen: Für Großkonzerne soll es künftig eine globale Mindeststeuer geben. Bei einem Finanzministertreffen am Wochenende in Venedig beschloss die G20-Staatengruppe offiziell die Einführung der Steuer. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) nannte den Beschluss "historisch".

WARUM IST EINE REFORM NÖTIG?

Verhindert werden soll vor allem ein "Steuerwettlauf nach unten", wie Scholz es nennt. Internationale Konzerne zahlen auf ihre Milliardengewinne oft kaum Steuern, da zwischen einzelnen Ländern ein Wettbewerb entbrannt ist, wer mit möglichst unternehmensfreundlichen Steuersätzen Firmen anlockt.

Seit Jahren gibt es deshalb internationale Verhandlungen, die von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) koordiniert werden. Die OECD betont, dass es vor allem wegen der in den vergangenen Jahren rasant vorangeschrittenen Digitalisierung nötig sei, das mittlerweile mehr als hundert Jahre alte internationale Steuersystem neu aufzustellen - denn heutzutage sind Firmen längst nicht mehr überall dort auch physisch präsent, wo sie Gewinne erzielen. Außerdem spielen sogenannte immaterielle Wirtschaftsgüter wie Lizenzen oder Patente und vor allem die immensen Datenschätze der Unternehmen eine immer größere Rolle.

WAS IST VORGESEHEN?

Zentral ist laut OECD das sogenannte Zwei-Säulen-Konzept: Säule eins soll eine fairere Verteilung der Besteuerungsrechte der Staaten in Bezug auf die Gewinne großer multinationaler Konzerne sicherstellen - vor allem aus der Digitalwirtschaft. Dabei soll ein Teil der Rechte von den Ländern, in denen Unternehmen ihren Hauptsitz haben, auf diejenigen Staaten übergehen, auf deren Märkten sie ihre Gewinne erzielen.

Die zweite Säule ist die globale Mindeststeuer, die bei "mindestens 15 Prozent" liegen soll. Bislang gibt es hier teils deutliche Unterschiede: So sind es etwa in Irland, wo die US-Digitalgiganten Facebook, Google und Apple Niederlassungen haben, 12,5 Prozent.

WER UNTERSTÜTZT DAS VORHABEN?

Von 139 Mitgliedern des sogenannten Inclusive Framework der OECD unterstützen inzwischen 132 Länder das Vorhaben. Sie stehen zusammen für gut 90 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Die G20-Gruppe, welche die Einführung der Mindeststeuer nun offiziell beschloss, umfasst die größten Industrie- und Schwellenländer der Welt.

UND WER IST DAGEGEN?

Die acht Länder aus dem Framework, die die von der OECD am 1. Juli verkündete Einigung bislang nicht unterzeichnet haben, sind die EU-Staaten Irland, Estland und Ungarn sowie Kenia, Nigeria, der Karibikstaat St. Vincent und die Grenadinen, Barbados und Sri Lanka.

Während Kenia und Nigeria Verhandlungskreisen zufolge argumentierten, dass die Beteiligung der Entwicklungsländer an den Steuereinnahmen nicht ausreiche, halten beispielsweise Ungarn und Irland den Satz von 15 Prozent für zu hoch.

STEIGEN DIE STEUEREINNAHMEN?

Teils, teils. Nach OECD-Angaben dürften durch die Mindeststeuer die weltweiten zusätzlichen Steuereinnahmen um rund 150 Milliarden Dollar (rund 127 Milliarden Euro) steigen - pro Jahr. Finanzminister Scholz erwartet Mehreinnahmen in Milliardenhöhe für Deutschland, ohne bislang eine konkrete Summe zu nennen. Profitieren könnten grundsätzlich größere Länder, da die Konzerne auf den dortigen Märkten viele Umsätze machen, ohne dort zwangsläufig ansässig zu sein. Einbußen könnte es vor allem in den Steueroasen geben, aber auch in Ländern wie den Niederlanden, Luxemburg oder der Schweiz.

Nach Einschätzung des Beratergremiums CAE, das die französische Regierung in ökonomischen Fragen berät, könnte Deutschland Mehreinnahmen von rund 8,3 Milliarden Euro erzielen, Frankreich sechs Milliarden und die USA knapp 15 Milliarden.

BIS WANN SOLL DIE REFORM KOMMEN?

Laut OECD sollen im Oktober die letzten Details des Zwei-Säulen-Ansatzes geklärt sein. Außerdem soll dann ein Plan für die Umsetzung ab 2023 vorliegen.

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DJG/smh

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July 11, 2021 11:19 ET (15:19 GMT)